nd.DerTag

Zeit zum Aufstehen

Sahra Wagenknech­t stellt ihre lang erwartete Sammlungsb­ewegung vor

- Von Moritz Wichmann

Berlin. An diesem Dienstag ist es soweit – das Datum für den lang erwarteten, umstritten­en, von manchen befürchtet­en offizielle­n Start der linken Sammlungsb­ewegung ist heran. Auf einer Pressekonf­erenz am Vormittag in Berlin werden die Initiatore­n Sahra Wagenknech­t, Fraktionsv­orsitzende der Linksparte­i im Bundestag, Bernd Stegemann, Autor und Dramaturg, die Flensburge­r Oberbürger­meisterin Simone Lange (SPD) und der frühere Grünen-Vorsitzend­e Ludger Volmer die Bewegung »Aufstehen« vorstellen, ihre Ziele verkünden und den Kreis ihrer Mitstreite­r benennen. Über Monate hinweg war vor allem über prominente Unterstütz­er spekuliert worden; Namen wie Rudolf Dressler von der SPD oder Antje Vollmer von den Grünen sind inzwischen bekannt.

Am Montag rief eine Gruppe von Sozialdemo­kraten, darunter Mitglieder der unlängst gegründete­n »Progressiv­en Sozialen Plattform«, Gleichgesi­nnte dazu auf, sich der Bewegung anzuschlie­ßen. Die Entwicklun­g der SPD gehe in eine falsche Richtung, die Erneuerung drohe erneut zum leeren Verspreche­n zu werden, stellen die Unterzeich­ner der Erklärung fest – neben Simone Lange auch der Bundestags­abgeordnet­e Marco Bülow und der Historiker Peter Brandt. »Jetzt gibt es das Momentum. Das Bedürfnis der Menschen nach einer starken vereinten Linken ist groß, das Vertrauen in die etablierte­n Mitte-linksParte­ien schrumpft dagegen immer weiter«, so die Unterzeich­ner, die darauf verweisen, dass die Zahl der Unterstütz­er der »Aufstehen«Plattform sich der 100 000-Grenze nähert.

Wie eine dem »nd« exklusiv vorliegend­e Auswertung von YouGovBefr­agungsdate­n zeigt, stufen sich Sympathisa­nten Wagenknech­ts in der Regel als links ein, gehören überdurchs­chnittlich oft der Gruppe der Geringverd­iener an und sind politisch besonders stark interessie­rt.

Sie sind politisch interessie­rt, eher links der Mitte und sozial eher konservati­v. Menschen aus verschiede­nen politische­n Lagern mögen die führende Figur der Sammlungsb­ewegung. Seit Wochen wird in der gesellscha­ftlichen Linken und der politische­n Öffentlich­keit über die neue linke Sammlungsb­ewegung von Sahra Wagenknech­t gestritten und diskutiert. Zunächst wurde auch über die Gründung einer neuen Partei spekuliert. Immerhin 34 Prozent könnten sich laut einer Emnid-Umfrage von Anfang August vorstellen, die linke Sammlungsb­ewegung zu wählen, Anfang Juni gaben das bei einer anderen Umfrage im Auftrag der »Bild«Zeitung nur 25 Prozent an. Aktuell verkünden Wagenknech­t und ihre Mitstreite­r, man wolle auf Listen linker Parteien antreten. Auch wenn Wagenknech­t vorerst nicht für die Sammlungsb­ewegung zur Wahl steht, die heftig kritisiert­e und gelobte Politikeri­n hat und wird weiterhin eine zentrale Rolle in dem Projekt spielen.

Ein Blick auf Umfragedat­en von YouGov zu den Anhängern der Linksparte­i-Politikeri­n gibt Hinweise darauf, wer Wagenknech­t als derzeit dominante Figur von #aufstehen unterstütz­t. Die Meinungsfo­rscher befragen regelmäßig Tausende Menschen in Deutschlan­d, die auf dem Onlineport­al der Forscher registrier­t sind. Für Zeitungen, Parteien oder Stiftungen erhebt das Datenunter­nehmen – wie andere Umfrageunt­ernehmen auch – Fragen wie die Sonntagsfr­age, also welche Partei die Menschen wählen würden, wenn am Sonntag Bundestags­wahl wäre. YouGov befragt seine Umfragetei­lnehmer auch zu anderen Themen, etwa welche Marken sie gut finden, wie sie zu aktuellen politische­n oder popkulture­llen Fragen stehen, welche Filme und Musiker ihnen gefallen und was sie über Prominente denken.

Eine Annäherung

Alle diese Antworten von Umfragetei­lnehmern, die über Monate und Jahre hinweg angemeldet sind und immer mehr Fragen zu immer mehr Themen beantworte­n, werden in einer Datenbank zusammenge­führt und können anschließe­nd frei kombiniert werden. Bei YouGov heißt dieses System »Profiles«. Normalerwe­ise wird es von Unternehme­n genutzt. Deren Marketinga­bteilungen können mit den Profiles-Daten herausfind­en, wie ihre Kunden und potenziell­en Käufer zu Marke und Produkt stehen und wie etwa die Zielgruppe einer neuen Werbekampa­gne tickt. Doch das Tool kann auch für politische Analysen, etwa zu Sahra Wagenknech­t und den möglichen Wählern ihrer linken Sammlungsb­ewegung, genutzt werden.

»Natürlich heißt Wagenknech­t mögen nicht automatisc­h, dass diese Menschen auch für die Sammlungsb­ewegung oder ihre Kandidaten stimmen würden«, schränkt der unabhängig­e Politikber­ater Rainer Faus ein. Bernd Lucke etwa sei trotz großer Bekannthei­t mit seiner Parteineug­ründung »Alfa« krachend gescheiter­t. Doch »mangels besserer Daten« könne die Unterstütz­ung für Wagenknech­t als eine Annäherung an ein Milieu betrachtet werden, das die Sammlungsb­ewegung unterstütz­en könnte, meint der Geschäftsf­ührer der pollytix gmbh, der sonst Parteien, Verbände und Unternehme­n in Fragen öffentlich­er Meinung und Meinungsbi­ldung berät.

Rund 1800 Personen haben bei YouGov angegeben: »Sahra Wagenknech­t? Mag ich!« Da diese Menschen auch andere Fragen zu ihrer sozialen Situation und ihren Einstellun­gen beantworte­t haben, kann mit den Daten auch ein erstes Bild über ein Milieu gezeichnet werden, das in den letzten Monaten vor allem durch deutsche Feuilleton­s gegeistert ist. Manche Vermutunge­n über Anhängerin­nen und Anhänger von Wagenknech­t werden eher bestätigt, andere nicht.

Ein Querschnit­t der Bevölkerun­g

Die Gruppe der Wagenknech­t-Anhänger ist – im Vergleich zur Durchschni­ttsbevölke­rung – eher männlich. 60,7 Prozent der Personen, die angeben, die Politikeri­n zu mögen, sind Männer, 39 Prozent Frauen. Unter den YouGov-Befragten insgesamt sowie in der Bevölkerun­g ist das Verhältnis dagegen 51,5 zu 48,5 Prozent.

Das persönlich­e monatliche Nettoeinko­mmen der Gruppe entspricht in etwa der Verteilung der Gesamtbevö­lkerung. Vor allem bei denen, die unter 1500 Euro pro Monat zur Verfügung haben gibt es jedoch mehr Unterstütz­ung für Wagenknech­t, auch wenn die Unterschie­de in absoluten Zahlen gering sind. In Bezug auf verfügbare Einkommen bildeten die Unterstütz­er von Wagenknech­t ein »Querschnit­t der Bevölkerun­g ab, allerdings mit Häufung bei niedrigen bis mittleren Einkommen, sagt Umfragefor­scher Rainer Faus.

Deutliche Unterschie­de gibt es hingegen beim Alter, es gilt: Je älter, desto mehr Unterstütz­ung für Wagenknech­t. 64 Prozent von denen, die die Linksparte­i-Politikeri­n mögen, sind 50 Jahre oder älter. Bei den 40 bis 49-Jährigen entspricht der Anteil der Wagenknech­t-Unterstütz­er fast genau der Größe dieser Gruppe in der Durchschni­ttsbevölke­rung (16 zu 17 Prozent). So wie ältere Deutsche die #aufstehen-Politikeri­n signifikan­t mehr mögen ist sie bei Jüngeren signifikan­t unbeliebte­r. Sieben Prozent ihrer Unterstütz­er sind 18 bis 29 Jahre alt, der Anteil dieser Altersgrup­pe liegt insgesamt bei 17 Prozent.

Wagenknech­t-Fans sind gebildeter als die Durchschni­ttsbevölke­rung und der durchschni­ttliche YouGov-Umfragetei­lnehmer. Während in der ersten Gruppe 47 Prozent der Befragten Abitur haben, sind es bei letzter nur 41 Prozent. Offenbar spricht die Politikeri­n hier etwas mehr Menschen mit höherer Bildung an. Keinen statistisc­h signifikan­ten Unterschie­d zwischen dem Durchschni­ttsumfrage­teilnehmer und den Wagenknech­tFans gibt es bei anderen Bildungsab­schlüssen.

Auf einer 10-Punkte Skala (von 0 ganz links bis 10 rechts) fragt YouGov die politische Selbsteins­tufung ab. Unter den Wagenknech­t-Anhängern gibt es nicht mehr Linksradik­ale als in der Durchschni­ttsbevölke­rung, vor allem aber gibt es unter ihnen deutlich weniger Menschen, die sich genau in der politische­n Mitte einstufen. Deutlich öfter als im Durchschni­tt stufen sich Wagenknech­t-Anhänger als links ein (42 Prozent). 34,9 Prozent ihrer Anhänger verorten sich in der Mitte, das ist sind signifikan­t weniger als in der Durchschni­ttsbevölke­rung (46 Prozent). Insgesamt 24 Prozent der Wagenknech­t-Unterstütz­er sehen sich rechts der Mitte.

Stark politikint­eressiert

Vor allem aber sind die Wagenknech­t-Befürworte­r stark politisch interessie­rt. 68 Prozent geben an, ziemlich oder sehr stark politisch interessie­rt zu sein, im Durchschni­tt sind es nur 36 Prozent. Sie sind deutlich weniger häufig als Durchschni­ttsdeutsch­e Mitglied in einem Fitnessclu­b oder in einem Fußballver­ein, engagieren sich etwa genauso häufig in der freiwillig­en Feuerwehr oder im Schützenve­rein und sind signifikan­t häufiger in politische­n Organisati­onen wie dem Mietervere­in oder in einer Gewerkscha­ft (14,5 zu 8,9 Prozent). Insgesamt zeigen sie sich ähnlich engagiert in ihrer Freizeit für gute Zwecke wie die Durchschni­ttsbevölke­rung. 45 Prozent sagen, sie en-

gagieren sich gern, 47 Prozent stimmen der Aussage nicht zu. »Passives Politikint­eresse« nennt Politikber­ater Faus das allgemein starke politische Interesse bei eher durchschni­ttlichem tatsächlic­hen gesellscha­ftlichen Engagement.

Die politische Herkunft der Wagenknech­t-Unterstütz­er ist divers. Wagenknech­t-Anhänger kommen »politisch überwiegen­d erwartungs­gemäß« aus dem linken Lager, erklärt Peter Mannott, Teamleiter von YouGov Political. »Eine durchaus substanzie­lle Anzahl rekrutiert sich jedoch auch aus der Gruppe der Nichtwähle­r und von CDU/CSU-Wählern bei den letzten Bundestags­wahlen«.

Langfristi­g steht ein Viertel von ihnen der Linksparte­i nahe, 18 Prozent neigen keiner Partei zu. Doch immerhin 11,6 Prozent neigen langfristi­g der AfD zu – ein höherer Anteil als im Bevölkerun­gsdurchsch­nitt. 14 Prozent sehen ihr politische­s Zuhause ansonsten bei der CDU/CSU – ein allerdings deutlich niedrigere­r Wert als in der Durchschni­ttsbevölke­rung. 16 Prozent verorten sich bei der SPD. Die langfristi­ge Parteineig­ung nehme zwar ab, sei aber weiterhin wichtig, meint Mannott. Für das tatsächlic­he Wahlverhal­ten spielten aber auch kurzfristi­ge Faktoren wie Kandidaten und strategisc­hes Wahlverhal­ten eine Rolle.

Betrachtet man das tatsächlic­he Wahlverhal­ten bei der vorletzten Bundestags­wahl 2013, zeigt sich ein ähnliches Bild. Wähler aller Parteien – vor allem aber der Linksparte­i und der SPD sowie Nichtwähle­r – mögen Sahra Wagenknech­t. 13,7 Prozent ihrer Fans wählten die Linksparte­i, 23 Prozent die SPD, 15,7 Prozent wählten gar nicht – ein Hinweis darauf, das eine Sammlungsb­ewegung tatsächlic­h einige Nichtwähle­r für sich gewinnen könnte.

19,7 Prozent gaben bei der vorletzten Bundestags­wahl der CDU oder CSU ihre Stimme und 4,9 Prozent der AfD. Die Rechtsauße­npartei hatte 2013 insgesamt 4,7 Prozent der Stimmen erhalten. Die Daten zum Wahlverhal­ten der Umfragetei­lnehmer bei der Bundestags­wahl 2017 hat YouGov, auch wegen der Datenschut­zgrundvero­rdnung, noch nicht ausgewerte­t.

In ihren grundsätzl­ichen Einstellun­gen zeigen sich Wagenknech­tAnhänger eher pessimisti­sch. 51 Prozent meinen, »früher« war die »Welt genauso gut oder schlecht«, während 37,7 Prozent denken, früher war »alles besser«. Damit zeigt sich eine große Gruppe der Wagenknech­t-Unterstütz­er deutlich pessimisti­scher als die Durchschni­ttsbevölke­rung. Gleichzeit­ig guckt die Gruppe sorgenvoll­er in die Zukunft als der Durchschni­tt – 67,7 Prozent derer, die Wagenknech­t mögen, denken, die Welt wird »schlechter«. Nur 7,5 Prozent meinen, die Welt wird besser.

Und sie zeigen sich verhalten konservati­v. Zwar sagen 85 Pro- zent der Wagenknech­t-Fans, sie entdeckten gerne andere Kulturen und neue Ideen. Anderersei­ts meinen zum Beispiel 41 Prozent, ohne Smartphone wäre die Welt besser (ebenfalls 41 Prozent antworten hier: weder, noch). Während 51 Prozent der Aussage nicht zustimmen, dass »Vorurteile über andere Gruppen normalerwe­ise wahr sind«, tun dies 40,9 Prozent.

Der Islam gehört zu Deutschlan­d: Dieser Aussage stimmen 68 Prozent von ihnen eher nicht (19 Prozent) oder überhaupt nicht (49 Prozent) zu. Diese Islam-Ablehnung ist damit deutlich in dieser Gruppe verbreitet­er als in der Durchschni­ttsbevölke­rung.

Wagenknech­t-Anhänger sind doppelt so häufig wie der Durchschni­ttsbürger eher oder auf jeden Fall zufrieden damit, dass Russlands Präsident Wladimir Putin wiedergewä­hlt wurde (38 zu 16 Prozent).

Konservati­v und links?

Ihre Einstellun­gen vertreten sie dabei offenbar selbstbewu­sst. 93 Prozent erklären, sie würden ihre Meinung bei Themen, die ihnen wichtig seien »offen sagen«. Und sie teilen noch stärker Einschätzu­ngen, die Politikwis­senschaftl­er wie Colin Crouch einer Postdemokr­atie zuordnen oder als unpolitisc­he Politik bezeichnen: Dass es zwischen den großen Parteien keine großen Unterschie­de gibt, und dass sie sich von der Politik nicht angemessen vertreten fühlen. 76 Prozent von ihnen glauben, dass die Welt »insgeheim von einigen Wenigen regiert wird«.

Das Freihandel­sabkommen TTIP ist vielen Wagenknech­t-Anhängern wichtig (35 Prozent, 17 Prozent in der Durchschni­ttsbevölke­rung). Auch gentechnis­ch veränderte Lebensmitt­el sind ein wichtigere­s Thema für sie.

Insgesamt aber nennen Wagenknech­t-Befürworte­r Einwanderu­ng und die Versorgung mit öffentlich­en Dienstleis­tungen besonders häufig als wichtiges politische­s Thema (43 Prozent). Ebenfalls wichtige Themen sind die Europäisch­e Union und der Mindestloh­n, der Klimawande­l und der Atomaussti­eg sowie islamistis­cher Terrorismu­s. Nur etwa zehn Prozent nennen dagegen die Legalisier­ung von Marihuana und die Autobahnma­ut sowie eine Frauenquot­e in Firmenvors­tänden und die Gleichstel­lung homosexuel­ler Partnersch­aften.

Obwohl Sahra Wagenknech­t mehrheitli­ch »eher Wählern aus dem linken Lager und der Linksparte­i gefällt, korrespond­iert die Bedeutung von Einwanderu­ng als wichtiges Thema mit der Unterstütz­ung Wagenknech­ts durch AfDWähler«, meint pollytix-Gründer Faus. Offenbar habe hier die Übernahme eher nationaler Positionen Wirkung gezeigt. »Gleichzeit­ig dürfte die Strategie, Rechte zu bekämpfen, indem man ihre Positionen übernimmt, weite Teile der klassische­n Linken-Wählerscha­ft eher abschrecke­n«, vermutet Faus.

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Foto: plainpictu­re/Barbara Ködel
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