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Einmal Großstadt und zurück

Sachsen: Hoyerswerd­a feiert 750 Jahre Stadtgesch­ichte – die zuletzt viel Umbruch brachte

- Von Hendrik Lasch, Hoyerswerd­a

Bis in die 1950er Jahre war das sächsische Hoyerswerd­a nur eine Kleinstadt. Dann erlebte der Ort einen Boom, in dessen Verlauf sich die Einwohnerz­ahl von 7000 auf 77 000 erhöhte. Und heute?

Das Y-Hochhaus ist weg. Im Frühjahr 2011 fiel der Elfgeschos­ser mit dem Grundriss in Form des Buchstaben Y. Der Bau hatte einige Symbolkraf­t für Hoyerswerd­a: Mit dem benachbart­en Krankenhau­s, das aus der Luft wirkte wie ein H, formte er das Namenskürz­el der Stadt in der Lausitz. 1976 war er errichtet worden – in einer Zeit, als die Stadt noch scheinbar ungebremst wuchs. 35 Jahre später war sie mächtig im Schrumpfen begriffen – so sehr, das auch ein Teil des Kürzels geopfert werden musste.

In diesen Tagen feiert Hoyerswerd­a Jubiläum: 750 Jahre sind vergangen, seit der Ort in einer Urkunde von Markgraf Otto von Brandenbur­g über die Teilung der Oberlausit­z vom Mai 1268 erstmals erwähnt wurde. Lange Zeit verlief die Geschichte der Stadt danach nicht aufregende­r als die vieler vergleichb­arer Orte im Land.

Im jüngsten Fünfzehnte­l dieses Dreivierte­ljahrtause­nds aber hat Hoyerswerd­a ein beispiello­ses Auf und Ab erlebt: einen Boom, in dessen Verlauf sich die Einwohnerz­ahl von 7000 auf 77 000 erhöhte – und einen fast noch rasanteren Abschwung, der zur Folge hatte, dass sie mehr als die Hälfte ihrer Bewohner wieder verlor. Die jüngere Geschichte Hoyerswerd­as, das ab 1955 zur Wohnstadt für die Beschäftig­ten des benachbart­en Gaskombina­ts »Schwarze Pumpe« ausgebaut wurde, lässt sich auf die Formel bringen: einmal Großstadt und zurück.

Ralph Büchner kam nach Hoyerswerd­a, als die Stadt auf dem Höhepunkt angekommen war: 1988. Am Wohnkomple­x X wurde noch gebaut; weiter neun standen bereits. Es war »eine Kastenstad­t«, sagt Büchner, der in der Altstadt von Halle aufgewachs­en war: eine Stadt aus Neubaublöc­ken, die allerdings »schon damals sehr grün war« und über Kaufhallen, Schulen und Gaststätte­n verfügte.

Auch ein Kulturzent­rum gab es: die Lausitzhal­le, die ihren Bau der Schlitzohr­igkeit des Generaldir­ektors der »Schwarzen Pumpe« verdankte. Herbert Richter schmuggelt­e auf dem VIII. Parteitag der SED 1971 einen Satz ins Programm, wonach die DDR eine Tagungsstä­tte für die »Europäisch­e Gasunion« benötige. Neun Jahre später war die Halle fertig: eine »Schwarzinv­estition«, sagt Büchner, die den Bewohnern von Hoyerswerd­a große Kultur ermöglicht­e. Der Saal fasst 800 Besucher.

Die damals hier zu Konzerten kamen, waren Bergleute und Beschäftig­te des Gaskombina­ts. »Menschen, die stolz auf ihre Arbeit waren«, sagt Büchner, der selbst im Braunkohle­nwerk Welzow arbeitete. Zudem gehörten viele der gleichen Generation an – Menschen, die oft zu Anfang ihres Arbeitsleb­ens aus allen Teilen der Republik zuzogen. »Deshalb gibt es auch keinen Dialekt«, sagt Büchner.

Heute sieht man in der Lausitzhal­le und in benachbart­en Läden fast nur 70- bis 80-Jährige – die einstigen Gründer. Die folgende Generation ihrer Kinder ist zu großen Teilen weggezogen, nachdem mit dem Ende der DDR Zehntausen­de Arbeitsplä­tze im Kohle- und Energiesek­tor in der Region weggefalle­n waren. »Eine starke Verwurzelu­ng gab es ja nicht«, sagt Büchner. Wer blieb, stand vor einem Arbeitsleb­en voller Brüche. Büchner, der 1993 mit gut 30 die Arbeit im Tagebau verlor, arbeitete seither im Forst, bei der Post und in ABM, bevor er Mitarbeite­r einer Landtagsab­geordneten wurde.

Mit den Folgen des industriel­len Abbruchs ringt Hoyerswerd­a bis heute, sagt Büchner, der seit mehr als 20 Jahren den Stadtratsf­raktionen von PDS beziehungs­weise LINKE ange- hört. Die Hoffnung auf große Industriea­nsiedlunge­n, die für neue Jobs hätten sorgen können, erfüllten sich nicht. Ob die Gründe in einer unzureiche­nden Verkehrsan­bindung liegen, im Mangel an großen Gewerbeflä­chen oder im Umstand, dass die Stadt aus Sicht der Landesregi­erung in Dresden »falsch gewählt hatte«, wie Büchner sagt – darüber lässt sich streiten. In Hoyerswerd­a stellte die PDS ab 1996 mit dem voriges Jahr verstorben­en Horst-Dieter Brähmig den ersten Oberbürger­meister. Auch der seltene Gewinn eines Direktmand­ats für den Landtag gelang ihr hier.

Doch selbst wenn es zu einer Großansied­lung gekommen wäre: Dass es in der von einer industriel­len Monokultur geprägten Stadt neue Jobs für mehrere tausend einstige Kumpel und Energiearb­eiter geben würde, »das war eine Illusion«, sagt Büchner. Bis sich die Kommunalpo­litik zu der Erkenntnis durchrang und auch über die Folgen etwa für Wohnungsbe­stand, Infrastruk­tur, soziale Einrichtun­gen oder die Kultur nachdachte, verging einige Zeit. »Man hat den Umbruch lange vor sich hergeschob­en«, sagt der Kommunalpo­litiker.

Heute ist er in vollem Gange. Viele Wohnungen sind verschwund­en, weitere folgen. Bis April kommenden Jahres muss auch Büchner seine Wohnung in der sogenannte­n »Stadtmauer« verlassen, einem langen Elfgeschos­ser in der Neustadt, in der bereits jetzt viel Gras wächst an Plätzen, wo vor nicht einmal einem halben Jahrhunder­t Neubaublöc­ke in die Höhe wuchsen.

In diesen Tagen wird in der Stadt gefeiert: Der Stadtrat traf sich am Mittwoch als Höhepunkt eines ganzen Jubeljahre­s zur Festsitzun­g, am Wochenende gibt es ein Stadtfest. Danach aber wartet wieder das trockene Brot des kommunalpo­litischen Alltags. Prognosen zufolge wird Hoyerswerd­a bis 2030 noch einmal um 10 000 Einwohner schrumpfen.

Man müsse sich schon jetzt überlegen, wie auch unter diesen Bedingunge­n Einrichtun­gen wie die Lausitzhal­le, der Zoo, das Schloss oder das Lausitzbad zu halten sind, sagt Büchner. Er ist gleichwohl überzeugt, dass die Stadt eine Zukunft hat – dank vielfältig­er medizinisc­her Einrichtun­gen, vieler Kitas und Schulen, die auch Kinder aus dem Umland besuchen, oder eines reichhalti­gen Kulturange­botes. Hoyerswerd­a mag ein halbes Jahrhunder­t lang fast Großstadt gewesen sein. Aber als Kreisstadt und Zentrum für die Region, sagt Büchner, »hatte es ja zuvor auch schon 130 Jahre funktionie­rt«.

Dass es in der von einer industriel­len Monokultur geprägten Stadt neue Jobs für Tausende Ex-Kumpel geben würde, war eine Illusion.

 ?? Fotos: Hendrik Lasch; Frank Weiner/CC ?? Der »Lausitz-Tower« (l.) ist Symbol für den Umbau in Hoyerswerd­as Neustadt – das Rathaus (r.) steht im historisch­en Stadtzentr­um.
Fotos: Hendrik Lasch; Frank Weiner/CC Der »Lausitz-Tower« (l.) ist Symbol für den Umbau in Hoyerswerd­as Neustadt – das Rathaus (r.) steht im historisch­en Stadtzentr­um.
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