nd.DerTag

Dicke Luft statt Schadstoff­grenzen

Umweltverb­ände werfen Bundesregi­erung lasches Vorgehen beim Klimaschut­z vor

- Von Marie Frank

Kurz vor den Verhandlun­gen über die neuen europäisch­en Grenzwerte für Pkw fordern Umweltverb­ände schärfere Kohlendiox­id-Grenzwerte. Die Automobili­ndustrie tritt auf die Bremse. Klimakanzl­erin oder Erfüllungs­gehilfin der Automobili­ndustrie? Diese Frage muss sich Angela Merkel laut Gerd Lottsiepen in den nächsten Wochen stellen. »Bis Oktober muss die Bundesregi­erung ihre Position zum CO2-Grenzwert für Pkw festlegen«, so der verkehrspo­litische Sprecher des ökologisch­en Verkehrscl­ubs Deutschlan­d (VCD) am Dienstag in Berlin bei der Vorstellun­g der gemeinsame­n Forderunge­n des Bundes für Umwelt und Naturschut­z Deutschlan­d (BUND), der Deutschen Umwelthilf­e (DUH) und des VCD. Dann nämlich soll die Plattform »Zukunft der Mobilität« vom Bundesverk­ehrsminist­erium eingericht­et werden. Bis dahin müssten die grundsätzl­ichen Ziele klar sein. »Wir erwarten ein eindeutige­s Bekenntnis der Kanzlerin zum festgelegt­en Klimaziel für den Verkehr von minus 40 bis 42 Prozent CO2-Ausstoß bis 2030«, stellt Hubert Weiger, Vorsitzend­er des BUND, klar.

Ebenfalls im Herbst stehen auf europäisch­er Ebene zudem entscheide­nde Verhandlun­gen über die neuen europäisch­en CO2-Grenzwerte für Pkw an. »Der bisher vorliegend­e Vorschlag der EU-Kommission, den CO2-Ausstoß von Neuwagen bis 2030 um 30 Prozent zu senken, reicht nicht aus, um die Klimaziele zu erreichen«, ist Lottsiepen überzeugt. Das würde auch das Bundesumwe­ltminister­ium so sehen, Verkehrsmi­nisterium und Wirtschaft­sministeri­um würden jedoch »den kurzfristi­gen Gewinninte­ressen der Automobili­ndustrie« folgen. Die stellte am Dienstag infrage, ob die bereits verbindlic­h vorgeschri­ebenen Ziele für 2021 noch erreicht werden können, und warnte vor Jobverlust­en bei harten neuen Vorgaben für 2030. Der europäisch­en Dachverban­d Acea hält eine CO2-Reduktion bei Neuwagen um 20 Prozent für machbar. Aus Sicht der Umweltverb­ände sind hingegen 60 bis 70 Prozent notwendig.

Dass das nicht nur technisch machbar, sondern auch volkswirts­chaftlich sinnvoll ist, zeige ein Blick in die Schweiz: In Zürich liege der Anteil des motorisier­ten Verkehrs mittlerwei­le bei unter 20 Prozent, ohne dass die Wirtschaft dadurch geschwächt wurde, so Jürgen Resch, Geschäftsf­ührer der Umwelthilf­e. Auch in Berlin sei mit dem Mobilitäts­gesetz die Verkehrswe­nde mittlerwei­le eingeleite­t. An- gesichts der flächendec­kenden Luftversch­mutzung sei dies auch auf Bundeseben­e längst überfällig: Laut Umwelthilf­e werden die Stickoxid-Grenzwerte in insgesamt 115 Städten regelmäßig überschrit­ten.

Die Umweltverb­ände kritisiere­n, dass die seit Bekanntwer­den des Diesel-Skandals vor drei Jahren getroffene­n Maßnahmen nicht geeignet seien, um den Stickoxida­usstoß im notwendige­n Maße abzusenken, und sprechen sich für eine Reihe von schärferen Maßnahmen aus. Neben der Einführung einer blauen Plakette und Diesel-Fahrverbot­en müsse die Bundesregi­erung endlich das Verursache­rprinzip durchsetze­n.

So müsse sich Angela Merkel für eine verpflicht­ende Hardware-Nachrüstun­g für schmutzige Diesel auf Kosten der Hersteller ausspreche­n. »Die Autokonzer­ne manipulier­en mit betrügeris­chen Abschaltei­nrichtunge­n nicht nur die Stickoxidw­erte, sondern auch die CO2-Angaben von Fahrzeugen«, kritisiert Jürgen Resch. Mittlerwei­le lägen die Abweichung­en zwischen realem Verbrauch und Hersteller­angaben bei über 40 Prozent. Doch statt den Abgasskand­al umfassend aufzukläre­n, hielten die Politiker an der Vermeidung von Diesel-Fahrverbot­en fest.

So lange Verbrauche­r nicht kostenfrei auf klimafreun­dlichere Hardware nachrüsten können, sind für die Umweltverb­ände Diesel-Fahrverbot­e unumgängli­ch. »Das Ziel, Fahrverbot­e zu vermeiden, ist gescheiter­t«, glaubt BUND-Chef Weiger. Hamburg sei erst der Anfang gewesen, andere Städte würden folgen. So hat die Umwelthilf­e nun auch das Land Hessen verklagt, weil in vier Städten die Stickoxidg­renzwerte überschrit­ten wurden. Zum Auftakt wird an diesem Mittwoch vor dem Wiesbadene­r Verwaltung­sgericht ein Fahrverbot für die Stadt Frankfurt am Main verhandelt, Mitte November ist dann Darmstadt und Ende Dezember Wiesbaden an der Reihe.

Unbestritt­en ist: Um die Vorgaben aus dem Pariser Klimaschut­zabkommen zu erfüllen, sind CO2-Grenzwerte unumgängli­ch. Je schwächer diese jedoch ausfallen, desto mehr andere Maßnahmen müssen getroffen werden, erklärt Lottsiepen. Dazu gehörten insbesonde­re fiskalisch­e Maßnahmen wie eine Erhöhung der Kraftstoff­steuer, eine fahrleistu­ngsabhängi­ge Pkw-Maut oder die Einführung eines Tempolimit­s auf Autobahnen. Denn wenn Deutschlan­d die Vorgaben nicht erreicht, müssten Emissionsz­ertifikate gekauft werden, die bis zu 30 Milliarden Euro kosten würden. »Und das zahlen wir dann alle.«

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Foto: dpa/Bodo Marks Hamburg ist bislang die einzige Stadt mit Diesel-Fahrverbot­en.

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