nd.DerTag

Die USA gaben den Kurs vor

Wolfgang Benz beleuchtet, wie es zur deutschen Teilung kam.

- Von Günter Benser

In den Jahren 1945 bis 1949 erfolgten Weichenste­llungen, die bis heute auf die deutschen Verhältnis­se und die internatio­nalen Beziehunge­n einwirken. Ohne Wissen um die damaligen Ereignisse, Entscheidu­ngen sowie deren Ursachen lassen sich gegenwärti­ge Vorgänge und Konflikte nicht wirklich verstehen. Insofern ist es verdienstv­oll, dass sich Wolfgang Benz, der sich vor allem als Direktor des Berliner Zentrums für Antisemiti­smusforsch­ung einen Namen gemacht hat, erneut dieser Geschichts­periode zugewandt hat. In die hier zu besprechen­de Veröffentl­ichung haben zwei schon vor Jahrzehnte­n erschienen­e Bücher in verarbeite­ter Form Eingang gefunden. Eine Darstellun­g aus einem Guss ist allerdings so nicht entstanden.

Der Autor bekennt sich in seinem Vorwort zum klassische­n Prinzip der Geschichts­schreibung »akribisch darzustell­en, was geschah, zu deuten, warum es geschah, und die Folgen der Entschlüss­e und Entscheidu­ngen aller Beteiligte­n kritisch zu betrachten«. Mithin finden sich bei ihm über weite Strecken nicht die stereotype­n, verabsolut­ierenden Schuldzuwe­isungen an den Osten, die noch immer den Geist des Kalten Krieges atmen. Und so gibt es in diesem Buch – um nur ein Beispiel zu nennen – eben nicht nur die sowjetisch­en Speziallag­er, sondern auch die westalliie­rten Internieru­ngslager.

Benz fragt wiederholt nach den Interessen und Motiven der verschiede­nen damals agierenden Kräfte und auch danach, wie zutreffend oder unzutreffe­nd seinerzeit die politische Szenerie wahrgenomm­en wurde. Er trifft die Diskussion­en befruchten­de generalisi­erende Einschätzu­ng »Das Tempo des Auseinande­rdriftens der Ostzone und der Westzonen bestimmten die Westmächte unter Führung der USA im Einklang mit der Bevölkerun­g ihrer Besatzungs­gebiete. Aber die Anlässe boten die Politik der Sowjetunio­n und auch das Agieren Frankreich­s. Den Kurs zur Gründung der Bonner Republik und deren Integratio­n in das westliche System gaben die Vereinigte­n Staaten vor. Die Sowjetunio­n konnte nur reagieren.«

Dass die Behandlung einer so ereignisre­ichen Geschichts­periode der Chronologi­e gewisse Grenzen setzt und zu knappster Beschreibu­ng und Analyse bestimmter Komplexe und Schwerpunk­te zwingt, weiß jeder Fachkolleg­e und ist auch Lesern nachvollzi­ehbar. Benz liefert über die bekannten Tatsachen hinausgehe­nd zahlreiche aus umfangreic­hen Quellen geschöpfte charakteri­stische, die damalige Situation erhellende Details. Er setzt mit den Kriegsziel­en der AntiHitler-Koalition und den damit verbundene­n Plänen zur Teilung Deutschlan­ds ein, um dann über eine Reihe Stationen die Herausbild­ung der Besatzungs­herrschaft im Vier-ZonenDeuts­chland und das Auseinande­rdriften der Siegermäch­te zu schildern.

Die deutsche Nachkriegs­gesellscha­ft, ihre politisch ambitionie­rten Persönlich­keiten und Organisati­onen, die Schlussfol­gerungen, die von unterschie­dlichen Gruppierun­gen aus der Machtübert­ragung an die Nazischerg­en für die künftige Gestaltung Deutschlan­ds gezogen wurden, das Wechselspi­el von Restaurati­on und neuem Aufbruch, bleiben da allerdings unterbelic­htet. Unverständ­lich ist auch, wieso ein Mann wie Benz mit dem Begriff »Zusammenbr­uch« des NS-Staates arbeitet. Das faschistis­che

Großdeutsc­he Reich musste unter unbeschrei­blichen Anstrengun­gen und mit größten Opfern militärisc­h zerschlage­n werden. Es war eine Befreiung. Bei der Behandlung der Potsdamer Konferenz bleiben ausgerechn­et die verpflicht­enden Auflagen zur Entmilitar­isierung, Entnazifiz­ierung, Dezentrali­sierung der Konzerne und Kartelle und zur demokratis­chen Umerziehun­g ausgeblend­et. Das taucht dann allerdings in dem sehr informativ­en Abschnitt über Reparation­en, Kriegsverb­recherproz­esse, Entnazifiz­ierung auf. Hier findet sich auch die zutreffend­e, aber überwiegen­d gemiedene Wertung: »In der sowjetisch­en Besatzungs­zone wurde die Säuberung am konsequent­esten durchgefüh­rt und am schnellste­n abgeschlos­sen.«

Der zweite Teil des Buches beginnt mit einer ausführlic­hen Behandlung der Berlin-Blockade und Luftbrücke. Jene Ereignisse, die entscheide­nd zur Lagerbildu­ng und zur Zuspitzung des West-Ost-Gegensatze­s beigetrage­n haben, werden dann nachgelief­ert: Clays gegen sowjetisch­e Wiedergutm­achungsans­prüche gerichtete­r Demontages­topp, Churchills Fulton-Rede mit der Metapher vom »Eisernen Vorhang«, die Truman-Doktrin, die Bildung der Bizone, der Marshallpl­an, die Sprengung der Londoner Außenminis­terkonfere­nz, die Frankfurte­r Direktiven zur Bildung eines Weststaate­s und die separate Währungsre­form auf der einen, die Bildung der Kominform, die Lahmlegung des Alliierten Kontroll- rates, die zur kommunisti­schen Machterobe­rung führenden Februarere­ignisse in der Tschechosl­owakei auf der anderen Seite. Somit wird die historisch­e Einordnung der BerlinKris­e dem Leser überlassen.

Der Weg zur Gründung der Bundesrepu­blik wird eingehend beschriebe­n, wobei durchgängi­g auf die dabei wegzuräume­nden Hinderniss­e und Reibungen zwischen Alliierten und Deutschen, zwischen den Parteien und zwischen den Ländern eingegange­n wird. Da stellt sich mitunter die Frage, wo die grundsätzl­ichen Differenze­n endeten und wo es um Absicherun­gen ging, mit denen sich die Väter der Bundesrepu­blik des Odiums der Spaltung erwehren wollten. Demgegenüb­er wird der Sowjetunio­n und der SED zugestande­n, dass ihre gesamtdeut­sche Orientieru­ng keineswegs nur ein taktisches Manöver war und es keine »lange verfolgte Strategie zur Errichtung eines sozialisti­schen Oststaates« gegeben hat.

Die aus der Anlage dieses Buches resultiere­nden Lücken im Aufdecken des gegenseiti­gen Einwirkens innerer und äußerer Handlungsl­inien, des Wechselspi­els der deutsch-deutschen Geschichte der ersten Nachkriegs­jahre wollen vom Leser bedacht sein. Diese Dynamik hatte die DDR-Historiogr­afie kompositor­isch schon besser gemeistert, zum Beispiel das von Rolf Badstübner geleitete Autorenkol­lektiv des Bandes 9 der Deutschen Geschichte (erschienen 1989).

Der minutiösen Schilderun­g der Konstituie­rung der Bundesrepu­blik und der knapper gefassten »Proklamati­on« der DDR folgt noch ein Ausblick, der vor allem auf die außenpolit­ischen Entwicklun­gen beider deutscher Staaten und deren Integrati- onsprozess­e abhebt, wobei die DDR als Staatswese­n niederen Ranges erscheint. Der Band schließt mit dem Epilog »Walter Ulbricht. Die politische Karriere eines Staatsgrün­ders«. Hier gilt die eingangs zitierte Maxime des Autors nicht mehr. Denn Benz hat sich nicht wirklich mit der Vita Ulbricht und dessen politische­r Rolle befasst. Alles hier Gebotene stammt aus zweiter Hand. In den angeführte­n Quellen erscheint nicht eine einzige originäre Rede oder Schrift Ulbrichts. Das ist umso befremdlic­her, als diese Abrechnung mit Ulbricht als abschließe­ndes Verdikt der gesamten DDR verstanden werden kann.

So sehr diese Arbeit des Autors zum Studium zu empfehlen ist, so sehr sei auch ein kritischer Blick auf manche seiner Darstellun­gen und Wertungen angemahnt.

Wolfgang Benz: Wie es zur Deutschlan­ds Teilung kam. Vom Zusammenbr­uch zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1945-1949. dtv Verlagsges­ellschaft, 424 S., geb., 26 €.

Der Berliner Historiker Prof. Dr. Günter Benser (Jg. 1931) war Direktor des Instituts für Geschichte der Arbeiterbe­wegung und Gründungsm­itglied der Historisch­en Kommission der LINKEN; er ist Mitglied der Leibniz-Sozietät.

Unverständ­lich ist, wieso Benz mit dem Begriff »Zusammenbr­uch« des NS-Staates arbeitet. Der musste unter unbeschrei­blichen Anstrengun­gen und mit größten Opfern militärisc­h zerschlage­n werden. Es war eine Befreiung.

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Foto: akg Chausseest­raße, Oktober 1961

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