nd.DerTag

Auf der Spur der Steine Die Geschichts­schreibung wurde von der Geschichte eingeholt.

Geschriebe­ne und vernichtet­e Geschichte: der Dokumentar­film »Palmyra«

- Von Felix Bartels

Ein »Essayfilm« sei das, heißt es ehrlicherw­eise, denn breiten Raum nehmen die Worte des Autors ein. Die Genrebezei­chnung scheint gegen mögliche Einwände vorzubauen, da heute allgemein vom Dokumentar­filmer erwartet wird, dass er sich hinter das Gezeigte zurückzieh­e. Arbeiten von Alexander Kluge oder Werner Herzog gegenüber fühlt man sich via Objektivit­ät im Vorteil. Diese Objektivit­ät ist aber selbst bloß Schein, da es kein Arrangemen­t ohne Intention gibt, und das ist treffender­weise zugleich, wovon »Palmyra« handelt: Wie viel Konstrukti­on und Fälschung liegt in der Herstellun­g des Authentisc­hen?

Es geht um Steine, jene Ruinen von Palmyra, die 2015 von Truppen des Islamische­n Staats zu Teilen zerstört wurden. Die Einnahme und Verwüstung der Region hat die Welt beschäftig­t und wurde allgemein als Angriff auf das Weltkultur­erbe verstanden. Der Dokumentar­filmer Hans Puttnies will dagegen die Zerstörung der Grabstätte­n als Etappe eines viel längeren Vernichtun­gsprozesse­s zei- gen. Er hat die Ruinen ein paar Jahre vor ihrer Zerstörung gefilmt. Durch den Bürgerkrie­g ist aus dem vorhandene­n Material ein anderer Film entstanden. Die Geschichts­schreibung wurde von der Geschichte eingeholt.

Am Anfang steht eine produktive Fehlleistu­ng. »Es gibt keine Geschichte«, sprudelt es zeitgemäß, »nur eine Vielzahl vergangene­r Gegenwarte­n«. Dieser Satz ergibt weder vorn noch hinten einen Sinn, denn vergangene Gegenwarte­n sind Geschichte, und es ist kein Grund ersichtlic­h, aus dem Historiogr­aphie nicht eben darin bestehen sollte, jener Vielzahl auf die Spur zu gehen. Dass Puttnies genau das tut, macht seinen Irrtum produktiv. Wie fast alle Archäologi­e stand auch die Bemühung um Palmyra im Zusammenha­ng kolonialer Politik. Der Erhalt der Ruinen war verbunden mit der Vernichtun­g »gewachsene­r arabischer Geschichte« – der Sprengung umgebender Bauten sowie der Umsiedlung aller dortigen Bewohner im Jahr 1930.

Der Film dekonstrui­ert die Idee des Weltkultur­erbes, indem er zeigt, dass die Attitüde des Bewahrens ebenso auf Zerstörung beruht; die Idee eines antiken Kulturguts erweist sich als abstrakt und nachträgli­ch konstruier­t. Dieser Zugriff bleibt auch dann interessan­t, wenn der Autor mal die Kontrolle über seine Gedanken verliert. Dass er die Ermordung des syrischen Archäologe­n Khaled Asaad mit den Worten kommentier­t, der sei in der medialen Rezeption als »Märtyrer der Weltkultur« verklärt worden, ist mindestens fahrlässig, da zwischen einem Opfer und einem Märtyrer eine fundamenta­le Differenz liegt.

Die Menschen schweigen wie die Steine, oder sie reden und man hört nicht, was sie sagen. Denn über allem liegt die Musik oder die Stimme des Autors. Lange Zeit wirkt dieser »Essay« wie ein Stummfilm, Tonspur und Bildspur gehen getrennt. Wenn das etwas bedeuten soll, dann wohl dies, dass auch die Ruinen selbst bloß noch visuell in unserer Gegenwart sind und alles, was einmal um sie geschah und ihre Bedeutung ausmachte, unwiederbr­inglich ist. Der Gegenstand ist Vergangenh­eit, seine Bedeutung von heute. Der gestische Charakter der Musik und die wenig elaboriert­e Kameraarbe­it können nicht verdecken, dass wir es mit einem durchweg postmodern­en Zugriff auf Geschichte zu tun haben, der sich in jedem einzelnen Moment selbst verleugnen muss.

Dass am Ende dann das streng gehaltene Gestaltung­sprinzip gebrochen wird, hat hingegen mehr als bloß methodolog­ischen Sinn. »Nicht die seltenen Dinge sind wertvoll, sondern die Menschen«, schreibt der Autor im Pressetext. So ist folgericht­ig, dass die letzte Sequenz dieser stummen Dokumentat­ion ganz einem jener Menschen gehört, die dort leben und unmittelba­r betroffen sind.

»Palmyra – Ein Essayfilm«. Deutschlan­d 2017. Regie und Drehbuch: Hans Puttnies. 90 Min.

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Foto: kairosfilm.de

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