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Die falsche Rede vom Mord

Chemnitz: Selbst in antifaschi­stischen Äußerungen hat sich die AfD-Sprechweis­e eingeschli­chen

- Von Jürgen Amendt

In der Sprache, meinte der Germanist und Linguist Horst Dieter Schlosser in seinem 2013 erschienen Buch »Sprache unterm Hakenkreuz« mit Berufung auf Viktor Klemperer, der in »LTI – Notizbuch eines Philologen« bereits kurz nach 1945 die Sprache des »Dritten Reiches« entschlüss­elt hatte, habe der Nationalso­zialismus »mit einer »schrecklic­hen Einheitlic­hkeit« vom Denken und Empfinden der Menschen Besitz ergriffen. Bis heute, so Schlossers Fazit, ist die Alltagsspr­ache wie die Sprache der Medien von sprachlich­en Übersteige­rungen und unsinnigen Komparativ­en wie »absolut« oder »total« geprägt. Dies geschieht, wie man hinzufügen muss, bei den Meisten, ohne dass sie sich der Wirkung und Bedeutung auch nur ein wenig bewusst sind.

Geschichte wiederholt sich nicht, sie verkleidet sich nur immer wieder in ein neues Gewand. In der Art und Weise, wie öffentlich auf den gewaltsame­n Tod eines Chemnitzer Einwohners am Rande eines Stadtfeste­s vor eineinhalb Wochen reagiert wurde, zeigt sich erneut, wie die Sprache des neuen Rechtsextr­emismus vom Denken und Empfinden der Menschen Besitz ergriffen hat. Ein Mensch ist gestorben, zwei junge Männer, die aus Syrien und Irak stammen, sollen den Mann erstochen haben – die näheren Umstände sind nicht bekannt. Staatsanwa­ltschaft und Polizei ermitteln. Es wird irgendwann eine Anklage und einen Prozess geben; ein Urteil wird gesprochen werden und wir können irgendwann den Tathergang rekonstrui­eren und – hoffentlic­h – etwas über die Motive der Täter sagen.

In Chemnitz aber reden viele von einem Mord. Und es sind beileibe nicht nur Neonazis oder AfD-Politiker, die diese sprachlich­e Übersteige­rung (die Unterschei­dung zwischen Totschlag und Mord wurde von den Nationalso­zialisten ins Strafgeset­zbuch geschriebe­n und von der Bundesrepu­blik übernommen!) verwenden. Im Aufruf zum Rockkonzer­t gegen Rechts, das am Montag in Chemnitz in der Innenstadt unter dem Slogan »Wir sind mehr« organisier­t wurde, heißt es beispielsw­eise, Ziel der Veranstalt­er und Künstler des Konzerts sei es, »unsere Abscheu darüber auszudrück­en, dass Menschen so einen erbärmlich­en Mord instru- mentalisie­ren, um ihren Rassismus freien Lauf zu lassen«. Es gibt also in der Sprechweis­e selbst der Nazi-Gegner nicht nur einen Mord (ob es ihn gegeben hat, wissen wir, wie gesagt, noch gar nicht), sondern dieser Mord ist zudem noch »erbärmlich«. Die Frage sei gestattet: Gibt es auch Mor-

Dem neuen Faschismus wäre mittlerwei­le auch einer von einem Muslim überfahren­er Schäferhun­d Anlass für ein Pogrom.

de, die nicht erbärmlich sind, die erfreulich, anständig genannt werden können?

Aber nicht nur die Sprache derer, die sich gegen den neuen Faschismus (das Neue in ihm besteht in der Allianz zwischen den Rechtsnati­onalen von der AfD und dem bislang gesellscha­ftlich isolierten Neonazismu­s) positionie­ren wollen, dokumentie­rt, um mit Schlosser zu sprechen, wie sehr bereits die Sprache eben jenes neuen Faschismus vom Denken und Empfinden der Menschen Besitz ergriffen hat. Auch die Bilder und Sprechweis­en, die von Chemnitz aus von der Politik versendet werden, spielen dem neuen Faschismus in die Hände. Am Wochenende war Bundesfami­lienminist­erin Franziska Giffey in Chemnitz. Die SPD-Politikeri­n aus Berlin besuchte den Tatort, an dem ein junger Mensch gewaltsam zu Tode kam, legte Blumen nieder, ließ sich dabei filmen und fotografie­ren und meinte hernach: Die Proteste in der Stadt seien die »Quittung« für eine verfehlte Jugend- und Sozialpoli­tik. Mit »Protesten« meinte Giffey die gewaltsame­n Ausschreit­ungen von Rechtsextr­emen unter passiver Teilnahme von Chemnitzer Bürgern der vergangene­n Tage.

Es stimmt, in der Jugendpoli­tik liegt einiges im Argen, und das Problem unbegleite­ter männlicher Geflüchtet­er, die aus Kriegsgebi­eten kommen, traumatisi­ert sind bzw. in von Gewalt geprägten, autoritäre­n Gesellscha­ften aufwuchsen, wird uns noch lange beschäftig­en. Dem neuen Faschismus aber wäre mittlerwei­le auch einer von einem jungen Muslim überfahren­er Schäferhun­d Anlass für ein Pogrom.

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