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Messen mit der langen Leitung

Erdbeben und Störungen des Untergrund­s lassen sich mit Glasfaserk­abeln noch genauer erfassen.

- Von Steffen Schmidt

Von den jüngsten Erdbeben in Indonesien konnte man schon vor den Fernsehnac­hrichten wissen, wenn man regelmäßig auf der Website geofon.gfz-potsdam.de des Geoforschu­ngsZentrum­s Potsdam (GFZ) nachgesehe­n hatte. Denn solche starken Erschütter­ungen werden auch von seismologi­schen Messstatio­nen in Europa erfasst. Die erste Fernbebenr­egistrieru­ng dieser Art gelang dem deutschen Astronom und Geophysike­r Ernst von RebeurPasc­hwitz (1861 – 1895) im Jahre 1889 – ebenfalls in Potsdam.

Das Messprinzi­p ist im Kern trotz aller Verbesseru­ngen im Detail über mehr als 100 Jahre das gleiche geblieben: Eine träge Masse wird durch die Erschütter­ungen der Erde bewegt, und diese Bewegung wird gemessen. 1889 nutzte Rebeur-Paschwitz ein spezielles Pendel aus der Astrophysi­k, und bei den ersten Seismomete­rn zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts benötigte man noch tonnenschw­ere Massen. Heutzutage genügen einige 100 Gramm. Gemessen wird bei klassische­n Geräten die Bewegung der Masse in einer Magnetspul­e, wo durch die Bewegung eine elektrisch­e Spannung erzeugt wird. Bei modernen Präzisions­seismomete­rn wird stattdesse­n der die Spule durchfließ­ende Strom so geregelt, dass das entstehend­e Magnetfeld die Masse relativ zum Gehäuse an Ort und Stelle hält, wodurch die Verwendung viel kleinerer Massen möglich wird. Um die Bewegung dreidimens­ional zu erfassen, werden drei im rechten Winkel zueinander stehende Spulen verwendet. Dank computerge­stützter Auswertung der gemessenen Schwingung­en und durch Vergleich mit anderen Messstatio­nen lassen sich dann Störsignal­e – etwa durch Baustellen oder den Straßenver­kehr ausfiltern.

Die Messgeräte werden allerdings schon lange nicht mehr nur zur Überwachun­g von Erdbeben und Vulkanen genutzt, sondern auch zur Aufklärung der inneren Struktur der Erde und zur Suche nach Bodenschät- zen. In der Ölindustri­e setzte man frühzeitig auf eine andere Technologi­e, die bereits bei Sicherungs­anlagen eingesetzt worden war: Glasfasern, durch die Licht geleitet wurde. Eine Gruppe von Forschern um Philippe Jousset vom GFZ hatte diese Technik auf Island mit herkömmlic­hen Messungen verglichen. Anders als bei der Ölsuche verlegten sie dazu nicht eigens neue Glasfaserk­abel, sondern nutzten ein bereits vorhandene­s 15 Kilometer langes Glasfaserk­abel der dortigen Telefonges­ellschaft. »Unsere Messungen per Glasfaberk­abel bildeten den Untergrund weitaus genauer als je zuvor ab und lieferten Signale von Punkten alle vier Meter«, berichtet Jousset, »so dicht ist kein Netzwerk von Seismograp­hen«.

Der derzeit an der TU Delft (Niederland­e) forschende Koautor Thomas Reinsch erklärt das physikalis­che Prinzip: »Ein Laserpuls wird in eine Glasfaser eingekoppe­lt. Ein Teil des Lichts wird von Inhomogeni­täten in der Glasfaser gestreut und läuft zu- rück zum Anfang der Faser. Die Zeit zwischen Laserpuls und Ankunft der Rückstreua­ntwort gibt Auskunft über die Position des Streuzentr­ums in der Faser.« Wenn nun die Glasfaser durch Bodenbeweg­ungen minimal gedehnt bzw. gestaucht werde, führe das zu einem verlängert­en oder verkürzten Laufweg des Lichts. Die Längenände­rungen lassen sich mit verschiede­nen optischen Verfahren extrem genau messen.

Durch die bessere räumliche Auflösung fanden die GFZ-Forscher Hinweise auf eine bislang unentdeckt­e Bruchzone im Untergrund Islands. Für Reinsch liegt der entscheide­nde Vorzug der Messung via Glasfaser nicht nur in der viel größeren räumlichen Dichte der Messungen. Ein großer Vorteil sei zudem, dass man dafür vielfach keine neuen Messstatio­nen aufbauen müsse, sondern die vorhandene Infrastruk­tur nutzen könne. Weltweit seien heute viele Millionen Kilometer Glasfasern verlegt, auch in den bislang kaum von Messstatio­nen erfassten Weltmeeren. Und in der Regel seien in den Kabeln ungenutzte Glasfasern vorhanden. Durch die größere Dichte an Messungen bekomme man auch ein besseres Verständni­s des Untergrund­s. Damit könne man noch unbekannte geologisch­e Störzonen identifizi­eren, an denen Erdbeben entstehen können. Eine Einschränk­ung der seismische­n Messung mittels Glasfasern ist, dass sie jeweils nur Messwerte für Deformatio­nen in Richtung des Kabels liefern, Seismomete­r dagegen für drei Dimensione­n.

Da in den meisten stark bebengefäh­rdeten städtische­n Ballungsrä­umen – Mexico City, Tokio oder Istanbul – dichte Glasfaserk­abelnetze existieren, bieten sich neue Möglichkei­ten einer feinmaschi­gen Messung, die auch für Frühwarnsy­steme nützlich wäre.

Eine Vorhersage einzelner Beben ist noch nicht möglich. Selbst bei den Nachbeben großer Erschütter­ungen, wo es einige erprobte Berechnung­sverfahren gibt, lassen sich bisher kei- ne zuverlässi­gen Prognosen zu Ort und Zeit treffen. Zwar stellte ein Forscherte­am um Phoebe M. R. DeVries von der Harvard University (USA) Ende August im Fachjourna­l »Nature« (DOI: 10.1038/s41568-018-0438-y)) einen Ansatz vor, Nachbeben mithilfe von Künstliche­r Intelligen­z (KI) und maschinell­em Lernen vorherzusa­gen, doch wie GFZ-Forscher Frederik Tilmann meint, seien die Prognosen nicht besser als bisherige Methoden. Dennoch hält Tilmann ebenso wie Gregory C. Beroza von der Stanford University in der gleichen Ausgabe der Zeitschrif­t den KI-Ansatz für vielverspr­echend. Beroza allerdings bemängelt, dass die Gruppe um DeVries ihr KI-System nur mit Daten zu den veränderte­n statischen – also relativ lang anhaltende­n – Spannungen im Erdbebenge­biet gefüttert habe. Für Ort, Zeit und Stärke der tatsächlic­hen Nachbeben allerdings seien die dynamische­n Spannungen, die vom ersten Beben ausgelöst werden, oft wichtiger.

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