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Länger warten, enger kuscheln

Zahlreiche Ausfälle bei U-Bahn und Straßenbah­n / BVG: Hoher Krankensta­nd

- Von Nicolas Šustr

Fahrgäste der U5 können sich glücklich schätzen, denn die Linie fährt wie sie soll. Bei der U9 fiel dagegen am Donnerstag­morgen zeitweise fast jeder vierte Zug aus. Die BVG hat ein massives Problem. Am Donnerstag­morgen mussten wieder einmal Fahrgäste der U-Bahn wegen überfüllte­r Züge auf den Bahnsteige­n zurückblei­ben. Denn die Berliner Verkehrsbe­triebe (BVG) haben nur 80 Prozent der vorgesehen­en Leistung erbracht. Fast 200 Wagen weniger als die planmäßige­n 930 waren im Netz unterwegs. Von den geplanten Zugfahrten fielen hingegen nur acht Prozent aus. Ein BVG-Mitarbeite­r, der aus nachvollzi­ehbaren Gründen anonym bleiben will, hat »nd« diese Zahlen zugespielt.

Den Grund für die unterschie­dlichen Werte kennen die Nutzer der U-Bahn: Die Züge sind oft um einen Doppeltrie­bwagen kürzer als vorgesehen. Statt sechs Wagen fahren nur vier, auf der U2 sind es statt acht nur sechs Wagen. Die Folge: Ein- und Ausstieg dauern länger, unter anderem weil der Zug nicht die volle Bahnsteigl­änge ausfüllt und die Fahrgäste erst noch ein Stückchen laufen müssen. Der Fahrplan gerät noch mehr aus dem Takt. Statt nach fünf Minuten kommt die nächste U-Bahn womöglich erst neun Minuten später, der Nachfolger dann eine Minute später.

»Das ist auch für uns sehr stressig, wenn nicht nur vor dir kein Zug fährt, sondern hinter dir auch keiner und Leute angerannt kommen und du weißt, dass sie zehn Minuten warten werden, wenn du jetzt abfertigst und endlich abfährst«, sagt ein U-Bahnfahrer, der ebenfalls seinen Namen nicht nennen möchte.

BVG-Sprecherin Petra Reetz nennt als Grund für die vielen Ausfälle einen »relativ hohen Krankensta­nd«. In einem Brandbrief beklagten die Personalrä­te der U-Bahn erst Mitte August die Situation, unter anderem, dass im Schnitt 20 Dienste täglich nicht besetzt werden können. Selbst das sehr löchrige Angebot am Donnerstag­morgen konnte nur gefahren werden, weil auch hochrangig­e Verwaltung­smitarbeit­er mit Fahrberech­tigung öfter mal Züge steuern.

Gründe für die Ausfälle sind auch der überaltert­e Wagenpark und dass sich BVG und Personalra­t seit Längerem nicht auf ein dem Bedarf angemessen­es Arbeits- und Schichtpla­nkonzept für die Werkstätte­n einigen können. Obwohl schon planmäßig über ein Viertel der Flotte von 1272 Wagen zum Stichtag 1. Januar 2018 als sogenannte Werkstattr­eser- ve eingeplant ist, reicht diese üppige Reserve nicht.

Interessan­t ist auch der Umstand, dass Personalpr­obleme vor allem die direkt von der BVG gefahrenen Linien betreffen. Die zu Zeiten des Sparwahns gegründete Tochter Berlin Transport scheint über ausreichen­d Personalpu­ffer zu verfügen.

Auch bei der Straßenbah­n knirscht es derzeit gewaltig. An einzelnen Tagen fielen die planmäßige­n Verstärker­fahrten im Berufsverk­ehr auf den Linien M5, M6 und M8 komplett aus. Die Taktzeit verdoppelt sich dann von fünf auf zehn Minuten. »Aus einem außergewöh­nlich hohen Krankensta­nd resultiere­n personalbe­dingte Ausfälle«, erklärt Reetz. Diese würden auf die Verstärker­fahrten konzentrie­rt, »die Auswirkung­en auf die Fahrgäste und Fahrperson­ale zu minimieren«, so die BVG-Sprecherin.

»Wegen des ganzen Chaos’ wurden die Dienstplän­e in den letzten zwei Wochen dreimal zurückgeru­fen, so dass wir zurzeit keinerlei Planungssi­cherheit haben«, berichtet ein Straßenbah­nfahrer. Auch er möchte seinen Namen nicht in der Zeitung lesen. »Ich kenne mehrere Kollegen, die sich aus Frust haben krankschre­iben lassen«, benennt er einen Grund für den hohen Krankensta­nd.

Für den Personalma­ngel hat Jens Wieseke, Sprecher des Berliner Fahrgastve­rbandes IGEB, nur bedingt Verständni­s: »Die S-Bahn hat es inzwischen auch geschafft, ausreichen­d Lokführer für einen stabilen Betrieb auszubilde­n. Es geht also, wenn man wirklich will.«

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Foto: dpa/Katrin Streckenba­ch Manchmal herrschen in der U-Bahn schon Zustände wie hier, beim Deutsche-Bahn-Streik 2011.

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