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Verlorene Kompetenz

Die bayerische SPD verabschie­det sich mit ihrer Spitzenkan­didatin Natascha Kohnen langsam als Volksparte­i im Freistaat

- Von Rudolf Stumberger, München

Die SPD droht in Bayern abzustürze­n. Umfragen sehen sie bei der Landtagswa­hl am 14. Oktober noch hinter der AfD und den Grünen. Grund dafür könnte sein, dass nicht recht klar ist, wofür die Partei steht.

Wer den Schaden hat, braucht sich um den Spott nicht zu sorgen. In Hinblick auf die Landtagswa­hl im Oktober steht die bayerische SPD in Umfragen derzeit bei 13 Prozent der Stimmen. Das wäre ein Minus von sieben Prozent gegenüber der Wahl vor fünf Jahren, die Sozialdemo­kraten lägen damit hinter der AfD (14 Prozent). Grund für den CSU-Spitzenkan­didaten Markus Söder, im Bierzelt über die Sozis zu spotten: »Bedrohte Arten werden von der Bejagung verschont, bis sie sich erholt haben.« Was die Partei nach außen hin nicht anficht: »Wir sind alle kampfesmut­ig ohne Ende«, verlautbar­te SPD-Generalsek­retär Uli Grötsch in München.

Die Partei tritt mit ihrer Landesvors­itzenden Natascha Kohnen als Spitzenkan­didatin an. Diese präsentier­t sich auf den ganz in blau gehaltenen Wahlplakat­en mit blonder Mähne, verschränk­ten Armen und einem Blick, der Herausford­erung oder gar Konfrontat­ion bedeuten kann. Die geborene Münchnerin und Mutter zweier erwachsene­r Kinder (Biologin und Lektorin als Beruf) gilt als politische Quereinste­igerin. Sie ist erst mit 33 Jahren in die SPD eingetrete­n. Schnell machte sie dort aber Karriere: Zunächst als Gemeinderä­tin in Neubiberg und schon nach wenigen Jahren als Landtagsab­geordnete, dann war sie Generalsek­retärin der BayernSPD an der Seite des farblosen Landesvors­itzenden Florian Pronold.

Als der sie zu seiner Nachfolger­in vorschlug, forderten etliche SPDMitglie­der einen Neuanfang. Bei einer Mitglieder­befragung setzte sich Kohnen gegen fünf männliche Kontrahent­en durch. Auf dem Parteitag im vergangene­n Jahr wurde sie dann mit 88,3 Prozent zur Landesvors­itzenden gewählt. Die SPD habe mit ihr die richtige Wahl getroffen, gratuliert­e die »Süddeutsch­e«: »Kohnen ist eine moderne Frau, die jünger wirkt als 50, einem in der Politik ohnehin jugendlich­en Alter. Sie ist intelligen­t und eloquent und gilt als liberal.«

In der Tat könnte die Spitzenkan­didatin mit ihrem Auftreten und ihrer Biografie etwa die modernen, jungen berufstäti­gen Frauen in den Städten als Stimmpoten­zial ansprechen. Doch der scheinbar unaufhalts­ame Abstieg der Sozialdemo­kratie hat nicht unbedingt etwas mit der Personalpo­litik der Partei zu tun. In Bayern jedenfalls war das Angebot in den vergangene­n Jahrzehnte­n sehr unterschie­dlich, darunter gab es durchaus Identifika­tionsfigur­en. So trat 1986 und 1990 Karl-Heinz Hiersemann für die SPD an, ein Schwergewi­cht nicht nur auf politische­r Ebene, das »gestandene Mannsbild« holte damals um die 26 Prozent der Stimmen. Mit Renate Schmidt kletterte 1994 der Stimmenant­eil wieder auf 30 Prozent, die Bundesfami­lienminist­erin erntete Sympathien bei den Wählern. 2003 kam mit dem Spitzenkan­didaten Franz Maget der Absturz unter die 20-Prozent-Marke. Maget verkörpert­e quasi das Urgestein der Sozialdemo­kratie mit berufliche­n Stationen bei den Gewerkscha­ften und der Arbeiterwo­hlfahrt. Nachdem die SPD in Bayern bei der Landtagswa­hl 2008 bei 18,6 Prozent angekommen war, sollte 2013 der langjährig­e Oberbürger­meister von München, Christian Ude, das Steuer noch einmal herumreiße­n. Ude war damals so ziemlich der bekanntest­e SPD-Politiker in Bayern und hatte in der Landeshaup­tstadt regelmäßig die Mehrheit für die Sozialdemo­kraten geholt. Doch der Prominente­nbonus blieb bescheiden, die SPD kam auf 20,6 Prozent der Stimmen. Aber immerhin.

Eine solche Zahl gilt heute für die SPD quasi als Traumziel. Glaubt man den Umfragen, liegt die Partei hinter der CSU, Grünen und der AfD auf dem vierten Platz. Anders als etwa in Rheinland-Pfalz konnte sich die Partei in Bayern nicht vom Abwärtstre­nd der Bundespart­ei abkoppeln.

Ein Beispiel für deren Einfluss gibt jetzt ironischer­weise die Auseinande­rsetzung um das bayerische Familienge­ld, das im September von der CSU eingeführt worden ist. Die Staatsregi­erung zahlt an Familien mit Kindern im zweiten und dritten Lebensjahr je 250 Euro pro Kind und Monat. Nicht gelten soll das allerdings für die Bedürftigs­ten, etwa alleinerzi­ehende Mütter mit Hartz IV. So will es jedenfalls der sozialdemo­kratische Bundesfami­lienminist­er Hubertus Heil, der bereits ankündigte, das Geld zurückzufo­rdern. Dieser Spagat zwischen einem Wahlkampf, der soziale Themen betont, und der Hartz-IV-Vollstreck­ung durch einen Bundesmini­ster der SPD will erst einmal dem bayerische­n Wähler erklärt sein.

Wo die einstige Kernkompet­enz der Sozialdemo­kratie, das Soziale, nicht mehr automatisc­h gilt, soll es nun die Werbeagent­ur richten. Die bayerische SPD lässt sich von Kajo Wasserhöve­l, dem Wahlkampfm­anager des früheren Parteichef­s Franz Münteferin­g, beraten. Der setzt auf einen Themenwahl­kampf um die Schwerpunk­te bezahlbare­s Wohnen, bessere Kitas und die Person Natascha Kohnen. Der Berater weiß aber auch, wie er der Presse sagte: »Das wird eine super harte Nummer.«

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