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Brennende Autos, frohlocken­de Rechte

Schweden wählt, die Stimmung ist angespannt wie selten zuvor.

- Von Birthe Berghöfer, Malmö

Am Montagaben­d des 13. August wird Timo Lyyra von seinem zehnjährig­en Sohn angerufen. Vor dem Fenster seiner Wohnung in Frölunda, einem Stadtteil von Göteborg, brennen Autos, angezündet von einer Gruppe schwarz gekleidete­r und maskierter Jugendlich­er. Mehrere Knalle, die Alarmanlag­en einiger Autos hallen über den Parkplatz der Wohnanlage. »Wenn das direkt vor deinem Schlafzimm­er passiert, wenn es zu dir nach Hause kommt, kriegst du richtig Angst«, erzählt Lyyra später im Interview mit der Nachrichte­nseite »The Local«.

Insgesamt 80 Autos brennen in dieser Nacht in Göteborg. Viele weitere in Stockholm, Uppsala sowie kleineren Städten Schwedens. In sozialen Medien wird schnell über die Täter und deren politische Motive spekuliert. Der Abgeordnet­e der linken Vänsterpar­tiet Daniel Riazat twittert noch am selben Abend, er sei nicht überrascht, falls die Ereignisse mit Rechtsextr­emen in Verbindung gebracht werden könnten. Augenzeuge­n hätten angeblich das Logo der rechtspopu­listischen Partei Sverigedem­okraterna (Schwedende­mokraten, SD), eine blaue Blume mit gelbem Kern, auf der Kleidung einiger Täter erkennen können. Die Vermutunge­n über mögliche Motive reichen von Fremdenhas­s bis zur gezielten Inszenieru­ng von Kriminalit­ät

Wenn die Rechtspopu­listen die prognostiz­ierten rund 20 Prozent erreichen, wird dies das gängige politische Gefüge erheblich durcheinan­derbringen.

durch Anhänger der Partei. Wenige Tage später stellt sich das Ganze anders dar: Drei mutmaßlich­e Täter, zwischen 16 und 21 Jahren alt, werden festgenomm­en, einer wurde an der Grenze zur Türkei aufgegriff­en. Außerdem ist ein Bekennervi­deo öffentlich geworden, in dem sich ein maskierter Mann an Polizei, Gesellscha­ft und Politiker richtet: »Werden wir wie Tiere behandelt, dann benehmen wir uns wie Tiere.«

Dass die Spekulatio­nen über Motive und Nationalit­ät der Täter sofort ins Kraut schießen, ist – wie auch die Tat selbst – wie ein Gleichnis auf die Stimmung im Land. Kurz vor den Wahlen zum schwedisch­en Reichstag am 9. September ist diese angespannt und polarisier­t wie selten zuvor. Umfragen prognostiz­ieren den Schwedende­mokraten – einer Partei mit Wurzeln in der rechtsextr­emistische­n Szene – einen Zugewinn an Stimmen, der sie zur zweitstärk­sten, wenn nicht sogar stärksten Partei Schwedens machen könnte.

Zwar haben die SD bereits seit 2010 Abgeordnet­e im Reichstag. In der folgenden Wahlperiod­e erlangten sie 12,9 Prozent und sind damit längst im Parlament vertreten, ihr Einfluss blieb bislang jedoch ohne die Zusammenar­beit mit anderen Parteien begrenzt. Wegen mangelnder Koalitions­partner werden sie auch jetzt kaum an die Macht kommen. Dennoch: Wenn die Rechtspopu­listen die prognostiz­ierten rund 20 Prozent erreichen, wird dies das gängige politische Gefüge erheblich durcheinan­derbringen. Denn die zukünftige Regierung muss im an Minderheit­enregierun­gen gewohnten Schweden sicherstel­len, dass sie keine Parlaments­mehrheit gegen sich hat. 20 Prozent wären da schon einiges an Macht für die Rechten.

Mit den Ereignisse­n in Frölunda und anderen Städten erhalten im Endspurt des Wahlkampfe­s erneut die Themen Aufmerksam­keit, mit denen sich die Rechten profiliere­n: Kriminalit­ät, Migration und Integ-

ration. Gleichzeit­ig haben die SD seit ihrem ersten Einzug in den Stockholme­r Reichstag erheblich an ihrem Image gearbeitet. Regelmäßig werden Parteimitg­lieder ausgeschlo­ssen, die sich öffentlich rassistisc­h oder antisemiti­sch äußern, und längst positionie­ren die Schwedende­mokraten sich nicht mehr nur zum Thema Einwanderu­ng, sondern auch zum Gesundheit­s- und Bildungswe­sen – Umfragen zufolge eigentlich jene Themen, die den Menschen besonders am Herzen liegen.

Die rot-grüne Regierung unter dem Sozialdemo­kraten Stefan Löfven hatte unter anderem versproche­n, die ärztliche Behandlung nach erfolgter Diagnose innerhalb von vier Wochen zu gewährleis­ten. Heute warten Prostatakr­ebspatient­en immer noch durchschni­ttlich ein halbes Jahr auf eine Operation. Viele Wähler*innen sind unzufriede­n und den Sozialdemo­kraten wird nun mit knapp 24 Prozent in den Umfragen

ihr bisher schlechtes­tes Ergebnis vorausgesa­gt. Diese zwar nicht neue, sich aber derzeit zuspitzend­e Krise der Sozialdemo­kratie spiegelt sich in den guten Umfragewer­ten für die Rechten, die sich nicht nur als ausländerf­eindlich, sondern inzwischen auch als Hüter der Reste des schwedisch­en Sozialstaa­tes präsentier­en. Ihr derzeitige­r Erfolg liegt in der Verbindung von sozialen Themen und »Einwanderu­ngskritik«.

Das Thema beschäftig­t bereits länger die öffentlich­e Debatte, nimmt nun aber mehr Raum ein als je zuvor. Das hat nicht nur, aber auch damit zu tun, dass Schweden 2015 proportion­al so viele Geflüchtet­e aufgenomme­n hat wie kein anderes europäisch­es Land und es auch hier Menschen gibt, die diese Einwanderu­ng ablehnen: Von diesen – größtentei­ls Männer und jene, die außerhalb großer Städte wohnen – erhalten die Schwedende­mokraten ihre Stimmen.

Auch in Malmö brannten in der Nacht des 13. August Autos. Die drittgrößt­e Stadt Schwedens hat bereits länger ein Gewaltprob­lem, besonders der Stadtteil Rosengård ist für viele im Land Symbol einer gescheiter­ten Integratio­nspolitik. Hier, in den Reihen grauer Hochhäuser, leben überwiegen­d Migrant*innen, die Arbeitslos­igkeit ist hoch, ebenso die Zahl der Straftaten. Der Bezirk ist schon lange nicht mehr nur dafür bekannt, Heimat des Fußballspi­elers Zlatan Ibrahimovi­ć zu sein. Seit Jahren dominieren Gangrivali­täten und öffentlich­e Schießerei­en den Alltag, so viele tödliche Schießerei­en wie in Malmö hat es in keiner anderen Gegend in Schweden gegeben.

Man sieht Rosengård auf den ersten Blick den sozialen Brennpunkt nicht an. Zwischen den Hochhäuser­n ist es grün, es gibt viele Spiel- und Sportplätz­e, einer davon heißt »Zlatancour­t«. Der Bezirk ist allerdings abgelegen, durch Bahngleise vom

Zentrum der Stadt getrennt, und es gibt nur wenige Unterführu­ngen, die Rosengård mit der Södra Innerstade­n, der südlichen Innenstadt, verbinden. Kurz vor dem 9. September hängen erstaunlic­h wenig Wahlplakat­e in Rosengård – der Stadtteil ist wie abgetrennt, geografisc­h, gesellscha­ftlich und politisch segregiert. »Wenn du Menschen gesellscha­ftlich ausschließ­t und verarmen lässt, werden diese natürlich nicht glücklich darüber sein. Sie haben keine Möglichkei­ten und sind gesellscha­ftlich isoliert. Sie sollen sich anpassen, kriegen aber nicht die Chance dazu«, sagt der Göteborger Lyyra. Auch wegen dieser Probleme, die in den Ghettos herrschen, wäre es für viele Menschen in Frölunda oder Rosengård eine Katastroph­e, wenn die SD so gut abschneide­n, wie vorausgesa­gt wird: Sie werden am ehesten die Opfer einer aufgeheizt­en öffentlich­en Debatte sein, die die Rechten maßgeblich mitbestimm­en.

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Foto: AFP/Fredrik Sandberg »Aufräumen und durchgreif­en« wollen die Schwedende­mokraten, deren Wurzeln in der rechtsextr­emen Szene liegen.

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