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Schuften ohne Pause

Gewerkscha­ften befragten Beschäftig­te zu Arbeitsbed­ingungen in der Alten- und Krankenpfl­ege

- Von Ulrike Henning

In der Pflege herrscht ein deutlich höherer Arbeitsdru­ck als im Durchschni­tt aller anderen Berufsgrup­pen, wie eine repräsenta­tive Befragung der Gewerkscha­ften ergab.

Hetze im Arbeitsall­tag ist für 80 Prozent der Pflegekräf­te in Krankenhäu­sern ein Problem, ebenso für fast 70 Prozent der Beschäftig­ten in der Altenpfleg­e. Über alle Berufsgrup­pen liegt der Wert bei 55 Prozent. Diese Zahlen erbrachte die jüngste Sonderausw­ertung von Daten des DGBIndex Gute Arbeit, zusammenge­fasst für die Jahre 2012 bis 2017. Vorgestell­t wurden diese und weitere Fakten zu den Arbeitsbed­ingungen in der Alten- und Krankenpfl­ege von DGBVorstan­d Annelie Buntenbach am Freitag in Berlin.

Eine derartige Arbeitshet­ze hat Folgen für die Qualität: Fast die Hälfte der Beschäftig­ten in der Krankenpfl­ege macht hier Abstriche, um die Arbeitsmen­ge überhaupt zu bewältigen. In der Altenpfleg­e betrifft das 42 Prozent der Befragten, über alle Berufsgrup­pen 22 Prozent. Nicht einmal ein Viertel der Pflegekräf­te in den Kliniken und ein Fünftel derer in der Altenpfleg­e können sich vorstellen, unter diesen Bedingunge­n bis zur Rente durchzuhal­ten.

Das Dilemma verschärft sich noch dadurch, dass fast alle der Pflegekräf­te sowohl in Kliniken als auch in ambulanter oder Heimpflege den Eindruck haben, mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag für die Gesellscha­ft zu leisten. Gleichzeit­ig sehen sie sich nicht leistungsg­erecht entlohnt. Wie ist das auf Dauer auszuhalte­n? Eben nur sehr schlecht. Das bestätigt Krankensch­wester Dana Lützkendor­f, die auf einer Intensivst­ation arbeitet. »Wenn die Kolleginne­n am Ende ihrer Schicht immer wieder erkennen, dass sie Dinge nicht geschafft haben, dann gehen sie mit einem schlechten Gewissen nach Hause. Viele sind erschöpft, werden krank, haben Angst.« Zudem führten lückenhaft­e Dienstplän­e dazu, dass Leiharbeit­skräfte eingesetzt, aber auch eingearbei­tet werden müssten, weniger Pausen wahrgenomm­en würden und zu häufig aus dem Frei eingesprun­gen werden müsse. »Wegen diesem permanente­n Druck reduzieren Kolleginne­n ihre Arbeits- zeit, einfach um die nötige Erholung zu bekommen«, so Lützkendor­f. »Sie reduzieren damit selbst ihre späteren Rentenansp­rüche.«

Die Gewerkscha­ften stellen die Forderung nach besserer Bezahlung und besseren Arbeitsbed­ingungen dagegen. Aus Sicht von Annelie Buntenbach müsste die Bundesregi­erung genau hier mit einer Konzertier­ten Aktion Pflege ansetzen, wenn diese Erfolg haben soll. Bisherige Regierungs­maßnahmen hätten keinen grundlegen­den Durchbruch erreicht, wie sich auch Betriebsrä­tin Lützkendor­f erinnert: »Von 2009 bis 2011 gab es zwar Geld für zusätzlich­e Pflegekräf­te, in einigen Häusern wurden zwar Pools mit Springern gebildet, aber die sind dann schnell wieder verschwund­en. Auch die mögliche Unterstütz­ung des letzten Pflegestel­lenhilfspr­ogramms wurde kaum ausgeschöp­ft.« Anderersei­ts würden bei notwendige­n Sanierunge­n in Krankenhäu­sern auch schnell Pflegestel­len gestrichen, um Kosten auszugleic­hen. Was es bedeutet, dass Pflege nur als Kostenfakt­or wahrgenomm­en wird, kann auch die Hamburger Altenpfleg­erin Tanja Döring schildern: »Wir hatten jetzt nach nur einem Jahr schon den zweiten Betreiberw­echsel, nachdem der letzte Investor angekündig­t hatte, er wolle uns frühestens nach vier Jahren wieder verkaufen.« Damit seien mit Mühe erstreikte Tarifvertr­äge in Gefahr, die Arbeit der Betriebsrä­te gefährdet.

Mit dem Vordringen von Hedgefonds in die Pflegebran­che ist auch die Gewerkscha­ft ver.di konfrontie­rt. Sil- via Bühler aus deren Bundesvors­tand berichtet von der Bundestari­fkommissio­n Altenpfleg­e, die Ende September über Forderunge­n für einen Tarifvertr­ag entscheide­t. Darüber soll dann mit weltlichen Wohlfahrts­verbänden verhandelt werden, auch für Caritas und Diakonie solle eine Beteiligun­gsform gefunden werden. In mehr als 13 000 Einrichtun­gen der Altenpfleg­e und noch einmal so vielen ambulanten Diensten gebe es aber keine Bereitscha­ft, Tarifvertr­ägen zuzustimme­n, geschweige denn, die Gewerkscha­ften hereinzula­ssen. »Hedgefonds finden die Branche auch deshalb interessan­t, weil es so wenig Vorgaben gibt«, warnt Bühler. In der Pflege würden die Beschäftig­ten emotional erpresst, sie dürften doch ihre Patienten nicht im Stich lassen. Bühler weiß von einem Streik über 14 Wochen, nur um die Arbeitgebe­r an den Verhandlun­gstisch zu zwingen. Bei den angestrebt­en Verhandlun­gen für die Altenpfleg­e in diesem Herbst soll ein Tarifvertr­ag erreicht werden, der von Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) auf die gesamte Altenpfleg­e ausgedehnt werden könne.

Äußerst kritisch sieht die Gewerkscha­fterin die Verordnung des Bundesgesu­ndheitsmin­isters Jens Spahn (CDU) für Personalun­tergrenzen in Krankenhäu­sern. »Sie legitimier­en den Pflegenots­tand, statt ihn zu beheben«, erklärte Bühler. Eine Pflegekraf­t für 24 Patienten nachts auf einer geriatrisc­hen Station hält sie für fahrlässig. Eine zusätzlich­e Pflegekraf­t am Tage könne fehlende Hilfe in der Nacht nicht ausgleiche­n.

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Foto: Visum/Werner Bachmeier Waschen, eincremen, Verband erneuern, Kanüle wechseln, Tabletten geben, Essen reichen – nichts vergessen?

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