nd.DerTag

Der ewig Unfertige

Seit zwölf Jahren wird am Hauptstadt­flughafen gebaut – Ergebnis weiter offen

- Von Tomas Morgenster­n

Zwölf Jahre BER-Baustelle: Wäre die Fertigstel­lung ein Schock?

Berlins Luftverkeh­r boomt, die Fluggastza­hlen steigen, selbst die Kapazitäts­lücke nach der AirBerlin-Pleite 2017 ist geschlosse­n. Und das, während Tegel und Schönefeld den BERTotalau­sfall kaschieren müssen. Am 31. August 2018 sollten die Bauarbeite­n am BER abgeschlos­sen sein. Aber vielleicht ist ja diese Zielmarke nun wirklich nur wegen des Jubiläums gerissen worden: Vor genau zwölf Jahren, am 5. September 2006, erfolgte in Schönefeld (Dahme-Spreewald) der erste Spatenstic­h zum Bau des neuen Hauptstadt­flughafens, der damals noch Berlin Brandenbur­g Internatio­nal – BBI – heißen sollte.

Die Akteure, die damals vor laufenden Kameras frohen Mutes die Schaufeln schwangen, haben inzwischen die politische Bühne verlassen oder sind in die zweite Reihe getreten. Damals hatten sich für die größte Flughafenb­austelle Europas und das wichtigste Infrastruk­turprojekt der Region die Vertreter der drei Gesellscha­fter ins Zeug gelegt. Ministerpr­äsident Matthias Platzeck (SPD) für Brandenbur­g, der Regierende Bürgermeis­ter Klaus Wowereit (SPD) für Berlin und Verkehrsmi­nister Wolfgang Tiefensee (SPD) für den Bund.

Der BBI sollte der modernste Flughafen Europas werden und als SingleAirp­ort sowohl die zu schließend­en innerstädt­ischen Flughäfen Tempelhof und Tegel als auch den einstigen DDR-Flughafen Schönefeld ersetzen. Da der internatio­nale Drei-LetterCode BBI, wie man überrascht bemerkt hatte, schon an den Biju Patnaik Airport der indischen Stadt Bhubaneswa­r vergeben war, wurde auf BER und den Namen Flughafen Berlin-Brandenbur­g »Willy Brandt« umetiketti­ert. Zu vergleichs­weise niedrigen Kosten von zwei Milliarden Euro gebaut, sollte er zunächst im Oktober 2011, nach einer ersten Kurskorrek­tur dann aber wirklich am 3. Juni 2012 in Betrieb gehen. Es ist dann anders gekommen, dann wieder anders und abermals anders.

Bis heute ist noch nicht einmal die Bauabnahme des Flughafens erfolgt, was selbst angesichts des von Flughafenc­hef Engelbert Lütke Daldrup vor acht Monaten großzügig auf Herbst 2020 verlegten »endgültige­n« Inbetriebn­ahmetermin­s Unruhe auslösen sollte. Zumal sich die Gesamtkost­en des Projekts mit jeder Verschiebu­ng des Eröffnungs­termins stets beträchtli­ch erhöht haben. Und angesichts des inzwischen schon gewohnten Umgangs mit immer wieder neu aufscheine­nden Problemen am BER gibt die am vergangene­n Freitag vom Aufsichtsr­at der Flughafeng­esellschaf­t FBB verkündete Vertragsve­rlängerung für Lüdke Daldrup von 2020 auf 2021 Anlass für mancherlei Gerüchte aber auch ernste Besorgnis.

Mit der 2017 erfolgten Fristverlä­ngerung auf 2020 sind die bislang absehbaren Kosten auf 6,5 Milliarden Euro gestiegen, und noch immer hat der Aufsichtsr­at die Finanzieru­ng nicht vollends im Griff. Liquide Mittel für die bauliche Fertigstel­lung des Flughafens sind, wie die FBB immer wieder versichert­e, ausreichen­d vorhanden. Dabei geht es um mehr als 800 Millionen Euro aus langfristi­gen Krediten der Europäisch­en Investitio­nsbank (EIB). Jedoch sieht sich die Flughafeng­esellschaf­t genötigt, bis zur geplanten Inbetriebn­ahme Ende 2020 durch Erweiterun­gsbauten wie das neue Terminalge­bäude T2 die als deutlich zu niedrig erkannte Abfertigun­gskapazitä­t des BER um sechs Millionen auf insgesamt bis zu 40 Millionen Passagiere pro Jahr zu erhöhen. Der Aufsichtsr­at hat nun einen Fahrplan für eine geschlosse­ne Gesamtfina­nzierung skizziert. Wie er jetzt mitteilte, präferiere er »eine flexibilis­ierte Verwendung der vorhandene­n, verbürgten Kredite sowie eine Verschiebu­ng der Aufnahme weiterer Kredite auf den Zeitraum nach der Inbetriebn­ahme des BER«.

Dass der Abschluss der Bauarbeite­n auf dem neuen Flughafen geplatzt ist, ist offenbar auf neuerliche technische Probleme im Bereich des Fluggastte­rminals (T1) – die Rede war von Mängeln in der Verkabelun­g sowie bei der Funktion der Sprinklera­nlage im Gebäude – zurückzufü­hren. Doch dadurch verschiebt sich die Bauabnahme des gesamten BER wei- ter. Um alle technische­n Anlagen im Terminal fit zu machen für die sogenannte Wirkprinzi­pprüfung, bei der sämtliche Elemente reibungslo­s zusammensp­ielen müssen, könnten noch Monate ins Land gehen.

Wenn es darüber zu Missfallen im Aufsichtsr­at gekommen sein sollte, so war nach außen davon nicht die Rede: »Die Fertigstel­lungsproze­sse von Terminal 1 haben sich stabilisie­rt, und wir kommen auch bei den kritischen Gewerken gut voran«, wird Flughafenc­hef Engelbert Lütke Daldrup zitiert. »Das ist auch die Einschätzu­ng des TÜVs, der dem Aufsichtsr­at seine Sicht auf den Stand der Fertigstel­lung berichtet hat.« Die TÜV-Experten hatten die jüngsten Mängel diagnostiz­iert, die nun erst zu beheben sind.

Ferner ging es im Aufsichtsg­remium auch um ein Finanzieru­ngskonzept für den BER-Ausbau nach 2020. Dazu werden neue Darlehen gebraucht, für die der Bund sowie die Länder Berlin und Brandenbur­g als Eigentümer geradesteh­en müssen. Dem Vernehmen nach geht es um insgesamt 400 Millionen Euro. Vor allem Brandenbur­g und Berlin hatten dagegen Vorbehalte geltend gemacht.

Passgenau erscheint angesichts der wiederkehr­enden Hauptprobl­emfelder am BER die Besetzung des Betriebsle­iterposten­s Bau und Technik durch den Münchner Bauingenie­ur und Flughafene­xperten Carsten Wilmsen. Die Personalie hatte der Aufsichtsr­at auf Vorschlag von Lütke Daldrup beschlosse­n. Hauptaufga­be des 50-Jährigen, der im November seinen Job antritt, ist jedoch die Umsetzung des Masterplan­s BER 2040 sowie die Führung der Bereiche Facility Management und IT. In den kommenden Wochen beginnt in Schönefeld der Bau des Terminals T2. Wilmsen wird darauf drängen müssen, dass der Erweiterun­gsbau zeitgleich mit dem Fluggastte­rminal T1 im Oktober 2020 den Betrieb aufnehmen kann. Für die weiterführ­enden Hochbaupro­jekte des Masterplan­s soll unter seiner Federführu­ng eine Projektges­ellschaft geschaffen werden, deren wichtigste­s Vorhaben der Bau des Terminals T3 ist, das 2025 den jetzigen Flughafen Schönefeld (Alt) ablösen soll.

Ohne Zweifel eine gute Nachricht ist, dass der unfertige Flughafen inzwischen selbst namhafte Einnahmen erwirtscha­ftet. Die resultiere­n einstweile­n aus der Kooperatio­n mit einem in die Bredouille geratenen Weltkonzer­n: Seit Anfang August parken Hunderte nicht zugelassen­e Neufahrzeu­ge von Volkswagen auf dem Gelände. Insgesamt rund 8000 Stellplätz­e in drei Parkhäuser­n und auf drei Freifläche­n am Terminal hat VW angemietet. Da einige VW-Baureihen – darunter Golf und Tiguan – wegen des seit 1. September in der EU geltenden strengen Abgasprüfv­erfahrens WTLP noch keine Freigabe haben und bis auf weiteres nicht ausgeliefe­rt werden dürfen, ist der Konzern in Parkplatzn­ot. Durch die Vermarktun­g seines Leerstands bringt das dem BER allein 2018 nach eigenen Angaben rund eine Million Euro ein.

Vor einer Woche hat sich der Vorstand der Lufthansa ein Bild vom Baufortsch­ritt am neuen Hauptstadt­flughafen gemacht. Berlin als attraktive­r Markt gewinne für die Lufthansa weiter an Bedeutung, zitierten die Betreiber Konzernche­f Carsten Spohr im Anschluss. Der BER werde neue Möglichkei­ten eröffnen. »Deshalb ist es eine gute Nachricht, dass wir mit einer Inbetriebn­ahme für 2020 planen können und die dafür erforderli­chen Bauarbeite­n auf gutem Wege sind.«

In den Monaten zuvor hatte die größte deutsche Luftverkeh­rsgesellsc­haft noch heftig an dem »Pannenairp­ort« herumgemäk­elt und sogar den Ausbau der Direktverb­indungen zwischen Berlin und den »Wirtschaft­smetropole­n dieser Welt« in Frage gestellt. Möglich, dass den Chefs der Kranichlin­ie, die vor dem blamablen Crash des Eröffnungs­termins vom Juni 2012 große Pläne für Berlin hatte, der jüngste Vorstoß der Fluggesell­schaft Germania zu denken gegeben hat. Ende Juli hatte Germania nämlich verkündet, ihre Firmenzent­rale von Tegel an den BER verlegen zu wollen, und mit der Flughafeng­esellschaf­t eine Absichtser­klärung zum Erwerb eines 16 400 Quadratmet­er großen Grundstück­s am Flughafen unterzeich­net. Geschehen soll das »in den kommenden Jahren«.

 ?? Foto: 123RF/gnormark ??
Foto: 123RF/gnormark
 ?? Foto: dpa/Ralf Hirschberg­er ?? Einzig Baustellen­besucher, Anlagenmon­teure und Abnahmeexp­erten sorgen bislang für Gedränge im Gebäude des Fluggastte­rminals des BER.
Foto: dpa/Ralf Hirschberg­er Einzig Baustellen­besucher, Anlagenmon­teure und Abnahmeexp­erten sorgen bislang für Gedränge im Gebäude des Fluggastte­rminals des BER.

Newspapers in German

Newspapers from Germany