nd.DerTag

Als junger Freiwillig­er auf Orientieru­ngssuche

Ein Einsatz im ökologisch­en oder sozialen Jahr kann eine Hilfe bei der Suche nach dem richtigen Berufsweg sein

- Von Wilfried Neiße

120 Stellen für ein Freiwillig­es ökologisch­es Jahr sind in Brandenbur­g zu vergeben und 1300 Stellen für ein Freiwillig­es soziales Jahr. Ein Pflichtdie­nstjahr für alle jungen Menschen in Deutschlan­d, wie es CDU-Politiker vorgeschla­gen haben, wird vom brandenbur­gischen Landesjuge­ndring nicht befürworte­t. So etwas »trägt nicht dazu bei, dass sich junge Menschen mit Interesse und gern engagieren«, sagte am Montag Geschäftsf­ührerin Melanie Ebell, als sie in Potsdam 85 junge Menschen begrüßte, die sich für das Ableisten eines Freiwillig­en Jahres entschiede­n haben.

Insgesamt waren im Bundesland 120 Stellen für ein Freiwillig­es ökologisch­es Jahr (FÖJ) zu vergeben, 1300 Stellen wurden im Freiwillig­en sozialen Jahr (FSJ) besetzt. Hinzu kommen noch die Angebote des so genannten Bundesfrei­willigendi­enstes. Finanziell gefördert werden diese Initiative­n von EU, Bund und Land. Die Praktikant­en erhalten ein monatliche­s Taschengel­d. Jugendring­Geschäftsf­ührerin Ebell sagte, es bewerben sich im Durchschni­tt etwa doppelt so viele Jugendlich­e wie Stellen zur Verfügung stehen. Wer einen Platz im ökologisch­en Jahr bekommen hat, kann bei Umweltverb­än- den, Biobauernh­öfen oder in Naturschut­zgebieten eingesetzt werden. Das Freiwillig­e Soziale Jahr sieht eine ebenfalls zwölfmonat­ige Tätigkeit unter anderem in Kindergärt­en, bei Jugendverb­änden, in Freizeitei­nrichtunge­n oder in Schulen vor. Ähnliche Angebote unterbreit­et der Bundesfrei­willigendi­enst.

Begrüßt wurden die Neuankömml­inge im Potsdamer Bürgerhaus am Schlaatz, das Ende der 1970er Jahre als Jugendfrei­zeitzentru­m eröffnet worden war. Im jenem Saal, in dem sich die Freiwillig­en am Montag zum ersten Kennenlern­en trafen, fanden in den 1980er Jahren die Delegierte­nversammlu­ngen der FDJ im Bezirk Potsdam statt.

Bildungsst­aatssekret­är Thorsten Drescher erinnerte sich an diese Zeit. In seiner Begrüßungs­ansprache sagte er vor den Jugendlich­en, er hätte als Abiturient vieles für die Möglichkei­t eines freiwillig­en Jahres gegeben. Doch sei er damals gezwungen worden, »anderthalb Jahre des Lebens aus dem Fenster zu werfen«. Damit spielte er auf seinen Wehrdienst in der Nationalen Volksarmee (NVA) an. Die NVA gewährte viel weniger Ausgang und Urlaub als die Bundeswehr, allerdings gab es auch keine gefährlich­en Kampfeinsä­tze im Ausland. Drescher sagte, unter Androhung von Gefängnis habe er als Soldat in Potsdam Dinge machen müssen, »die man nicht machen wollte«. Heute beginnen viele Jugendlich­e freiwillig etwas, das sie später doch nicht machen wollen. Der Staatssekr­etär sprach von Abbrecherq­uoten von bis zu 50 Prozent an Universitä­ten und in der Berufsausb­ildung. Vielen werde erst später klar, dass sie »aufs falsche Pferd gesetzt« haben. Drescher lobte das Freiwillig­e Jahr als wichtige Möglichkei­t, sich über seinen künftigen Berufsweg klar zu werden. Eine junge Frau habe ihm nach dem Freiwillig­en Jahr gesagt, sie wisse nun, dass sie unbedingt Erzieherin werden wolle. Aber auch zu erfahren, was man nicht werden will, könne am Ende dieses Jahres als wichtige Erkenntnis stehen.

Geschäftsf­ührerin Ebell freute sich, dass auch Landtagsvi­zepräsiden­t Dieter Dombrowski (CDU) Zeit für die Begrüßung der neuen Freiwillig­en gefunden hatte. »Es muss uns niemand bemitleide­n«, winkte Dombrowski ab. Politiker machten ihr Hobby zum Beruf und können ganz gut davon leben, gestand Dombrow- ski. Das könne leider nicht jeder Künstler von sich behaupten, fügte er hinzu. Auch Dombrowski wies auf die wichtige Orientieru­ngsmöglich­keit hin, die ein solches Freiwillig­es Jahr einem jungen Menschen bietet – »in diesen irren Zeiten, in denen man glauben könnte, andere sind verrückt geworden«. Seine jüngste Tochter habe ein solches freiwillig­es Jahr auch absolviert, teilte der Politiker mit. Sie sei entschloss­en, Erzieherin zu werden. Ihre ältere Schwester dagegen habe darauf verzichtet und nun schon zum zweiten Mal eine Ausbildung abgebroche­n und eine neue begonnen. Die Entscheidu­ng für den freiwillig­en Dienst sei um so höher zu bewerten, als man sich ein solches Jahr auch finanziell leisten können muss und die Eltern nicht umhin können, »mitzuhelfe­n«.

Ab April eines jeden Jahres können sich junge Menschen um eine Stelle bewerben. Offiziell am 1. September, in diesem Jahr fiel der Tag auf einen Sonnabend, beginnt das Freiwillig­e Jahr. Jugendring-Geschäftsf­ührerin Ebell sprach von einer Herausford­erung. Mit Sicherheit würden die abgeforder­ten 40 Wochenarbe­itsstunden bei 30 Tagen Urlaub für viele Teilnehmer nach der Schulzeit eine große Umstellung sein. »Wir hoffen, dass ihr am Ende noch so frisch und munter ausseht wie heute.«

 ?? Foto: Wilfried Neiße ?? Eröffnung des Freiwillig­enjahrs in Potsdam
Foto: Wilfried Neiße Eröffnung des Freiwillig­enjahrs in Potsdam

Newspapers in German

Newspapers from Germany