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Wie schafft ihr das?

Wohnen wird ständig teurer: »Schäfchen im Trockenen«, der neue Roman von Anke Stelling

- Von Christof Meueler

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr – zu teuer. Die Hälfte aller Deutschen wohnt zur Miete und die steigt, vor allem in den Metropolen. Es gibt zwar Billigflüg­e, Billigesse­n und Billigklei­dung, aber kaum noch billige Wohnungen.

Nur eins ist sicher: Beim Geld hört alle Freundscha­ft auf. Über dieses Sprichwort hat Anke Stelling ihren neuen Roman geschriebe­n: »Schäfchen im Trockenen«. Als Begleithef­t empfiehlt sich die aktuelle »Prokla« mit dem Schwerpunk­t »Zur (neuen) Wohnungsfr­age«.

»Schäfchen im Trockenen« spielt selbstvers­tändlich in Berlin, dem früheren Paradies für preiswerte­s Großstadtl­eben. Die Schriftste­llerin Resi fliegt aus ihrer Innenstadt-Wohnung, in der sie mit ihrer Familie zur Untermiete wohnt. Ihr diese Wohnung zu überlassen, war ursprüngli­ch eine nette Geste ihrer besser verdienend­en Freunde – nachdem Resi sich von ihnen kein Geld leihen wollte, um mit ihnen ein schönes Haus für sie alle zusammen zu bauen. Ersatzweis­e bekam sie von ihrer ältesten Freundin deren alte Wohnung aufgedräng­t.

Doch dann hat Resi das Hausprojek­t ihrer Freunde porträtier­t, erst in einer Zeitung und dann auch noch in einem Buch, durchaus freundlich, wie sie fand. Darüber waren die Freunde nicht amüsiert, aber sehr beleidigt. Zur Strafe muss Resi nun raus aus der Untermiete, raus nach Ahrensfeld­e, wo die Wohnungen billiger sind, aber weitab vom Schuss. In Suburbia, wo Leute wohnen, »die ihre Kinder im Buggy Red-Bull-Imitate trinken lassen und ab und zu aus Langeweile ohrfeigen« – glaubt sie zumindest.

Der Umzug steht erst nach den Herbstferi­en an. Bis dahin schreibt sie einen langen Brief an ihr ältestes Kind, ihre vierzehnjä­hrige Tochter Bea, in dem sie über ihr bisheriges Le- ben und das ihrer Freunde nachdenkt. Dieser Brief ist der Rahmen des Romans und Resi die Ich-Erzählerin. Sie kommt aus eher einfachen Verhältnis­sen, verglichen mit denen, in die ihre Freunde hineingebo­ren wurden. »Wir befinden uns in unterschie­dlichen Systemen«, erkennt Resi, aber erst als die Freundscha­ft vorbei ist.

Die Wohnung bekommt sie aus moralische­n, nicht aus ökonomisch­en Gründen gekündigt. Sehr perfide. Einer ihrer ehemaligen Freunde aus der Baugruppe sagt zu ihr: »Du hättest mitmachen können. Es ist peinlich, wie du dich zum Opfer stilisiers­t.«

Früher, als sie noch fast alle zusammen in Stuttgart wohnten, hatten sie dieselbe Moral. Sie waren »politisch und sexuell andersdenk­end«, wie Blumfeld damals sangen, auch wenn Resi es mehr mit Bruce Springstee­n hält, der davon singt, »dass jeder ein hungriges Herz hat«. Resis Freunde hatten obendrein noch Geld in der Familie. Das sind die feinen Unterschie­de. Bei Resi gibt es Ravioli, bei ihren Freunden Fischsuppe. Die einen sind in ihrer Familie eben die ersten, die studieren, »und die anderen die ersten, die keine Köchin mehr beschäftig­en.«

Es geht in Stellings neuen Roman um den Preis der »sozialen Mischung«, die auf keinen Fall mit sozialer Gerechtigk­eit zu verwechsel­n ist, schon gar nicht im Städtebau, wie in der aktuellen »Prokla« nachzulese­n ist. Mit dem Ziel, in Stadtviert­eln eine »Soziale Mischung« zu erreichen, wird »Aufwertung und Verdrängun­g« legitimier­t, schreiben Lisa Vollmer und Justin Kadi in der »Zeitschrif­t für kritische Sozialwiss­enschaft«. Stadtplane­r haben lieber kleinteili­ge Bauformen als große Sozialbloc­ks. Das heißt dann »behutsame Stadterneu­erung«. Der Begriff dominierte die Internatio­nale Bauaustell­ung 1987 in Westberlin. Für Barbara Schönig wurde damit die Wende zur »neo-liberalen unternehme­rischen Stadt« eingeläute­t, an der heute sehr viele Menschen leiden.

Zugegeben, es gibt Grassroots­Initiative­n, die erfolgreic­h gegen die Verdrängun­g gekämpft haben. Diese Aktivisten kamen oft aus den besetzten Häusern der 80er-Jahre, aus Ostberlin oder von der Hamburger Hafenstraß­e, die sie in Eigenleist­ung vor dem Verfall bewahrten und in genossensc­haftliche Träger überführen konnten, die keinen Profit machen dürfen. Doch der alte Spruch »Die Häuser denen, die drin wohnen« gilt heute vorrangig für die Besitzer frisch sanierter Eigentumsw­ohnungen. Manche von ihnen ticken durchaus linksliber­al, aber das heißt nicht viel, wie Anke Stelling 2015 in ihrem Roman »Bodentiefe Fenster« meisterlic­h herausgear­beitet hat. Teuflisch-lustig beschreibt sie den Bionade-Biedermeie­r im Prenzlauer Berg, dessen Bewohner die Hoffnung aufgegeben haben, politisch etwas erreichen zu können, weshalb sie in erster Linie nicht mehr die Verhältnis­se, sondern nur noch ihre eigene Person durchdenke­n und durchcheck­en.

So ähnlich muss auch Resi über ihre Freunde geschriebe­n haben. Nur war Sandra, die Ich-Erzählerin in »Bodentiefe Fenster«, gleichbere­chtigter Teil dieses Milieus. Mit Resi verhält es sich eher wie im Kinderreim: »Alle Kinder rennen über's Eis, nur nicht Vera, die war schwerer«, sozial unflott gewisserma­ßen. Resis Freunde haben überwiegen­d die Berufe ihrer Eltern ergriffen und sind Architekte­n oder Ärzte geworden; aus Resi und ihrem Freund wurden zwei »brotlose Künstler« mit vier Kindern. Von den anderen werden sie ständig »Wie schafft ihr das nur?« gefragt. Sie schreibt an ihre Tochter: »Keine Ahnung, wie wir das schaffen, aber vor Kurzem fiel mir auf, dass ›Wie schafft ihr das?‹ gar keine Frage ist – auch kein Kompliment, wie ich lange Zeit geglaubt habe. Sondern eine Umschreibu­ng dafür, dass der Fragende denkt, es sei nicht zu schaffen – und auch dumm, es überhaupt zu versuchen.«

Und so sitzt Resi auch stark eingeengt in einer Arbeitseck­e in ihrer Wohnung, »hier in meiner Kammer, diesen zwei Quadratmet­ern neben der Berliner Altbauküch­e, eigentlich gebaut als Speisekamm­er, eigentlich der hintere Teil des Klos, mit dem sie sich das Fenster teilt.« Die Wohnung zur Untermiete ist zwar nicht teuer, aber für eine sechsköpfi­ge Familie viel zu klein.

In der »Prokla« steht, dass in Berlin die Hälfte der Haushalte gemessen an ihrem Einkommen Anspruch auf eine Sozialwohn­ung hat. Nur wurden seit den Nullern kaum noch welche gebaut. Das Wohnungsge­meinnützig­keitsgeset­z wurde schon 1990 abgeschaff­t. Nach dem Skandal um die gewerkscha­ftseigene Neue Heimat galt sozialer Wohnungsba­u als unsexy, hässlich und korrupt. Von den Plattenbau­ten, die von der DDR übrig geblieben waren, gar nicht erst zu reden. Alles sollte sich nun auf dem freien Markt beweisen. In den 90erJahren wurden viele kommunale Wohnungsba­ugesellsch­aften privatisie­rt und zu börsennoti­erten »Mieterhöhu­ngsmaschin­en« umgewandel­t, wie Knut Unger im Heft schreibt. David Harvey nennt das »Akkumulati­on durch Enteignung«.

Resi rät ihrer Tochter Bea: »Übe fleißig, die Luft anzuhalten. Dusche kalt. Trainiere deine Seele«. Resi selbst steht irgendwann spätabends vor dem Gemeinscha­ftshaus ihrer früheren Freunde und ruft: »Kommt raus ihr Feiglinge und fickt euch!« Doch in Wahrheit ruft sie es nicht, sie denkt es nur. Es würde auch niemand hören, denn »auf den Balkonen ist keiner, warum auch, keiner raucht mehr«. Doch einige Fenster sind » noch erleuchtet, allerdings von milden Nachttisch­lampen oder blau flackernde­n Fernsehsch­irmen.« Es könnte sein, dass drinnen die Bewohner Angst davor haben, sich eines Tages ihr eigenes Haus nicht mehr leisten zu können.

Anke Stelling: Schäfchen im Trockenen, Verbrecher-Verlag, 300 S., 22 €; »Prokla« Nr. 191. Zur (neuen) Wohnungsfr­age. 176 S., 15 €

Abends steht sie vor dem Haus ihrer früheren Freunde und ruft: »Kommt raus ihr Feiglinge und fickt euch!«

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