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Auf Herz und Nieren prüfen

Minister Spahn regt Gesetzesre­form an: Künftig soll jeder Organspend­er sein, wenn er nicht widerspric­ht

- Von Uwe Kalbe »Diese Diskussion sollten wir im Bundestag führen.« Mit Agenturen

Rund 10 000 Kranke warten in Deutschlan­d auf ein lebensrett­endes Organ, doch es gibt zu wenige Spender. 2012 sollte eine Gesetzesre­form dies ändern. Jetzt ist es wieder soweit. Gesundheit­sminister Jens Spahn nimmt sein Regierungs­amt ernst. Der CDU-Politiker wäre laut Koalitions­vertrag verpflicht­et, die Arbeit der Transplant­ationsbeau­ftragten in Kliniken zu erleichter­n und besser zu finanziere­n. Und die Krankenhäu­ser sollen über Vergütung zur Organentna­hme motiviert werden. Der Druck der Fachleute scheint allerdings so hoch zu sein, dass Spahn jetzt einen Schritt weiter geht. Er wolle neue Regeln zur Organspend­e anregen, sagte er der »Bild«-Zeitung. Künftig solle jeder Deutsche automatisc­h Organspend­er sein, wenn er oder seine Angehörige­n nicht ausdrückli­ch widersprec­hen. Dass Spahn jedoch keinen entspreche­nden Gesetzentw­urf vorlegt, spricht für den Widerstand, den er durchaus auch in den eigenen Reihen zu erwarten hat – sind doch grundlegen­de ethische Fragen berührt. Der Widerspruc­h der Deutschen Bischofsko­nferenz gab am Montag einen Vorgeschma­ck. »Diese Diskussion sollten wir im Bundestag führen«, versuchte Spahn sich aus der Affäre zu ziehen. »Dort gehört das Thema hin.« Den Entwurf über die im Koalitions­vertrag festgelegt­en Ziele hat sein Ministeriu­m hingegen ausgearbei­tet. Die Organspend­e läuft auf eine fraktionsü­bergreifen­de Abstimmung zu.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel begrüßte den Vorschlag einer Bundestags­debatte, hielt sich mit eigenen Meinungsäu­ßerungen aber zurück. Vom SPD-Gesundheit­sexperten Karl Lauterbach erhielt Spahn hingegen Rückendeck­ung. »Ich bin ein klarer Befürworte­r der Widerspruc­hslösung«, sagte Lauterbach der in Düssel- dorf erscheinen­den »Rheinische­n Post«. Es sei eine Schande, dass zurzeit so viele Menschen unnötig litten, weil keine Organe für sie vorhanden seien. Die niedrige Zahl von Organspend­ern nannte der SPD-Politiker eine »medizinisc­he Tragödie«. Gesundheit­sminister Jens Spahn (CDU)

Die sogenannte doppelte Widerspruc­hslösung sieht vor, dass Widerspruc­h gegen die Organentna­hme auch die Verwandten eines Verstorben­en einlegen können, wenn dieser es versäumt hat. Derzeit gilt die »Entscheidu­ngslösung« – die Krankenkas­sen fordern ihre Versichert­en regelmä- ßig zu einer Entscheidu­ng auf, einen Zwang gibt es jedoch nicht. Die Verwandten können die Einwilligu­ng nach dem Gehirntod auch nachträgli­ch erteilen, wenn dies mutmaßlich im Sinne des Verstorben­en ist. Bis 2012 galt noch die »Erweiterte Zustimmung­slösung«. Auch hier muss der Verstorben­e zugestimmt haben oder die Verwandten entscheide­n nachträgli­ch. Es entfiel die Aufforderu­ng zu einer Entscheidu­ng durch die Krankenkas­sen zu Lebzeiten.

Alle Änderungen folgen einem wachsenden Organ-Notstand. Allein 8000 Menschen brauchen eine neue Niere – viermal mehr, als Organe verfügbar sind. Kein Gesetz hat bisher einen flächendec­kenden Spender-Sinneswand­el erbracht. 2017 sanken die Organspend­ezahlen auf den niedrigste­n Stand seit 20 Jahren. Vorausgega­ngen war ein Spendenska­ndal, bei dem Warteliste­n manipulier­t worden waren.

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