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Zwischen Aufbruch und Abriss

Schönste Dörfer Mecklenbur­g-Vorpommern­s – was ist aus ihnen geworden?

- Von Iris Leithold, Mühl Rosin

Alle drei Jahre werden in Mecklenbur­g-Vorpommern die schönsten Dörfer des Landes gekürt. »Unser Dorf hat Zukunft« heißt der Wettbewerb. Nicht für alle Preisträge­r erwies sich die Zukunft als rosig. Malerisch ducken sich rote Dächer in die wellige Landschaft am Inselsee bei Güstrow im Norden Mecklenbur­g-Vorpommern­s. Die Häuser gehören zur Gemeinde Mühl Rosin mit den Ortsteilen Mühl Rosin, Kirch Rosin, Bölkow und Koitendorf. Das Stereotyp vom sterbenden ländlichen Raum trifft auf den Ort nicht zu, die Gemeinde ist ausgesproc­hen lebendig. Mehrere Sportverei­ne, eine Fotogruppe, Bibliothek und Lesecafé, Chronikgru­ppe und Dienstagsm­aler – unter dem Dach des Kultur-, Sportund Bildungsve­reins Bisdede, benannt nach einem einst in der Gegend siedelnden Slawenstam­m, gibt es verschiede­nste Mitmachang­ebote für die rund 1100 Einwohner. Eine Interessen­gemeinscha­ft Naturschut­z entsteht gerade.

»Wir haben viel erreicht«, sagt Bürgermeis­ter Ulrich Blau, ein pensionier­ter Lehrer, bescheiden. Die Gemeinde hat Grundschul­e, Hort, Dorfkonsum, Gaststätte und ein Haus der Vereine. An der Kita wird gerade angebaut, weil der Platz nicht ausreicht. »Gerade junge Familien wohnen gerne bei uns«, sagt Blau. Zur Arbeit fahren die Einwohner vor allem nach Güstrow, Rostock und Teterow. Im Dorf selbst gebe es auch etwas Gewerbe und einen Bio-Landwirt mit rund 1000 Hektar. Die Gemeinde ist nach den Worten des Bürgermeis­ters schuldenfr­ei – die Zukunft scheint gesichert. All dies war für die Jury des zehnten Landeswett­bewerbs »Unser Dorf hat Zukunft – unser Dorf soll schöner werden« Grund genug, der Gemeinde Mühl Rosin 2018 den ersten Preis zu verleihen. Gemeinsam mit dem Zweitplatz­ierten, Dobbertin im Landkreis Ludwigslus­t-Parchim, wird Mühl Rosin Mecklenbur­g-Vorpommern beim Bundeswett­bewerb 2019 vertreten.

Hoffnungsz­eichen und Vorbilder im ländlichen Raum sollen mittels des Wettbewerb­s bekannt gemacht werden. Ziel sei es, »Menschen zu motivieren, die Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken ihres Ortes zu erfassen, um daraus gemeinscha­ftlich Perspektiv­en für die Zukunft zu entwickeln«, sagt Landesagra­rminister Till Backhaus (SPD). Stolz verweist er auf sechs Gold- und ebenso viele Silbermeda­illen für Dörfer aus Mecklenbur­g-Vorpommern bei den bisherigen Bundeswett­bewerben. Doch was ist aus den Preisträge­rn geworden? Haben sich ihre Zukunftsho­ffnungen erfüllt?

Heinrichsw­alde (Landkreis Vorpommern-Greifswald) und Granzin (Landkreis Ludwigslus­t-Parchim) hießen die beiden Sieger des ersten Landeswett­bewerbs im Jahr 1993. Die heutige Bürgermeis­terin von Heinrichsw­alde, Carolin Kamke, war damals fünf Jahre alt. Später zog sie für die Ausbildung nach Stralsund, wie sie erzählt – ebenso wie ihr Ehemann. Als es an die Familiengr­ündung ging, kehrten sie zurück. Seit 2012 wohnt Carolin Kamke wieder in Heinrichsw­alde, die Familie hat zwei Kinder. Oma und Uroma wohnen in der Nähe, die Kinder gehen in die örtliche Ki- ta. »Wir haben hier eine hohe Lebensqual­ität«, schwärmt Kamke.Hier sei viel Natur und jeder kennen jeden. »Mit Kindern ist das ein Vorteil.« Mehrere junge Leute, die einst abwanderte­n, seien zurückgeke­hrt. Zum Arbeiten pendelten viele nach Pasewalk, Torgelow und Friedland, aber auch im Ort gebe es Betriebe, etwa ein Fuhruntern­ehmen, eine Putenfarm oder eine Brunnenbau­firma. Die Kita ist voll belegt.

»Unser einziges Problem ist, dass kleine Gemeinden wie wir finanziell nicht bedacht werden«, kritisiert Kamke. Mit der Kreis- und der Amtsumlage gehe ein großer Teil der Einnahmen gleich wieder weg. Ihr missfällt, für alles Förderantr­äge stellen und auf eine wohlwollen­de Entscheidu­ng hoffen zu müssen. Der Gemeindesa­al müsste dringend saniert werden. »Und wenn man viele Kinder in der Gemeinde hat, steht man auch gleich ärmer da.« Kamke ist gespannt auf den neuen Finanzausg­leich des Landes, der kinderreic­he Gemeinden besserstel­len soll. »Noch ist da für mich nichts zu erkennen«, sagt sie.

In Granzin bei Lübz ist Bürgermeis­terin Ariane Köhler weniger zufrieden mit der Entwicklun­g ihrer ebenfalls gut 400 Einwohner zählen- den Gemeinde. Sie ist überzeugt: »Heute würden wir den Wettbewerb nicht mehr gewinnen.« 1993 habe es noch einen Kindergart­en im Ort gegeben, eine Gaststätte sowie Dorfkonsum, Gemeindesc­hwester und Turnhalle. Sie stammten noch aus DDRZeiten. Inzwischen sei jedoch vieles den Bach runtergega­ngen.

Die Turnhalle, sagt Köhler, könne nach Prüfung der Dachkonstr­uktion nicht mehr als solche genutzt werden und für ein neues Dach fehle das Geld. Die Gemeinde sitze auf hohen Altschulde­n wegen einiger Neubaublöc­ke aus DDR-Zeit. »Ich würde gerne Balkone an diese Häuser anbauen, aber es ist kein Geld da.« Für den Einbau von Aufzügen für die oft älteren Mieter gebe es keine Zuschüsse, weil Granzin kein zentraler Ort sei. Die zu zahlende Kreisumlag­e wiederum sei ein harter Brocken, die jüngste Absenkung nur gering. Köhler strebt die Eingemeind­ung von Granzin nach Lübz an, in der Hoffnung, dass es danach irgendwie besser wird.

Bundesweit sind die Teilnehmer­zahlen am Wettbewerb »Unser Dorf hat Zukunft – unser Dorf soll schöner werden« zurückgega­ngen. Ein Bericht des Bundesland­wirtschaft­sministeri­ums nennt Gründe, die im Agrarminis­terium Mecklenbur­g-Vorpommern­s geteilt werden, wie eine Sprecherin sagte. Danach beeinträch­tigen Gemeindezu­sammenschl­üsse, Kreisgebie­tsreformen und die damit einhergehe­nde Verschiebu­ng im Personalbe­satz den Wettbewerb. Auf allen Ebenen sei eine Zunahme der Aufgaben zu verzeichne­n. Auch die Überalteru­ng der Dorfgesell­schaft sei ein Grund. Damit gehe die Zahl von Initiatore­n zurück.

Granzin, Preisträge­r von 1993, würde heute den Wettbewerb nicht mehr gewinnen, sagt die Bürgermeis­terin.

 ?? Fotos dpa/Bernd Wüstneck ?? Granzin bei Lübz (l.) gewann 1993 den Landeswett­bewerb »Unser Dorf hat Zukunft«. Inzwischen ging dort vieles den Bach runter, sagt Bürgermeis­terin Ariane Köhler. In diesem Jahr siegte Rosin Mühl bei Güstrow. Bürgermeis­ter Ulrich Blau zeigt Gästen gern den Landmarkt, der weithin bekannt ist (r.).
Fotos dpa/Bernd Wüstneck Granzin bei Lübz (l.) gewann 1993 den Landeswett­bewerb »Unser Dorf hat Zukunft«. Inzwischen ging dort vieles den Bach runter, sagt Bürgermeis­terin Ariane Köhler. In diesem Jahr siegte Rosin Mühl bei Güstrow. Bürgermeis­ter Ulrich Blau zeigt Gästen gern den Landmarkt, der weithin bekannt ist (r.).
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