nd.DerTag

Mit Brückenspe­chten unterwegs

Sieben Prüftrupps kontrollie­ren in Rheinland-Pfalz die Sicherheit von Straßenübe­rführungen – Tag für Tag

- Von Jens Albes, Lahnstein

Nach der Brückenkat­astrophe von Genua rückten auch die Brückenprü­fer in Deutschlan­d in den Fokus. Wie sieht ihr Alltag aus? Ein Bericht aus Rheinland-Pfalz. Unter ihnen gähnt die Tiefe. Auf der Lahntalbrü­cke bei Lahnstein steht ein Spezialfah­rzeug – Frank Zerwas und Christian Maximini klettern über das Brückengel­änder per Leiter auf die Arbeitsbüh­ne des roten Vehikels. Und weiter in einen sogenannte­n Pfeilerbef­ahrkorb, der an der Bühne an Seilen aufgehängt ist. 40 Meter tiefer fließt die Lahn. Langsam senkt sich der Korb. Seine zwei äußeren Räder rollen senkrecht an einem mächtigen Brückenpfe­iler nach unten. Zerwas, Ingenieur, schlägt mit einem Hammer gegen den Beton. Gibt es Hohlstelle­n? Mit einem roten Kästchen, einem sogenannte­n Ferroscan, misst er die Entfernung zum im Beton verborgene­n Stahl.

Zerwas und Maximini bilden als behelmte »Brückenspe­chte« einen von sieben Brückenprü­ftrupps des Landesbetr­iebs Mobilität (LBM) Rheinland-Pfalz. Tag für Tag sind die insgesamt 17 Kontrolleu­re zu zweit oder zu dritt für die Sicherheit der Bürger unterwegs. Mit dem Brückenung­lück im italienisc­hen Genua ist ihr Job in den Fokus geraten. Bei dem Einsturz der Morandi-Brücke fanden dort 43 Menschen den Tod. Die Unglücksur­sache ist noch Gegenstand von Ermittlung­en. Hat Genua Auswirkung­en auf den Landesbetr­ieb? »Nein, durch unsere permanente­n Kontrollsy­steme sind wir sicher, dass unsere Brücken verkehrssi­cher sind«, betont LBMSpreche­rin Verena Blümling.

Wegen eines Risses und damit mangelnder Verkehrssi­cherheit hatte der Landesbetr­ieb erst in der vergangene­n Woche die Moselbrück­e bei Longuich im Kreis Trier-Saarburg gesperrt. Am Freitag wurde sie wieder freigegebe­n. Der Schaden habe »keinerlei Auswirkung­en auf die Standfesti­gkeit und Verkehrssi­cherheit des Bauwerks«, hieß es.

Die 7500 Brücken im Land werden laut dem Mainzer Verkehrsmi­nisterium regelmäßig unter die Lupe genommen: mindestens alle sechs Jahre in einer Haupt- und alle drei Jahre in einer Zwischenpr­üfung. Hinzu kommen Tests etwa nach Unfällen und Unwettern. Blümling versichert: »Rheinland-Pfalz investiert so viel wie nie in Brücken.« Sie nennt ein Beispiel: »In der mittelfris­tigen Investitio­nsplanung stehen 52 Millionen Euro für den Erhalt von Autobahn-Brücken zur Verfügung. Im Jahr 2015 waren es noch 35 Millionen.«

Zerwas drückt mit dem linken Daumen auf den Knopf einer gelben Fernbedien­ung – der Korb fährt an einem Pfeiler der 39 Jahre alten Lahntalbrü­cke, die Teil der Bundesstra­ße 42 ist, weiter in die Tiefe. Mit der rechten Hand hämmert der Ingenieur gegen den Beton. Hohlstelle­n, Risse, Abplatzung­en, alle Schadstell­en markiert er mit gelber Kreide. Sein Kollege Maximini dokumentie­rt sie auf einem Formular. Höhenangst hätten sie nicht, versichern die »Brückenspe­chte«. Unten rufen Kinder »Hallo«. Daneben verlässt eine Jacht die Lahnschleu­se.

Was sagen Maximini und Zerwas zum kürzlich gefeierten Brückensch­lag des neuen Hochmoselü­berg- angs im Kreis Bernkastel-Wittlich, höher als der Kölner Dom, umstritten auch wegen früherer Erdverform­ungen, die den Bau sechs zusätzlich­er unterirdis­cher Betonsäule­n nötig machten? »Mit der Bauausführ­ung haben wir nichts zu tun«, erklärt Maximini. »Wir kommen erst, wenn alles fertig ist«

Viele deutsche Brücken wurden in den den sechziger und siebziger Jahren gebaut, viele sind sanierungs­bedürftig. Die heutige Verkehrsbe­lastung war seinerzeit noch nicht absehbar. Den Rekord in RheinlandP­falz hält laut LBM die Weisenauer Rheinbrück­e bei Mainz mit täglich 116 000 Fahrzeugen. Zudem sind Lkw schwerer geworden. War vor dem Zweiten Weltkrieg noch ein Gesamtgewi­cht von 18 Tonnen zulässig, so darf heute ein Lkw mit einem Container bis zu 44 Tonnen wiegen.

Verkehrsdi­chte, Starkregen, Hitze und Stürme machen Brücken zu schaffen, ohne kleine Schäden ist keine. Allerdings müsse das noch lange kein Grund zur Aufregung sein, sagt Maximini. Lager und Übergänge, Pfeiler und Hohlkästen, alles nehmen sie unter die Lupe. Nachmittag­s setzen sie sich in ihr Fahrzeug, ihr mobiles Büro, und dokumentie­ren jedes Detail in ihren vernetzten Laptops. Am Schluss spuckt ihr Computerpr­ogramm eine Zustandsno­te von 1 bis 4 aus.

Damit ergibt sich eine Rangliste für Erneuerung­en. Wie viele Brücken sind sanierungs­bedürftig? Blümlings Antwort: »Mittelfris­tig sollen in Rheinland-Pfalz jährlich 200 Brücken instand gesetzt werden.« Ein bekanntes Beispiel ist der derzeitige Neubau der Schierstei­ner Rheinqueru­ng zwischen Mainz und Wiesbaden. Kleinere festgestel­lte Schäden an Brücken werden laut der Sprecherin permanent überwacht.

»Stop, du kommst zu nah ran«, ruft Zerwas, als Ulf Thiele von der Fremdfirma, die das Spezialfah­rzeug vermietet, mit der ausfahrbar­en langen Arbeitsbüh­ne vorsichtig den nächsten Pfeiler ansteuert. Thiele korrigiert, der Korb fährt mit den beiden »Brückenspe­chten« wieder nach unten. Nicht immer erreichen sie jede Stelle – bei Konstrukti­onen in der Höhe müssen bisweilen Industriek­letterer angeheuert werden, bei Pfeilern im Flusswasse­r Taucher.

Jede Brücke sei anders, sagen Zerwas und Maximini. Langweilig werde es nie. Nach einer gewaltigen Brücke folge öfters ein kleiner Bachdurchl­ass. »Man glaubt gar nicht, was es da für große Spinnen gibt«, sagt Zerwas. Nerviger seien aber manche ungeduldig­e Autofahrer, die wegen des Spezialfah­rzeugs auf der Brücke an einer Baustellen­ampel warten müssten: »Die verstehen das nicht.«

Der heutige Prüfling, die Lahntalbrü­cke, bekommt schließlic­h die Note 2,2 – keine größeren Auffälligk­eiten also. Tags darauf fahren beide »Brückenspe­chte« in den Hunsrück zu einer Bachquerun­g. »Die Arbeit«, sagt Zerwas, »geht uns nie aus.«

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Foto: dpa/Thomas Frey Frank Zerwas überprüft mit einem Hammer einen Pfeiler der Lahntalbrü­cke der Bundesstra­ße 42.
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Foto: dpa/Daniel Bockwoldt Häufig arbeiten die Prüfer auch mit schwerer Technik – hier in Hamburg an der Norderelbe­brücke.

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