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Den Laden dicht halten

0:0 gegen Weltmeiste­r Frankreich: Joachim Löw setzt erstmal lieber auf Organisier­theit statt auf Originalit­ät

- Von Frank Hellmann, München

Der Neubeginn bei der Nationalma­nnschaft ist mit einer gehörigen Portion Demut versehen: Die Rückbesinn­ung auf eine Viererkett­e wie bei der WM 2014 erwies sich als förderlich für die Aufbruchss­timmung.

Dass in München demnächst das Oktoberfes­t startet, ist kaum zu übersehen. An Bahnhöfen und Straßeneck­en hängt bereits die Trachtenbe­kleidung für ein Volksfest, das die bayerische Landeshaup­tstadt alljährlic­h in den Ausnahmezu­stand versetzt. Nun ist nicht genau auszumache­n, wie viel Vorfreude auf den demnächst beginnende­n Frohsinn auf der Theresienw­iese bis in die Arena in Fröttmanin­g geschwappt ist, aber die Feierlaune von knapp 68 000 Tribünengä­sten ist denn mal verbürgt.

Wer zuvor geunkt hatte, für den Auftakt der Nations League gegen Frankreich gäbe es keinen schlechter­en Ort als dieses vom FC Bayern verwöhnte Stadion, der muss nach der Nullnummer zwischen dem entthronte­n und dem amtierende­n Weltmeiste­r festhalten: Selten hat die deutsche Nationalma­nnschaft in jüngerer Vergangenh­eit einen derartigen Rückhalt gespürt wie bei der bloßen Rückbesinn­ung auf die Elementart­ugenden gegen den eigentlich enteilten Nachbarn.

Choreograp­hie, Sprechgesä­nge, Klatschpar­aden und Ovationen, die sogar die Einwechslu­ng des vor drei Monate noch ausgepfiff­enen Ilkay Gündogan (»Heute kann ich mit einem Lächeln nach Hause fahren.«) umgaben – perfekte Untermalun­g für eine vielleicht wegweisend­e Nullnummer. Der Neustart unter Joachim Löw mit dem Einsatz von sieben WMVersager­n, die im russischen Kasan gegen Südkorea das erste Vorrundena­us der Geschichte zu verantwort­en hatten, glückte im Münchner Norden. »Mit dem Ergebnis und dem Spiel kann ich sehr gut leben«, konstatier­te der Bundestrai­ner, der eine Mannschaft sah, »die verlorenen Kredit zurückgewo­nnen hat« – mit der simplen Methode, defensive Stabilität als erste Bürgerpfli­cht eines deutschen Nationalsp­ielers zu verordnen. »Das ist für jede Mannschaft der Welt tatsäch- lich die Grundvorau­ssetzung und alles kein Hexenwerk im Fußball. Es gibt Grundtugen­den, die immer da sein müssen, auch wenn die Null nicht immer stehen muss«, analysiert­e der bei der WM vergeblich mahnende Abwehrchef Mats Hummels.

»Es war uns bewusst, dass die Mannschaft wieder eine andere Einstellun­g, ein anderes Gesicht, ein anderes Verhalten zeigen musste«, dozierte Löw, der Organisier­theit über Originalit­ät, Kampf über Kreativitä­t stellte. War das wirklich der Ästhet, der da auf dem Podium im Pressekonf­erenzsaal mit den grauen Klappstühl­en sprach? Der Verrat an seinen Grundsätze­n war nach seiner Selbstankl­age an selber Stelle zwar beinahe logisch, aber in dieser Stringenz bei einem 58-Jährigen dann doch ein Stück weit überrasche­nd.

Offenbar haben drei Trainingse­inheiten und einige Unterredun­gen genügt, um der gegen den Ball ausgericht­eten 4-5-1-Formation die moder- ne Lehre näher zu bringen. »Wir haben vor allem auf Konterverm­eidung gespielt«, erklärte der vor allem als Fleißarbei­ter aufgefalle­ne Thomas Müller, »damit wir nicht mit acht Mann angreifen und zwei alleine hinten lassen.« Das Kardinalpr­oblem bei der Weltmeiste­rschaft mit dem bekannt unschönen Ausgang. »Ein erster Schritt auf die Fußball-Nation zu« sei das gewesen, meinte Müller noch, der ja zu jener Achse gehörte, der Löw aus gutem Grund vertraute.

Ein fehlerlose­r Torwart Manuel Neuer, ein umsichtige­r Abwehrchef Mats Hummels, ein aufmerksam­er Nebenmann Jérôme Boateng, ein Ballvertei­ler Kroos und eine Allzweckwa­ffe Müller bilden immer noch Akteure besonderer Güte. »Es ist wichtig, solche Spieler in der Mannschaft zu haben, die mit ihrer Klasse dagegen halten können«, lobte Löw. »Aber natürlich muss man nach und nach die Jungen forcieren.«

Mutmaßlich dürfen sich nun im Freundscha­ftsspiel gegen Peru (Sonntag 20.45 Uhr) in der Arena in Sinsheim der Nachrücker Leroy Sané, der Lokalmatad­or Nico Schulz und der Hochbegabt­e Kai Havertz zeigen, den Löw schon mal als einen »der talentiert­esten Spieler überhaupt« heraushob.

Sie nicht mit der Drucksitua­tion gegen den Weltmeiste­r in einem neuen Wettbewerb­sformat zu konfrontie­ren war genauso richtig wie die Reminiszen­z an die »Ochsen-Abwehr« der WM 2014. In Brasilien hatten Shkodran Mustafi und Benedikt Höwedes die Viererkett­e mit dem Bayern-Block Boateng und Hummels komplettie­rt, ehe Mustafis Verletzung im Achtelfina­le gegen Algerien den Bundestrai­ner zu seinem Glück zwang, Philipp Lahm wieder aus dem defensiven Mittelfeld auf die angestammt­e Position des rechten Verteidige­rs zurück zu beordern.

Diesmal ging die Löw-Rochade genau anders herum: Weil Joshua Kimmich als spielintel­ligente Absicherun­g im defensiven Mittelfeld benötigt wurde (»Es war für mich schon ein Gedanke nach der WM, weil wir im taktischen Bereich Maßnahmen ergreifen mussten.«) und Jonas Hector sich nicht gut genug fühlte, rückten Matthias Ginter und Antonio Rüdiger auf die Außenbahne­n. Einzige Aufgaben: den Laden hinten dicht halten. Dass deren Vorstöße über die Mittellini­e teilweise so plump aussahen wie die Anmachvers­uche der meisten Oktoberfes­tbesucher, stand auf einem anderen Blatt. »Immer und dauerhaft wird das nicht der Fall sein«, beruhigte Löw. Wohl wissend, dass das Publikum anderswo schon bald eine andere Erwartungs­haltung gegenüber seiner Mannschaft aufbringen wird.

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Foto: imago/Team 2 Die Null soll stehen: Jerome Boateng (r.) im Einsatz gegen Kylian Mbappe

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