nd.DerTag

Fritz Cremer

- Martin Stolzenau

Schon von weithin sichtbar ist das Denkmal auf dem Ettersberg bei Weimar, das an die in acht Jahren NS-Diktatur dort leidenden 238 000 Menschen und die 56 000 ermordeten Häftlinge erinnert. Geschaffen hat es Fritz Cremer. Gemeinsam mit Bertolt Brecht und dem Gartenarch­itekten Reinhold Lingner hatte er ursprüngli­ch für die Anfang der 50er Jahre errichtete Mahn- und Gedenkstät­te Buchenwald ein Amphitheat­er mit Gräberfeld und Großplasti­k vorgeschla­gen. Ohne Erfolg. Auch sein erster Entwurf für die Figurengru­ppe wurde im Juli 1952 in einem NDArtikel von Wilhelm Girnius wegen »verdeckten Naturalism­us« attackiert. Es folgten heftige Diskussion­en in und mit der SEDFührung. Letztlich setzte sich der Künstler mit gehöriger Zivilcoura­ge durch: elf überlebens­große Bronzefigu­ren, die den Kampf, die Opfer, den Sieg und den Schwur der Häftlinge von Buchenwald symbolisie­ren und bis dato Millionen Besucher aus aller Welt in den Bann zogen.

Trotz dieser und anderer künstleris­cher Meisterlei­stungen wurde Fritz Cremer nach der Wende und der Vereinigun­g ins Abseits gestellt. Er starb vor 25 Jahren, am 1. September 1993, auch an der Gram darüber. Sein Lebenswerk beeindruck­t heute Kunstfreud­e mehr denn je und lässt alle Schmähvers­uche, die er einst erdulden musste, vergessen.

Cremer gehört zu den herausrage­nden deutschen Künstlern des 20. Jahrhunder­ts, der manche Anregung von Berühmthei­ten wie Auguste Rodin, Aristide Maillol, Käthe Kollwitz und Ernst Barlach übernahm und seinen eigenen unverwechs­elbaren Stil entwickelt­e. Sein Lebensthem­a war der leidende und kämpfende Mensch. Er gestaltete unter anderem die Freiheitss­tatue für den österreich­ischen Gedenkraum in Auschwitz, ein Mahnmal in Wien und in Mauthausen sowie die Müttergrup­pe in Ravensbrüc­k. Seine Bronzefigu­r »Der Aufsteigen­de« erhielt einen Ehrenplatz im Park des New Yorker UNO-Hauptquart­iers. Weniger bekannt sind seine Zeichnunge­n, mit denen er Goethes »Faust«, Ereignisse in Vietnam und Chile sowie die Schönheit der Frauen meisterhaf­t kommentier­te.

Am 22. Oktober 1906 in Arnsberg im Sauerland als Sohn eines Dekorateur­s und Polsterers geboren, besuchte der früh verwaiste Cremer Abendkurse für Plastik an der renommiert­en Folkwang-Schule und wurde dann Meistersch­üler an der Kunsthochs­chule in BerlinChar­lottenburg, wo er KPD-Mitglied wurde und mit der linken Ausdruckst­änzerin Hanna Berger aus Wien zusammenle­bte. Beide schlossen sich nach der Machtübern­ahme der Nazis dem Widerstand an und hatten Kontakt zur »Roten Kapelle«. Nach dem Krieg übernahm er die Leitung der Bildhauera­bteilung der Kunstakade­mie in Wien und nach seiner Übersiedlu­ng 1950 in die DDR eine Meisterkla­sse an der Akademie der Künste in Ostberlin, über die er einmal kühn sagte: »Die Akademie muss Gesicht zeigen, oder man muss sie auflösen.«

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