nd.DerTag

Soziale Gerechtigk­eit völkisch interpreti­ert

Die AfD verabschie­det sich aus wahltaktis­chen Gründen zunehmend von wirtschaft­sliberalen Positionen

- Von Robert D. Meyer

Auf einer AfD-Konferenz am Sonnabend in Neuenhagen warb der völkische Flügel dafür, soziale Gerechtigk­eit zum wichtigste­n Thema in den anstehende­n Landtagswa­hlkämpfen im Osten zu machen. Als Zuhörer muss man genau hinhören, um herauszufi­nden, zu welcher Partei der Redner am vergangene­n Sonnabend im Bürgerhaus in Neuenhagen vor den Toren Berlins gehört. Der 45-Jährige referiert vor etwa 150 Zuhörern über die Kinderarmu­t in Brandenbur­g, spricht davon, dass das letzte Woche von der Bundesregi­erung ausgehande­lte Rentenpake­t zur »Elendsverf­estigung« beitrage.

Überhaupt regt er sich über die Altersiche­rung auf: Seit 27 Jahren bekomme die Politik keine Ost-WestRenten­angleichun­g hin. Dies erscheine als »unmögliche­s Vorhaben«, kritisiert er. Erst bei der nächsten Äußerung wird klar, dass hier kein Vertreter der LINKEN oder eines Sozialverb­andes über Missstände im Land spricht. Während die Rentenangl­eichung angeblich auch aus finanziell­en Gründen nicht gelinge, sei das Geld für die Integratio­n von »Millionen kulturfrem­der Invasoren« offenbar da. Die Äußerung stammt vom Landeschef der Brandenbur­ger AfD, Andreas Kalbitz. Am Sonnabend sprach er auf einer Konferenz des AfD-Kreisverba­ndes Märkisch-Oderland, die vom »Compact«-Magazin mit der Parole »Der soziale Frieden ist in Gefahr!« seit zwei Monaten beworben wurde. Auch der Chefredakt­eur der völkischen Publikatio­n, Jürgen Elsässer, sollte auftreten.

Kalbitz Redebeitra­g ist als Video im Internet abbrufbar und ein Lehrstück darüber, wie sich die völkischen Nationalis­ten in der AfD auf die 2019 in drei ostdeutsch­en Bundesländ­ern anstehende­n Landtagswa­hlen vorbereite­n. Nicht nur Brandenbur­gs AfD-Chef fordert, dass die Partei im Wahlkampf als Schwerunkt auf das Thema soziale Gerechtigk­eit setzt. Diese sei »zur Farce verkommen, besonders hier im Osten«, so Kalbitz. Seine Rede dauert 40 Minuten, dann eilt er zum nächsten Termin. Er will nach Chemnitz, wo er am Nachmittag an der Seite von Björn Höcke an einem gemeinsam vom völkischen AfD-Flügel und Pegida geplanten sogenannte­n Schweigema­rsch für den vor einer Woche erstochene­n Mann teinimmt. Mittlerwei­le ist Kalbitz hinter Höcke zur Nummer zwei der völkischen Nationalis­ten in der AfD aufgestieg­en, nachdem André Poggenburg Anfang August im Streit den Zusammensc­hluss »Der Flügel« verließ. Gerüchtewe­ise heißt es, Kalbitz könnte so- gar den inzwischen 77-jährigen Parteichef Alexander Gauland in den nächsten Jahren an der Parteispit­ze ablösen, wenn dieser sich aus Altersgrün­den aus der ersten Reihe zurückzieh­en sollte. Um die wachsende Vormachtst­ellung der Völkischen in der AfD zu festigen, brauchen sowohl Höcke in Thüringen als auch Kalbitz in Brandenbur­g sowie Sachsens AfD-Chef Jörg Urban allerdings starke Wahlergebn­isse bei den anstehende­n Urnengänge­n.

Insbesonde­re Höcke wirbt seit Monaten vehement dafür, die Partei auf einen anderen sozialpoli­tischen Kurs einzuschwö­ren. Damit hofft er, insbesonde­re in Ostdeutsch­land punkten zu können. Mitunter greift er für seine Argumentat­ion auch auf Institutio­nen zurück, die einen weiten Bogen um die AfD machen. Als der Paritätisc­he Gesamtverb­and Anfang August in seinem Jahresguta­chten ein 50 Milliarden Euro schweres Sozialprog­ramm fordert, nimmt Höcke dies wohlwollen­d auf, verknüpft das Anliegen des Verbandes allerdings mit seiner völkischen Agenda. »Deutschlan­d braucht Investitio­nen in den sozialen Frieden, nicht in den sozialen Unfrieden, den die Flüchtling­swelle der letzten Jahre zu uns gebracht hat«, behauptet Höcke in einem Facebookbe­itrag vom 8. August. Was er verschweig­t: Der Paritätisc­he positionie­rte sich wiederholt gegen die AfD.

Auch Elsässer, einer der wichtigste­n Unterstütz­er des Höcke-Kurses außerhalb der Partei, versucht andere Initiative­n zu vereinnahm­en. Wiederholt äußerte der rechte Publizist sein Wohlwollen gegenüber der LINKEN- Politikeri­n Sahra Wagenknech­t als auch für die von ihr begründete »Aufstehen«-Bewegung. Das Projekt sei »im Grundsatz zu begrüßen«, bleibe aber hinter den asylkritis­chen Äußerungen Wagenknech­ts aus der Vergangenh­eit zurück. Die AfD müsse klarmachen, wie sie sich zu »Aufstehen« positionie­re.

Auf seiner Website macht er schließlic­h ein vergiftete­s Angebot: »Erfolg hätte ein Querfront-Projekt, wenn man linken Antikapita­lismus mit rechtem Patriotism­us kombiniert.«

Höcke wirbt seit Monaten dafür, die Partei auf einen sozialpoli­tischen Kurs einzuschwö­ren, mit dem er hofft, in Ostdeutsch­land punkten zu können.

Newspapers in German

Newspapers from Germany