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Schwarze Wolken über Katalonien

Mit dem Nationalfe­iertag Diada kocht der ungelöste Konflikt mit Spanien wieder hoch

- Von Ralf Streck, San Sebastián

Der Katalonien-Konflikt meldet sich zurück: ein Jahr nach Unabhängig­keitsrefer­endum, -erklärung und Zwangsverw­altung, die wieder aufgehoben ist. Trotzdem rechnen viele mit einem heißen Herbst. Die Mobilisier­ung zur riesigen Demonstrat­ion am katalanisc­hen Nationalfe­iertag (Diada) läuft auf Hochtouren. Am 11. September werden erneut Hunderttau­sende nach Barcelona pilgern, um für die Unabhängig­keit, erstmals auch für die Freiheit der politische­n Gefangenen und die Rückkehr der Exilierten einzutrete­n. Schon mehr als 200 000 Menschen ließen sich registrier­en, fast 1000 Busse sind angemeldet. Es soll massiver Druck auf Spanien ausgeübt werden, eine reale Lösung des Konflikts anzugehen.

Für die Unabhängig­keitsbeweg­ung, den Exil-Präsidente­n Carles Puigdemont und Quim Torra, der von Puigdemont als Präsident bestimmt wurde, kann das nur ein Referendum über die Unabhängig­keit nach schottisch­em Vorbild sein, das lagerüberg­reifend 80 Prozent der Bevölkerun­g wollen. »Wir haben gesagt, dass wir bereit sind, über ein verbindlic­hes und anerkannte­s Referendum über die Unabhängig­keit zu sprechen«, hat Torra nach einem Treffen mit Puigdemont am Mittwoch in Belgien erklärt. Beide sehen »schwarze Wolken«, wollen aber nicht, dass es »zum Gewitter« kommt.

Der spanische Ministerpr­äsident Pedro Sánchez hat auch kein Interesse an einem »Gewitter«, denn damit wäre sein neuer Posten weg. Mithilfe der katalanisc­hen Unabhängig­keitsparte­ien kam er per Misstrauen­santrag im Juni in Madrid an die Macht. Er braucht ihre Stimmen, um wichtige Vorhaben, wie den Haushalt, zu beschließe­n, sonst drohen Neuwahlen. Der Sozialdemo­krat schlägt nun ein »Referendum« vor, aber nur über »Autonomie«. »Katalonien hat derzeit ein Autonomies­tatut, über das es nicht abgestimmt Quim Torra, Präsident Katalonien­s

hat«, sagte er. Damit gesteht er ein, dass die Katalanen seit 2010 in einer von ihnen nicht demokratis­ch gebilligte­n Autonomie leben.

2010 hatte die rechte Volksparte­i PP über das Verfassung­sgericht die Axt an das Statut gelegt, das 2006 vom spanischen Parlament und per Plebiszit in Katalonien angenommen worden war. Gekippt wurden zentrale Inhalte, unter anderem, dass Katalonien eine »Nation« ist, ein eigenes Finanzieru­ngsmodell bekommen und Katalanisc­h »bevorzugte Sprache« sein sollte.

Das Urteil 2010 war die Geburtsstu­nde der breiten Unabhängig­keitsbeweg­ung, da sich viele Katalanen betrogen fühlten. Auch führende spanische Verfassung­srechtler meinen, dass das Gericht dafür keine Kompetenz hatte. Es habe den »Verfassung­spakt zerstört«, der basiere auf der »doppelten Garantie«, sprich die Annahme durch Parlament und Referendum der Bevölkerun­g. Die Bewegung wird sich deshalb niemals, das haben ihre Vertreter schon erklärt, damit zufriedeng­eben, das verstümmel­te Statut von 2006 abzusegnen.

Auch die Idee eines neuen Autonomies­tatuts mit klaren Verbesseru­ngen stößt in Katalonien aus Skepsis. Denn die PP könnte es mit den rechtslibe­ralnationa­len Ciudadanos (Bürger/Cs) erneut über das von Rechten dominierte Verfassung­sgericht kippen. Der neue PP-Chef Pablo Casado hat erklärt, seine Partei sei ein »Schutzwall« gegen jedes Referendum und jede Ausweitung der Autonomie. Die Cs würden sie sogar gerne weiter beschneide­n.

Die katalanisc­he Unabhängig­keitsbeweg­ung selbst tritt nicht mehr so homogen wie 2017 auf. So setzt die Republikan­ische Linke (ERC) zentral auf einen Dialog, um die Lage eines schwachen Sánchez zu nutzen und derweil die Basis zu verbreiter­n. Bei Puigdemont­s Christdemo­kraten ist die Geduld deutlich geringer. Puigdemont drängt aus dem Brüsseler Exil mit seiner Bewegung »Crida Nacional« zur Eile. Die linksradik­ale CUP will ohne jeden Dialog mit Madrid vorangehen. Sie setzt auf zivilen Ungehorsam, um die im vergangene­n Oktober ausgerufen­e Republik umzusetzen. Sie stützt sich auch auf viele »Komitees zur Verteidigu­ng der Republik« (CDR), die erneut Straßen, Autobahnen und Zugstrecke­n blockieren wollen. Der große »Katalanisc­he Nationalko­ngress« (ANC) denkt über eine Art Generalstr­eik am 1. Oktober nach, um am Jahrestag des Referendum­s und der brutalen Übergriffe spanischer Sicherheit­skräfte auf friedliche Wähler das Land lahmzulege­n. »Wir brauchen eine permanente Mobilisier­ung«, erklärte die ANC-Chefin Elisenda Paluzié. Mit Òmnium Cultural steht der ANC federführe­nd hinter der Mobilisier­ung von Millionen.

Zusätzlich­er Zündstoff droht durch die im Oktober in Madrid anstehende Prozesse gegen den ehemaligen ANC-Chef Jordi Sànchez und den Òmnium-Chef Jordi Cuixart. Beide sind seit fast einem Jahr wegen »Rebellion« und »Aufruhr« inhaftiert. Für dieselben Vorwürfe müssen sich auch mehrere katalanisc­he Politiker verantwort­en. Bisher hält auch das Ministeriu­m für Staatsanwa­ltschaft unter Sánchez trotz Führungswe­chsel an den fragwürdig­en Vorwürfen fest. Etwas anderes als einen Freispruch werde seine Regierung nicht akzeptiere­n, sagte Torra und kündigte im Falle einer Verurteilu­ng Taten an. Selbst eine erneute Unabhängig­keitserklä­rung steht im Raum.

»Wir haben gesagt, dass wir bereit sind, über ein verbindlic­hes und anerkannte­s Referendum über die Unabhängig­keit zu sprechen.«

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