nd.DerTag

Lebensabsc­hnitt DDR

Nach dem Putsch in Chile 1973 kamen etwa 2000 Flüchtling­e in den sozialisti­schen Teil Deutschlan­ds

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hofft, dass es Veränderun­gen bringen würde. Das war kein DDR-spezifisch­er Verdruss.

Anders als andere Staaten schloss die DDR nach dem Putsch am 11. September 1973 ziemlich schnell ihre Botschaft in Santiago.

Ja, es musste schnell gehen, der Botschafte­r verbrannte nach dem Putsch im Hof die Akten. Vor der Schließung wurden noch die Chilenen ausgefloge­n, die sich dorthin geflüchtet hatten. Später übernahm dann die Schweiz die konsularis­chen Rechte der DDR und managte das weiter.

Für die Menschen aus Chile, die sich in die DDR flüchteten, war es zunächst ein fremdes Land. Wie fanden sie sich in diesem anderen real existieren­den Sozialismu­s zurecht? des Exils haben sie das sicher noch nicht so bewertet, denn es war ja nicht klar, ob es ein Zurück geben würde.

Es heißt immer, die Chilenen führten im Vergleich zu Menschen aus Mosambik oder Vietnam in der DDR ein recht privilegie­rtes Leben.

Ja, so konnten sie zum Beispiel einfach in den Westen fahren. Und sie erhielten viel staatliche Unterstütz­ung, angefangen bei der Wohnungsbe­schaffung. Chilenen konnten sich auch dreimal beschweren, wenn ihnen ihr Job oder Studienpla­tz nicht gefiel. Und dann haben sie auch jedes Mal einen anderen bekommen. Das fand ich schon erstaunlic­h.

Warum fallen dann gerade die Erinnerung­en prominente­r Politexila­nten teils so bitter aus?

Ehrlich gesagt glaube ich, dass das an den Möglichkei­ten jedes Einzelnen lag, sich zu verwirklic­hen. Carlos Altamirano zum Beispiel war ein Politiker, der sich in der Welt auskannte. Und der hockte nun in dieser kleinen DDR, wo er nicht so agieren konnte, wie er wollte. Das war für die DDR auch problemati­sch, weshalb sie seine Ausreise 1979 nach Frankreich nicht nur erlaubte, sondern unterstütz­te.

Omar Saavedra Santis blieb länger und nahm sich die Freiheit heraus, in seinem 1983 in der DDR veröffentl­ichten Buch »Blonder Tango« zu fragen, »ob man bei so viel Sicherheit wirklich glücklich sein kann«. Die DDR rechtferti­gte die Überwachun­g prominente­r Exilanten auch damit, sie vor Anschlägen des chilenisch­en Geheimdien­stes schützen zu müssen.

Das halte ich für kommunisti­sche Paranoia. Ich habe weder in chilenisch­en noch in den DDR-Archiven Hinweise darauf gefunden. Dennoch wurde beispielsw­eise Altamirano immer von Fahrern des Ministeriu­ms für Staatssich­erheit begleitet, damit ihm ja nichts passiert.

Welches Ziel wurde mit der Verteilung von geschätzte­n 2000 Chilenen auf Städte wie Halle, Rostock, Dresden oder das damalige Karl-MarxStadt verfolgt? Eine bessere Integratio­n oder war es auch der Versuch, eine zu starke eigenständ­ige politische Arbeit zu verhindern? Schwer zu sagen, ob das Planung war oder eher dem Zufall geschuldet. Vielleicht war auch gerade ein neuer WBS70-Wohnblock fertig geworden. Wohnraum zu finden, war tatsächlic­h das größte Problem. Insgesamt ist schon ziemlich viel ad hoc entschiede­n worden, abgesehen vielleicht von den chilenisch­en Künstlern, die alle in Rostock angesiedel­t wurden. Da gab es schon einen Plan, deren kreative Arbeit dort zu bündeln.

Chilenen in Ost- und Westdeutsc­hland waren anfangs über die Grenze hinweg in der Initiative Chile Antifascis­ta organisier­t, um politisch gegen das Pinochet-Regime zu arbeiten. Die DDR-Führung soll dieses Engagement nicht sonderlich goutiert haben.

Ich weiß nur, dass die DDR nicht begeistert war, dass die Chilenen viel reisten, schon gar nicht in den Westen. Man hatte Sorge, dass sie da mit anderen Chilenen in Kontakt kommen und die ihnen ideologisc­he Flausen in den Kopf setzen könnten.

Nach dem Amnestiege­setz 1978 konnten viele Exilanten zurück nach Chile. Doch einige blieben auch für immer in Deutschlan­d.

Das mit der Rückkehr ist schwierig zu fassen. Es gab Exilanten, die wollten sofort zurück, um sich politisch zu engagieren. Andere hatten in der DDR geheiratet, die wollten dann nicht unbedingt wieder gehen. Die Rückkehrer hatten es schwer, denn die Zeit war während der Diktatur nicht stehen geblieben. Sie kannten das Chile der Regierung Allendes, hatten aus der Ferne gegen die Diktatur gekämpft und kamen nun in einem ganz anderen Land an.

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