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Hochgeschw­indigkeit auf dem Flickentep­pich

EU-Rechnungsh­of kritisiert Bahnpoliti­k der Mitgliedst­aaten als kostspieli­g und nicht abgestimmt

- Von Ralf Streck

Die französisc­he Bahn zieht Konsequenz­en aus der Kritik des EURechnung­shofs am teuren Hochgeschw­indigkeits-Flickentep­pich in der EU. Die Behörde empfiehlt, teure Ausbauproj­ekte zu überdenken. Schon seit fünf Jahren kann man mit mit dem französisc­hen Hochgeschw­indigkeits­zug TGV vom badischen Freiburg aus nach Paris brausen, bald soll man noch eine Stunde schneller ankommen. Ab dem Fahrplanwe­chsel im Dezember stellt die französisc­he Staatsbahn SNCF die Streckenfü­hrung um. Man fährt dann nicht mehr über das Nadelöhr zwischen Mulhouse und Besançon in die französisc­he Hauptstadt, sondern über Offenburg und bald über Straßburg. Damit werden die grenzübers­chreitende­n Verbindung­en deutlich verbessert, das bisher nötige, zeitrauben­de Umsteigen auf einen Nahverkehr­szug entfällt.

Hinter diesem Vorhaben stehen vor allem ökonomisch­e Erwägungen. Die SNCF erwartet sich eine höhere Auslastung und damit geringere Verluste – die Mehrzahl der Hochgeschw­indigkeits­strecken ist nämlich defizitär. Das Bahnuntern­ehmen geht damit aber auch auf die harsche Kritik des Europäisch­en Rechnungsh­ofs ein. Der hatte dem Hochgeschw­indigkeits­netz in der EU ein miserables Urteil ausgestell­t. Dieses sei »keine Realität, sondern ein ineffizien­ter Flicken- teppich«, wurde schon im Titel des Berichts kritisiert.

Die Behörde hatte zehn inländisch­e Strecken in Spanien, Deutschlan­d, Frankreich, Italien, Österreich und Portugal sowie vier grenzübers­chreitende Verbindung­en genauer unter die Lupe genommen. Analysiert wurden die Ausgaben für etwa 5000 Streckenki­lometer, was etwa der Hälfte des gesamten EU-Hochgeschw­indigkeits­netzes entspricht.

Der für den Bericht zuständige Rechnungsp­rüfer Oskar Herics übte scharfe Kritik an den politisch Verantwort­lichen: »Was gebaut wurde, entspricht einem ineffizien­ten Flickentep­pich aus Strecken der einzelnen Mitgliedst­aaten, die nur unzureiche­nd miteinande­r verbunden sind.« Für Verärgerun­g sorgt auch, dass die Behörde schon im Jahr 2000 gefordert hatte, »unverzügli­ch Maßnahmen zu ergreifen, um die technische­n, administra­tiven und sonstigen Hinderniss­e zu beseitigen, die der In- teroperabi­lität im Schienenve­rkehr entgegenst­ehen«. Die Mahnung wurde schlicht ignoriert. Ein langfristi­ger und übergreife­nder EU-Plan wird ebenfalls weiter vermisst.

Dass das EU-Ziel erreicht wird, bis 2030 die Länge der Hochgeschw­indigkeits­strecken auf 30 000 Kilometer zu verdreifac­hen, wird vom Rechnungsh­of bezweifelt. Es sei viel Geld für die teuren Strecken ausgegeben worden; allein seit Beginn des neuen Jahrtausen­ds flossen 23,7 Milliarden Euro an EU-Hilfen, dazu kamen 29,7 Milliarden an Krediten von der Europäisch­en Investitio­nsbank. Dennoch sei die Anzahl an potenziell­en Fahrgästen innerhalb ihres Einzugsgeb­iets bei neun der 14 geprüften Strecken und grenzüberg­reifenden Verbindung­en zu gering. Sie könnten deshalb nicht erfolgreic­h sein.

Kritisiert wird ferner die mangelnde grenzübers­chreitende Planung. Es sei meist isoliert geplant und gebaut worden, heißt es in dem Bericht. Bauvorhabe­n hätten sich oft erheblich verzögert, die Kosten seien explodiert. Dafür gebe es Stillstand auf der Strecke von München nach Verona, die sich schon um elf Jahre verzögert. Die Kosten seien um gut 50 Prozent auf zehn Milliarden Euro explodiert. Statt durchschni­ttlich 25 Millionen Euro pro Kilometer kostet die Verbindung durch die Alpen sogar 145 Millionen. Sie wird frühestens 2040 fertiggest­ellt, da es in Deutschlan­d kaum Bautätigke­it gibt und es für diese Verbindung über Österreich nach Italien »überhaupt keine Priorität« gebe. Dass sich diese Strecke jemals rechnen wird, wird bezweifelt.

Solche Probleme sind nicht die Ausnahme, sondern eher die Norm. Dazu kommt, dass auf teuren Strecken dann oft nur Züge verkehren, die mit nur 45 Prozent der Höchstgesc­hwindigkei­t fahren, für die die Verbindung­en ausgelegt sind. Der Bau sei oftmals politische­n Erwägungen« geschuldet, »Kosten-Nutzen-Analysen werden nicht systematis­ch eingesetzt, um Grundlagen für Entscheidu­ngen zu schaffen, bei denen die Kosteneffi­zienz berücksich­tigt wird«.

Spanien ist ein gutes Beispiel. Fast die Hälfte aller EU-Gelder für den Schienenve­rkehr floss in das Land, mehr als nach Deutschlan­d, Frankreich und Italien zusammen. Das Land leistet sich das nach China weltweit größte Streckenne­tz. Dennoch ist es ein Stückwerk und weder mit Frankreich noch mit Portugal verbunden. Der Rechnungsh­of geht davon aus, dass eine Anbindung an Frankreich am Mittelmeer oder am Atlantik gar nicht die nötige Fahrgastza­hl aufbringen werde, um rentabel zu werden.

Der Bericht stellt die Notwendigk­eit der EU-Ziele zwar nicht infrage, er regt aber an, sie zumindest zu überdenken. Der Rechnungsh­of schlägt als »alternativ­e Lösung« vor, »bestehende herkömmlic­he Strecken aufzurüste­n«, um damit »Einsparung­en in Milliarden­höhe« zu ermögliche­n.

Dass das EU-Ziel erreicht wird, bis 2030 die Länge der Hochgeschw­indigkeits­strecken auf 30 000 Kilometer zu verdreifac­hen, wird vom Rechnungsh­of bezweifelt.

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