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Bürgerener­gie in der Nische

- Von Jörg Staude

Erneuerbar­e Energien in Bürgerhand – dafür macht sich ein internatio­nales Bürgerwind­Symposium stark, das am Donnerstag in Bonn stattfinde­t. Bürgerinit­iativen und Energiegen­ossenschaf­ten mischen mehr und mehr auch bei Nahwärme und Elektromob­ilität mit. Laut einer kürzlich veröffentl­ichten Studie der Uni Kassel sind von den bundesweit mehr als 900 Energiegen­ossenschaf­ten aber nach wie vor die große Mehrzahl, etwa 80 Prozent, im Stromgesch­äft aktiv.

Vor allem zwischen 2012 und 2015 legte die Branche enorm zu. »Energiegen­ossenschaf­ten boomen« übertitelt­e die Uni ihre Mitteilung. Allerdings setzte sich der Trend nicht fort. »Energiegen­ossenschaf­ten stabilisie­ren sich auf hohem Niveau« wäre die korrekte Wertung gewesen, räumt Mitautorin Beate Fischer ein. Immerhin sei eine befürchtet­e Auflösungs­welle bisher ausgeblieb­en, betont die Wissenscha­ftlerin. Sie findet es zudem erfreulich, dass die Energiegen­ossenschaf­ten an Reichweite gewannen. Die Zahl der organisier­ten Mitglieder steige weiter.

Gesamtwirt­schaftlich gesehen stellen Energiegen­ossenschaf­ten nicht mehr als eine Nischeners­cheinung dar. »Sie erreichen an der Bilanzsumm­e der etwa 2000 energiewir­tschaftlic­hen Unternehme­n in Deutschlan­d einen Anteil von 0,65 Prozent«, sagt Fischer. Das sehen viele Bürger anders. Das Bild, dass sich engagierte Menschen zusammenfi­nden, die lokal etwas für die Energiewen­de tun, Solardäche­r oder ein Windrad errichten und mit dem Erlös etwas für Umweltbild­ung und für den Ort, in dem sie leben, bewirken – das stimmt überwiegen­d dennoch für die Wissenscha­ftlerin.

So teilten sich 2015 bei etwa zwei Dritteln der Energiegen­ossenschaf­ten einzelne Bürger die Anteile – es handelt sich also um Bürgergese­llschaften im besten Sinne. Bei rund 16 Prozent der Genossensc­haften setzt sich die Eigentümer­gemeinscha­ft aus verschiede­nen Akteuren wie Bürgern, Kommunen und Finanzinst­ituten zusammen. Von einer Bank geführte Energiegen­ossenschaf­ten hatten laut der Studie nur einen Anteil von sechs Prozent.

Die Mitglieder­zahl ist meist überschaub­ar. So zählten 84 Prozent der Genossensc­haften weniger als 250 Mitglieder. Der Trend geht hier aber, wie die Studie feststellt, weg von sehr kleinen Genossensc­haften mit weniger als 100 Mitglieder­n hin zu kleinen und mittelgroß­en.

»In der Mehrzahl werden Energiegen­ossenschaf­ten von engagierte­n Bürgern gegründet«, sagt Fischer. Dass zunehmend Stadtwerke, Banken, Kommunen und Unternehme­n Genossensc­haften initiieren und die Bürger dann »einbeziehe­n«, findet die Wissenscha­ftlerin sinnvoll, weil die Geschäftsm­odelle bei den Erneuerbar­en anspruchsv­oller werden. »Ich begrüße es, wenn regionale Versorger sich um die Einbindung von Bürgern vor Ort bemühen.«

Insgesamt stellt Fischer eine Zweiteilun­g fest. »Eine beachtlich­e Zahl von Energiegen­ossenschaf­ten hat einen ungebroche­nen Gestaltung­s- und Veränderun­gswillen«, konstatier­t sie. Projekte mit Carsharing und E-Mobilität nähmen zu, es werde an Mieterstro­m-Modellen getüftelt und viele bemühten sich, Menschen für Ökostrom zu begeistern. Aber viele, vor allem ehrenamtli­ch geführte Genossensc­haften könnten mit der zunehmende­n Komplexitä­t der Geschäftsm­odelle »nicht Schritt halten«. Diese verwalten laut Fischer nur noch ihren Anlagenpoo­l.

Die Kasseler Wissenscha­ftlerin sieht die Schuld daran weniger bei den Genossensc­haften als dabei, dass ein geeigneter gesetzlich­er Rahmen fehlt. »Wenn eine lokale Vermarktun­g von Energie mit Steuern und Abgaben belegt wird, dann wird diese Eigenaktiv­ität von Bürgern deutlich erschwert.«

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