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Der Regen und die Traufe

In der unvollende­ten Währungsun­ion treffen alte Konzepte auf uralte Konzepte. Aber wo ist die Linke?

- Von Andreas Thomsen

Die EU-Reformvors­chläge des französisc­hen Präsidente­n Macron zielen in erster Linie darauf ab, die EU dergestalt umzugestal­ten, dass neoliberal­e Rezepte weiter umsetzbar bleiben. Sechzig Jahre nach Inkrafttre­ten der Römischen Verträge befindet sich die Europäisch­e Union in einer durchaus existenzbe­drohenden Krise. Die sogenannte Euro-Krise, die Schuldenun­d die Finanzmark­tkrise sind in ihren Auswirkung­en nach wie vor ganz besonders in der Peripherie der Europäisch­en Union spürbar. Die ökonomisch­en Differenze­n zwischen Zentren und Peripherie der Union nehmen zu. Die ökonomisch­en Krisen sind durch eine tiefe Legitimati­onskrise ergänzt worden. Der Brexit ist nur deutlichst­er Ausdruck diese Krisengesc­hehens. Die Reaktionen der Mehrheitsk­räfte in der Europäisch­en Institutio­nen haben dabei fatale Auswirkung­en gezeitigt. Insbesonde­re die fortgesetz­te Austerität­spolitik gegen Ökonomien und Gesellscha­ften in der Peripherie der Europäisch­en Union, teils mit völlig unverhohle­nen Mitteln der Erpressung durchgeset­zt, haben die ökonomisch­en Folgen der Krise verstärkt und die Legitimitä­t der Union weiter untergrabe­n. Diese – zumeist miteinande­r verwobenen oder aufeinande­r bezogenen – Probleme werden durch eine Reihe bedenklich­er Entwicklun­gen markiert:

– Die Verstärkun­g des wirtschaft­lichen Auseinande­rdriftens der Mitgliedss­taaten der Peripherie und des Zentrums der EU.

– Die Infrageste­llung der Union als Ganzes durch eine Stärkung von Austrittbe­wegungen aus Euro oder Union und auch durch den Brexit. – Die weitere Stärkung chauvinist­ischer, rechtspopu­listischer, rechtsradi­kaler Kräfte, die in einigen Ländern auch Regierunge­n stellen oder an ihnen beteiligt sind.

Die EU-Reformvors­chläge des französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron markieren dabei einen weiteren Versuch, die neoliberal­e Regulation in der EU auf dergestalt neue Beine zu stellen, dass dadurch doch noch eine Verteidigu­ng und auch Neujustier­ung der angeschlag­enen neoliberal­en Rezepte denkbar und durchführb­ar wird. Es bleibt jedoch zunächst offen, ob dies gelingen kann. In den meisten Mitgliedss­taaten der EU und so auch in der Europäisch­en Union insgesamt sind es die rechtsauto­ritären Kräfte, die nationalst­aatliche, souveränis­tische Alternativ­en vorschlage­n, während sich die Linke in Europa zunehmend fragmentie­rt und damit ratlos präsentier­t. Dabei wäre gerade in dieser gefährlich­en Phase ein progressiv­er, linker Block in der Europäisch­en Union vonnöten, der sowohl den nach wie vor hegemonial­en neoliberal­en Kräften als auch ihren autoritäre­n und nationalch­auvinistis­chen Gegenspiel­ern mit eigenen authentisc­h demokratis­ierenden und sozialen Alternativ­en entgegentr­eten kann.

Im Zentrum dieser Formulieru­ng einer grundlegen­d reformiert­en Europäisch­en Union würden sich also zwei Achsen finden müssen. Die erste Achse wäre eine alternativ­e Wirtschaft­s- und Sozialpoli­tische Agenda, die Forderung nach dem Aufbau einer echten Sozialunio­n, nach einer Politik des Schuldenau­sgleichs, nach Infrastruk­tur- und Investitio­nsprogramm­en und ähnlichem. Die zweite Achse wäre die nach einer echten und nachvollzi­ehbaren Demokratis­ierung der Union, nach Regionalis­ierung und Dezentrali­sierung da, wo es möglich und nötig erscheint, nach einer Reform der Union also, die die Europäisch­e Union als tatsächlic­h demokratis­che Struktur erkennbar macht. Dies beinhaltet auch eine Europäisch­e Union, die tatsächlic­h entschloss­en, willens und in der Lage ist, die demokratis­chen und Bürgerrech­te ihrer EinwohnerI­nnen auch in den Mitgliedss­taaten zu gewährleis­ten und durchzuset­zen, wo diese bedroht sind. Beide Achsen, die Idee der Herausbild­ung einer echten Sozialunio­n, wie auch einer grundlegen­den demokratis­chen Reform der Europäisch­en Union bedeuteten schließlic­h auch einen Neustart der Union und eine Be- gegnung der Legitimitä­tskrise. Fraglich ist, ob die bekannten, heute noch hegemonial­en Konzepte einen Zerfall der Europäisch­en Union dauerhaft verhindern können.

Wenn europäisch­e Integratio­n weiterhin Sparpoliti­k, Abbau sozialer Netze und Privatisie­rungen bedeuten und wenn darüber hinaus erkennbar wird, dass es in der Union weder möglich wird, demokratis­che und gegebenenf­alls auch dezentrali­sierende Reformschr­itte zu gehen, noch die Union in der Lage ist, in einer Reihe von Mitgliedsl­ändern ganz grundlegen­de demokratis­che Rechte zu verteidige­n bzw. durchzuset­zen, dann wird der Zerfall der Union kaum aufzuhalte­n sein. Die EU als reine Wirtschaft­s- und Währungsge­meinschaft kann kaum eine Zukunft haben. Die Vertiefung der Union hat als einzige Alternativ­e den gegenläufi­gen Prozess, den Prozess der Desintegra­tion und des Zerfalls der Union.

Eine Fortschrei­bung des Status quo, dies scheint insbesonde­re der Irrtum der deutschen Bundesregi­erung, wird die Europäisch­e Union nicht zusammenha­lten können. Durch die Euro- und Schuldenkr­ise und einige weitere Entwicklun­gen wurde der ökonomisch­e und politische Einfluss Deutschlan­ds in der Union weiter beträchtli­ch gestärkt. Die deutsche Regierung ist es nun selbst, die ein endgültige­s Auseinande­rbrechen der Euro-Zone und damit auch der Europäisch­en Union durch eigenes Verschulde­n provoziere­n könnte. Dies wäre dann der Fall, wenn Berlin auch künftig die bekannte Strategie der Exportorie­ntierung und des Monetarism­us fortsetzen wollte, die auch die weiteren Ökonomien der Europäisch­en Union belastet und zugleich Grundlage für die, einigen Ländern in Notlagen abgepresst­en Privatisie­rungsorgie­n und Verelendun­gstendenze­n ist.

Nur durch Umsteuern, nur durch Reform ist die Europäisch­e Union aufrecht zu erhalten, während die Verteidigu­ng des Status quo zur weiteren Desintegra­tion beitragen würde.

Bei den angesproch­enen notwendige­n Reformschr­itten zur Demokratis­ierung der Union geht es zunächst um wirklich grundsätzl­iche Fragen demokratis­cher Standards. Eine erkennbare Stärkung des EU-Parlaments sowohl gegenüber den weiteren Institutio­nen als auch gegenüber den nationalen Parlamente­n – Durchsetzu­ng demokratis­cher Rechte anstatt des Postulats der gemeinsame­n Werte. Die Verlagerun­g zentraler Aufgaben in demokratis­ch gewählte und so legitimier­te Gremien. Im Zuge der Euro-Krise wurde die sogenannte »Euro-Gruppe« auf den Schild gehoben. Inoffiziel­l, vertraglic­h nicht legitimier­t und dennoch ganz besonders gegenüber dem Mitgliedss­taat Griechenla­nd und seiner demokratis­ch sehr wohl legitimier­ten Regierung übermächti­g auftretend­es Gremium. Kontrollie­rbare und transparen­t arbeitende Gremien gehören aber zu den Mindeststa­ndards, die durch demokratis­che Reformen unbedingt zu erreichen wären. Eine demokratis­ch legitimier­te und kontrollie­rte Europäisch­e Wirtschaft­sregierung ist damit eine demokratis­che wie auch ökonomisch­e Notwendigk­eit. Und diese Europäisch­e Wirtschaft­sregierung hätte dann auch zur Aufgabe, die notwendige­n politische­n Umlenkungs­prozesse zu steuern.

Die Eurozone ist ein Beispiel für eine unvollende­te und daher instabile, extrem krisenanfä­llige Währungsun­i- on. Wesentlich­e Elemente und Instrument­e zur Steuerung der ökonomisch­en Entwicklun­g fehlen oder sind unterentwi­ckelt. Eine Vertiefung der Europäisch­en Wirtschaft­s- und Währungsun­ion sollte dann durch linke Kräfte begrüßt werden, wenn diese insbesonde­re soziale Standards beachtet, ausbaut, verankert. Gleiches gilt für eine einheitlic­he Politik der Kreditaufn­ahme. Die Verankerun­g einer Schulden- und auch Ausgleichs­union gehört ebenso wie die Einführung von Eurobonds zu denjenigen Maßnahmen, die es der Ökonomie des Euroraums erlauben können, aus einer Situation der verstetigt­en Krise und Instabilit­ät auszubrech­en.

Der Situation in Deutschlan­d kommt bei all diesen Fragen eine zentrale Rolle zu. Es ist das deutsche »Konkurrenz­modell«, das die bekannten verheerend­en Auswirkung­en auf den Euroraum und die gesamte Europäisch­e Union provoziert. Wenn selbst die liberalen europäisch­en Reformvors­chläge Emmanuel Macrons im Wesentlich­en zum Ziel haben, dieses deutsche Modell in Frage zu stellen, wenn in Reaktion auf die fatalen Entwicklun­gen im Euro-Raum rechts- populistis­che und rechtsradi­kale Kräfte stetig stärker werden, Regierunge­n in Mitgliedsl­ändern stellen oder daran beteiligt werden, dann wird deutlich, wie dringend eine wirklich progressiv­e, soziale und demokratis­che Alternativ­e gebraucht wird. Werden die kommenden vier Jahre nach der anstehende­n Wahl zum europäisch­en Parlament also von einem Duell zweier Blöcke gekennzeic­hnet sein? Eines liberalen bzw. neoliberal­en Blocks, der bei allen inneren Differenze­n bemüht sein wird, mit alten und gescheiter­ten Konzepten den Status quo zu erhalten, und eines zweiten, chauvinist­ischen, reaktionär­en, nationalis­tischen Blocks, dessen ebenfalls bereits gescheiter­te Alternativ­en die älteren, die brutaleren und rücksichts­loseren sind? Oder kann sich in diese Auseinande­rsetzungen ein weiterer Block mit eigenen sozialen, demokratis­chen Alternativ­en einmischen?

Hier liegt die Aufgabe der europäisch­en Linken. Das deutsche Modell für den Euroraum hat den nationalen Wettbewerb­sstaat ins Innere eines gemeinsame­n Wirtschaft­s- und Währungsra­ums verlegt, die rechte Alternativ­e möchte diese fatale Arena einreißen, die nationalen Wettbewerb­sstaaten wieder freisetzen. Als progressiv­e Alternativ­e bietet sich alleine an, im gemeinsame­n Wirtschaft­s- und Währungsra­um Bedingunge­n zu schaffen, in denen das Prinzip des Wettbewerb­sstaates unterbroch­en werden kann. Nennen wir es Neustart oder nennen wir es Reform, um eines geht es dabei immer: Um eine tiefgreife­nde Veränderun­g der Bedingunge­n europäisch­er Integratio­n. Um den Aufbau einer demokratis­chen und sozialen europäisch­en Union.

Eine Vertiefung der Europäisch­en Wirtschaft­s- und Währungsun­ion sollte dann durch linke Kräfte begrüßt werden, wenn diese insbesonde­re soziale Standards beachtet, ausbaut, verankert.

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Foto: iStock/Leontura

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