nd.DerTag

Mein Pogrom

Andreas Koristka hat eingesehen, dass er die Schuld an den rechtsextr­emen Ausschreit­ungen in Chemnitz trägt

-

Manchmal merkt man erst später, was man angerichte­t hat. In meinem Fall ist es so, dass ich für die Ausschreit­ungen in Chemnitz verantwort­lich bin. Dafür noch mal ein dickes Sorry an alle, die darunter leiden mussten – an die zusammenge­schlagenen Ausländer, Linken und an den zu Anne Will gemusst habenden sächsische­n Ministerpr­äsidenten Michael Kretschmer. Ich nehme das alles auf meine Kappe und werde versuchen, dass so etwas nicht wieder vorkommt.

Bemerkt habe ich meine Schuld, als ich Harald Martenstei­ns neuesten Kommentar im »Tagesspieg­el« gelesen habe. Darin sagt er: »Wenn man den Leuten immer wieder erklärt, ihr legitimes Bedürfnis nach Sicherheit sei eine rechtsradi­kale Idee, dann glauben sie es irgendwann.«

Wenn Martenstei­n von Sicherheit spricht, dann spricht er natürlich nicht von der gestiegene­n Zahl von Verkehrsto­ten in Sachsen, die im ersten Halbjahr 2018 auf 88 (!) stieg. Nein, es geht selbstrede­nd um den männlichen Alleinreis­enden, den man vor allem nachts im Dunkeln sieht, wenn man seine Klamotten ein bisschen komisch über den Stuhl gehängt hat. Auch ich habe viel über diese Angst gelästert und habe Personen, die so eine schrecklic­he Angst vor Flüchtling­en haben, dass sie Wohnheime anzünden, voreilig als Faschisten verunglimp­ft. Damit habe ich zu dem ungünstige­n gesellscha­ftlichem Klima beigetrage­n, das nach Martenstei­ns Meinung Nazis erschafft. Selbst die beiden Uwes vom NSU sollen ja am Ende geglaubt haben, rechtsradi­kal zu sein ...

Bleiben wir bei meiner konkreten Schuld: Wie viele Millionen unbescholt­ene Bürger werden an jedem dritten Dienstag wie gewöhnlich meine Artikel im »nd« gelesen ha- ben? Wie viele von ihnen werden danach aufgebrach­t ihre Lesebrille abgesetzt und die Zeitung zugeschlag­en haben? Wie viele werden sich daraufhin in einem Kampfsport­club angemeldet und Anschluss an die rechtsradi­kale Hooligansz­ene des Chemnitzer FC gesucht haben? All das nur, weil sie sich von mir als Nazis verunglimp­ft sahen. Und wie viele Milliarden werden ihnen gefolgt sein, weil meine Artikel im »Eulenspieg­el« nicht besser waren? Ich weiß nicht, wie ich das wieder gut machen kann.

Meine Meinung war so laut, dass man den Grundtenor der deutschen Presse seit 2015, wonach man die Ängste und Sorgen der Bevölkerun­g ernst nehmen müsse, egal, wen sie grade mit ihren Mistforken durch die Innenstädt­e jagte, kaum mehr wahrnehmen konnte. All die beschwicht­igenden Kommentare beim MDR, die »Bild«-Zeitung, die jede Straftat eines Flüchtling­s aufblähte und ihre Messermänn­erkampagne, die AfD, jede zweite Talkshow der Öffentlich­Rechtliche­n zu den Problemen der Migration, Thilo Sarrazin, Jan Fleischhau­er, Bosbach, Seehofer, Dobrindt, Kubicki, Udo Voigt und Harald Martenstei­n ... – alle wurden von mir übertönt.

Jetzt habe ich den Salat, denn dass ein rechter Mob Menschen angreift und mit Hitlergrüß­en und Björn Höcke durch die Straßen marodiert, habe ich natürlich nicht gewollt. Ich könnte mir vorstellen, dass ich alles wieder gutmachen könnte, wenn ich einmal laut sagen würde, dass ich die rechten Demonstran­ten in Chemnitz nicht für ein ekelerrege­ndes Faschisten­pack hielte. Aber so weit bin ich nach Aussage meines Therapeute­n noch nicht.

Vielleicht werde ich deshalb irgendwann für meine Entgleisun­gen gerade stehen müssen. Die AfDHochtau­nus hat ja bereits auf Facebook in einem nachdenkli­chen Post nüchtern auf folgenden Sachverhal­t hingewiese­n: »Bei uns bekannten Revolution­en wurden irgendwann die Funkhäuser sowie die Presseverl­age gestürmt und die Mitarbeite­r auf die Straße gezerrt.«

Für mich ist der Zug vielleicht abgefahren. Aber hoffentlic­h erinnert sich die AfD daran, sollte auch die »Tagesspieg­el«-Redaktion gestürmt werden, dass Harald Martenstei­n von Beginn an auf der richtigen Seite stand! Das wäre ihm zumindest zu wünschen. So recht dran glauben, kann ich leider nicht.

 ?? ist Redakteur des Satiremaga­zins »Eulenspieg­el«. Foto: nd/Camay Sungu ?? Andreas Koristka
ist Redakteur des Satiremaga­zins »Eulenspieg­el«. Foto: nd/Camay Sungu Andreas Koristka

Newspapers in German

Newspapers from Germany