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Die vergessene­n Kinder auf Nauru

Australien­s Regierung macht das Flüchtling­slager auf der winzigen Pazifikins­el zur Hölle

- Von Barbara Barkhausen, Sydney

Berichte über kranke Kinder im Flüchtling­slager auf der Pazifikins­el Nauru häufen sich. Ein neuer Report über das abgeschirm­te Camp der australisc­hen Regierung zeigt nun das Ausmaß der Krise. Eine Mädchen versuchte sich selbst anzuzünden, ein Teenager ist im Hungerstre­ik, ein 12-jähriger Junge musste nach Brisbane geflogen werden, nachdem er nur noch 36 Kilo wog und nicht mehr stehen konnte. All dieser Nachrichte­n stammen aus den vergangene­n Wochen, sie alle betreffen Kinder im australisc­hen Flüchtling­slager auf Nauru.

Während derzeit das Pazifikfor­um auf Nauru tagt, versuchen Hilfsorgan­isationen, über das Ausmaß der Krise in dem Lager zu informiere­n. Ein aktueller Bericht des australisc­hen Flüchtling­srates und des Asylum Seeker Resource Centre (ASRC) zeigt auf, dass unter den 109 Kindern, die mit ihren Familien auf der Pazifikins­el festgehalt­en werden, schon bei den ganz Kleinen Tendenzen zur Selbstverl­etzung oder gar zum Selbstmord existieren.

Dazu kommt, dass etwa 35 Menschen von ihren Familien getrennt worden sein sollen. »Es gibt Väter, die ihre Babys nie gehalten haben, Mütter, die ihre Kinder auf Nauru zurücklass­en mussten«, heißt es vonseiten des Flüchtling­srates.

Das Lager auf Nauru ist seit sechs Jahren in Betrieb. Die Behörden schieben Asylsuchen­de und Flüchtling­e, die versuchen, mit dem Boot nach Australien zu gelangen, dorthin ab. Seit 2013 nimmt das Land grundsätzl­ich keine Bootsflüch­tlinge mehr auf. Viele sitzen seit Jahren auf Nauru fest. Einige der Kinder wurden in dem Lager geboren oder haben den größten Teil ihres Lebens in Haft verbracht – ohne zu wissen, wie ihre Zukunft aussehen wird. »Das sind sechs Jahre eskalieren­der Missbrauch, sechs Jahre Trauma, sechs Jahre Geheimnisk­rämerei und sechs Jahre, in denen unsere Politiker versuchen, die grimmige Realität zu verbergen«, sagt Kelly Nicholls vom australisc­hen Flüchtling­srat.

Zwischenze­itlich hatte es Hoffnung für die Lagerinsas­sen auf Nauru und für Asylsuchen­de gegeben, die auf der zu Papua-Neuguinea gehörenden Insel Manus leben. Denn ein australisc­h-amerikanis­cher Deal sah die Umsiedlung von 1250 Menschen vor – doch wie Hilfsorgan­isationen berichten, sind letztlich nur weniger als 400 in den vergangene­n zwei Jah- ren in den USA aufgenomme­n worden. Das Angebot der neuseeländ­ischen Regierung, einen Teil der Flüchtling­e im Nachbarsta­at anzusiedel­n, hat die australisc­he Regierung bisher nicht akzeptiert. Sie fürchtet, dass die frühere Praxis, mit teils seeuntücht­igen Booten aus Indonesien überzusetz­en, so wieder neuen Aufschwung erfahren könne. Ihre restriktiv­e Politik hatte die Boote mehr oder weniger gestoppt.

Etliche Kinder in dem Lager auf Nauru sind inzwischen an dem sogenannte­n Resignatio­nssyndrom erkrankt. Von diesem Phänomen wurde 2014 erstmals aus Schweden berichtet. Damals fielen Hunderte Kinder aus geflüchtet­en Familien in einen komaähnlic­hen Zustand, nachdem ihre Familien darüber informiert wurden, dass sie in ihr Heimatland abgeschobe­n werden sollten. Auf Nauru spielt sich derzeit ei- ne ähnliche Krise ab. Auch hier greift die mysteriöse Krankheit um sich. Das ASRC schätzt, dass mindestens 30 Kinder in dem Lager an dem Syndrom leiden. Die Betroffene­n ziehen sich als Reaktion auf ein schweres Trauma zurück. Der Zustand kann lebensbedr­ohlich sein, da die Opfer nicht mehr essen und trinken.

Naurus Präsident Baron Waqa behauptete am Wochenende in einem Interview mit »Sky News«, dass die Flüchtling­shelfer und die Eltern an der Krise schuld seien. Sie würden die Kinder dazu drängen, sich selbst zu schaden. »Es ist ihre Art, mit dem System umzugehen und eine Abkürzung zu finden, um nach Australien zu gelangen«, behauptete er. Diese Vorwürfe wurden von Louise Newman von der Organisati­on Doctors for Justice in einem Interview mit dem Sender ABC zurückgewi­esen. Sie bezeichnet­e Waqas Aussagen »aus mo- ralischer Sicht als skrupellos«. Nauru hat mehreren australisc­hen Medienvert­retern, die über das derzeitige Pazifikfor­um berichten wollten, die Einreise untersagt. Auch der öffentlich­rechtliche Sender ABC wurde nicht zugelassen.

Gleichzeit­ig haben 84 Nichtregie­rungsorgan­isationen aus dem gesamten Pazifikrau­m auf Initiative von Amnesty Internatio­nal einen offenen Brief unterzeich­net, in dem sie verlangen, das Thema der Asylsuchen­den zum wichtigste­n Punkt der Tagesordnu­ng während des Forums zu machen. »Dies ist eine verzweifel­te Situation, die dringend Maßnahmen erfordert«, sagte Roshika Deo von Amnesty Internatio­nal. Die Regierungs­chefs der Region dürften nicht länger tatenlos zusehen, wie die »schändlich­e« Politik der australisc­hen Regierung weiterhin Leben gefährde.

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Foto: imago/ZUMA Press Protest in Sydney gegen die Deportatio­n von Kindern nach Nauru und Manus

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