Baumhaus statt Hausbesetzung
Mit ihrem Wohnexperiment vier Meter über dem Erdboden will die Freiburger Studentin Lili Bauer gegen hohe Mieten in den Universitätsstädten protestieren.
Die Äste knarren über ihrem Minidomizil hoch oben in den Baumwipfeln. »Hast du Höhenangst?«, fragt Lili Bauer, bevor wir die vier Meter hohe Leiter zu ihrer Unterkunft besteigen. Wer die 22-jährige Studentin in ihrer Unterkunft auf einem Privatgrundstück am Waldesrand in Freiburg besuchen will, muss erstmal senkrecht zahlreiche Sprossen der Baumleiter überwinden. Die wiederum ist oben an einem dicken Ast und an einem Holzplateau mit einem Seil festgezurrt. Im April hat Lili Bauer ihr Schlafgemach bezogen und fühlt sich seither pudelwohl.
Über die lokalen Medien hatte sie einen Aufruf gestartet und einen passenden Baum gesucht. Zuvor hatte sie in einer Wohngemeinschaft gewohnt und 350 Euro Miete bezahlt. Der Vermieter wollte sein Haus sanieren und die Wohngemeinschaft befürchtete, dass sie erst ausziehen und danach eventuell höhere Mieten zahlen müssten. »Da dachte ich mir, jetzt reicht es«, sagt Lili, und machte sich auf die Suche nach einer anderen und vor allem naturnahen Wohnform.
Obwohl der damalige Vermieter – wie Lilis WG erst später erfuhr – gar keine Mieterhöhung plante, fanden sich rasch Mitstreiter und Helfer für ihr ehrgeiziges Projekt. Über Ebay und auf Flohmärkten schaute sie sich nach preiswerten Dingen um, die sie für ihr Baumhaus benötigte. Innerhalb weniger Wochen war die Unterkunft fertig.
Gerade mal siebeneinhalb Quadratmeter groß ist ihr Baumhaus, davor ist noch Platz für zwei Stühle, ein Tischchen und die Hängematte. Das Bett füllt den meisten Platz in dem Holzdomizil, das sie zusammen mit Freunden, Verwandten und Bekannten gezimmert hat. »Die Baukosten beliefen sich insgesamt auf rund 400 Euro«, sagt die Studentin.
Ein kleiner Gaskocher mit zwei Platten bietet ihr die Möglichkeit zum Kochen, Frischwasser erhält sie über eine Leitung von den Hauseigentümern, die Lili den Platz auf ihrem Wohngelände inmitten von fünf Bäumen ermöglicht haben. Zur eigens erbauten Komposttoilette muss sie vom Baumhaus absteigen, zum Duschen oder Baden geht sie zu Freunden. Wenn Unwetter nahen auch.
»Bäume sind doch super, man sieht hier oben gleich jeden, der zu Besuch kommt«, erzählt Lili. Ihr Traumbaum sollte am liebsten eine Eiche oder Buche sein, »eigentlich wollte ich den stabilsten Baum haben«, sagt die gebürtige Darmstädterin. Bekommen hat sie fünf Kieferbäume, in deren Mitte sie nun in aussichtsreicher Höhe wohnt.
Die 22-Jährige ist seit jeher ein Naturkind. Mit ihrer Mutter war sie schon in jungen Jahren viel in der Natur unterwegs. Sie kennt sich gut mit Tieren und Pflanzen aus und studiert in Freiburg Umweltwissenschaften. In Darmstadt war sie schon als junges Mädchen politisch aktiv, etwa bei der Grünen Jugend im Landesverband Hessen oder bei einer Naturgruppe namens »Wühlmäuse«.
In Freiburg arbeitet sie gelegentlich auf einem Markt für Anbieter von Biowaren und in einer Öko-Station. Das Parteipolitische reizt sie momentan nicht, sagt sie. Vielmehr will Lili gesellschaftspolitisch aktiv bleiben, fordern, Aktionen starten und damit Zeichen setzen, »vor allem im klimapolitischen Bereich«, sagt Lili.
Später, so ihr Plan, will sie durch Deutschland reisen und sich mit anderen Leuten vernetzen. Unterstüt- zung erhält sie bislang nicht nur von Freunden oder Gleichgesinnten, auch ihre Familie findet ihre Projekte und Aktionen gut.
Mit ihrem Wohnexperiment will sie aber nicht nur beweisen, dass naturnahes und einfaches Wohnen auch in Städten möglich ist. Für sich selbst wollte sie ausprobieren, wie es sich ohne den Luxus einer normalen Mietwohnung leben lässt. Denn eine solche ist für die rund 33 000 Studierenden in Freiburg fast unerschwinglich. Drei- bis vierhundert Euro Kaltmiete für ein kleines Studentenzimmer sind nicht nur in Freiburg Standard.
Erste Erfahrungen mit dem Wohnen im Freien hat Lili schon früher gemacht. Im vergangenen Sommer verbrachte sie einige Nächte in einem Baumzelt und stellte fest, dass es ihr »gefällt, in der Natur zu übernachten«.
Auch das nächtliche Alleinsein stört sie nicht, sagt sie. Dabei sind für Lili soziale Kontakte und Bindungen »extrem wichtig«. »Manchmal lade ich mir auch Leute ein, die bei mir übernachten, dann rücken wir halt ganz eng zusammen«, sagt sie.
Die Mietpreise in der rund 230 000 Einwohner zählenden Universitätsstadt sind nicht nur für Studenten sehr hoch. »Aber es hat doch jeder ein Recht auf Wohnen«, sagt die Aktivistin. Wohnen muss bezahlbar sein, fordert sie deshalb. »Und es tut sich ja inzwischen auch etwas in Freiburg«, betont Lili. Erst vor kurzem hat der im Mai neu gewählte und parteilose Freiburger Oberbürgermeister Martin Horn den Wohnungsbau zur Chefsache und das Wohnrecht zur Frage der sozialen Gerechtigkeit erklärt. Während seiner Amtsführung will er durchsetzen, dass in Freiburg vor allem preisgünstiger Wohnraum geschaffen wird.
»In vielen deutschen Hochschulstädten ist Wohnen zum Luxusgut geworden. Das schränkt einkommensschwache Studierende enorm ein: bei der Wahl des Studienorts, bei der Studienfinanzierung, im alltäglichen Leben«, heißt es auch auf der Internetseite der deutschen Studentenund Studierendenwerke. Sie fordern seit Langem Bund und Länder auf, mehr in den Ausbau und den Erhalt von bezahlbarem Wohnraum zu investieren. Diese Investition sei eine Frage der Gerechtigkeit, aber auch eine Chance für die Zukunft: »Studierende verjüngen heute die Städte und arbeiten morgen als hoch qualifizierte Fachkräfte«, sagt Achim Meyer auf der Heyde, seit Oktober 2003 Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks.
Für Lili Bauer aber, die ihren Urlaub auch gerne alleine und mit dem Fahrrad in Marokko verbringt, endet demnächst schon ihr Wohnexperiment. Zum kommenden und fünften Studiensemester plant die Stipendiatin der Heinrich-Böll-Stiftung einen Auslandsaufenthalt in Bhutan.
Bhutan? »Ich war nach der Schule ein Jahr lang in Thailand und habe dort viele Menschen aus Bhutan kennengelernt«, erklärt Lili, wenn man sie fragt, warum sie sich das kleine Königreich in Südasien für ihr Auslandssemester ausgesucht hat.
Wie aber geht es weiter mit dem Baumhaus, wenn sie im Herbst Tausende Kilometer weit weg zieht? Wenn sie aus Bhutan zurückkommt, dann möchte sie in einem Hausprojekt wohnen, mit vielen anderen Menschen zusammen. Das Baumhaus jedenfalls werde der Familie überlassen, bei der sie derzeit noch im Garten wohnt. »Eventuell wird es wieder abgebaut, das ist momentan noch unklar«, sagt Lili.
Für sich selbst wollte sie ausprobieren, wie es sich ohne den Luxus einer normalen Mietwohnung leben lässt. Denn die sind für die rund 33 000 Studierenden in Freiburg fast unerschwinglich.