Peking beendet jahrzehntelange Familienplanung
Nach der Ein-Kind-Politik wird die chinesische Bevölkerung nun zum Kinderkriegen angehalten
Es mehren sich die Hinweise, dass Chinas Regierung die Ende der 1970er Jahre schrittweise eingeführten Maßnahmen zur Geburtenbeschränkung aufheben will. Die Ein-Kind-Politik war während Jahrzehnten unantastbare Staatsdoktrin in China. Nun wachsen in Peking die Bedenken wegen einer alternden Bevölkerung und der sinkenden Geburtenrate. Nach den geltenden Regeln der Familienplanung ist es den meisten chinesischen Paaren bereits erlaubt, zwei Kinder zu haben, seitdem die berüchtigte Ein-Kind-Politik gelockert wurde. Laut einem Reformentwurf des Zivilgesetzbuches könnten nun Familien zum ersten Mal seit Jahrzehnten sogar wieder mehrere Kinder haben, ohne Maßnahmen des Staates fürchten zu müssen.
Wird der Politikwechsel bestätigt, markiert er das Ende eines der umstrittensten Gesetze in Chinas moderner Geschichte. Die Methoden zur Durchsetzung der bisherigen Politik waren oft brutal. Es gibt kaum eine Familie im Land, die nicht unter der strikten Familienplanung zu leiden hatte. Fast jede kann von einer Mutter oder Tante erzählen, die abtreiben oder ein Kind weggeben musste. Frauen berichten von Zwangssterilisationen, hohen Geldstrafen und selbst der Vertreibung aus ihren Häusern, wenn sie versuchten, ein zweites Kind zu gebären.
Unmittelbar nach der Einführung galt die Ein-Kind-Regel allerdings noch als Erfolg, weil die Fruchtbarkeitsrate von etwa sechs Geburten pro Frau in den 1960er Jahren auf weniger als zwei in diesem Millennium zurückging. Doch muss die Regierung nun die Menschen im Land angesichts sinkender Geburtenraten dazu anhalten, wieder mehr Kinder zu bekommen – nicht zuletzt, weil die bisherige Politik besorgniserregende Folgen für das Geschlechtergleichgewicht hat. Der Wunsch nach männlichem Nachwuchs führte sogar zu Morden, um sicherzustellen, dass das einzige Kind eines Paares ein Junge ist. 2016 gab es in China 1,15 Männer pro Frau, eines der am stärksten verzerrten Geschlechterverhältnisse auf der Welt.
Dieser Tage hieß es nun in einer kurzen Erklärung des Nationalen Volkskongresses, das revidierte Zivilgesetzbuch werde »den relevanten Inhalt der Familienplanung nicht beibehalten«. Offen bleibt dabei, ob ab 2020 doch noch gewisse Einschränkungen für chinesische Familien bestehen bleiben. Aber einer grundsätz- lichen Änderung der strengen Familienplanung zugunsten einer geburtenfreundlichen Politik scheint nichts mehr im Wege zu stehen.
Sorgen um die Geburtenrate hatten Peking schon im Oktober 2015 dazu veranlasst, die Ein-Kind-Politik zu beenden und Eltern zu ermutigen, bis zu zwei Kinder zu haben. Doch zu Maya Wang, Human Rights Watch einem merklichen Anstieg der Rate haben die Veränderungen bislang noch nicht geführt. Im Jahr 2017 lag sie bei 1,6 Kindern pro Frau und damit deutlich unter der von 2,1, die Prognosen zufolge notwendig ist, um die Bevölkerung stabil zu halten. »Jetzt ist auch die chinesische Regierung der Meinung, dass sie ihre Kontrolle weiter lockern und die Ge- burtenkontrolle ganz abschaffen muss«, sagte die leitende China-Expertin von Human Rights Watch, Maya Wang, gegenüber CNN.
In Peking ist man auch besorgt, weil es inzwischen allenthalben an Kräften fehlt, um alternde Eltern und Großeltern zu unterstützen, während die Kosten für Kinder besonders in den Städten immer größer werden. Viele junge Menschen sind deshalb angesichts des finanziellen und Zeitaufwandes gar nicht mehr gewillt, überhaupt Kinder zu bekommen. So machen die über 65-jährigen heute rund zehn Prozent der Bevölkerung aus – das ist ein zweieinhalb Mal höherer Anteil als noch zu Beginn der Ein-Kind-Politik.
Inzwischen wird von manchen sogar befürchtet, dass die Regierung noch weiter gehen und energischere Maßnahmen zur Förderung von Schwangerschaften einführen könnte – einschließlich Strafen für Paare, die keine Kinder oder erst ein Kind haben. Auch wenn sie sich selbst keinen weiteren Nachwuchs wünschen. Wahrscheinlicher allerdings scheint eine sanfte geburtenfreundliche Politik, wie sie die meisten Länder der Welt kennen, mit angemessenem bezahlten Mutterschaftsurlaub, Kinderzulagen und billigeren oder sogar kostenlosen Kindergärten.
»Jetzt ist auch die chinesische Regierung der Meinung, dass sie ihre Kontrolle weiter lockern und die Geburtenkontrolle ganz abschaffen muss.«