Ahistorischer Frevel
Polen schleift Denkmäler, die an die Befreier vom NS-Joch erinnern.
Polen befinde sich im Kriegszustand mit Denkmälern. Dies äußerte unlängst der russische Außenminister Sergej Lawrow. Er hatte dabei den im großen Stile durchgeführten Abriss von Denkmälern in Polen im Blick, die an die Befreiung des Landes durch die Rote Armee und an den gemeinsamen Kampf sowjetischer und polnischer Soldaten gegen den Hitlerfaschismus erinnern. Etwa 500 sogenannter Dankbarkeitsdenkmäler sind davon betroffen. Die bereits seit einiger Zeit praktizierten wilden Abrisse werden jetzt durch ein Gesetz geschützt, weitere Zerstörungen nunmehr also staatsoffiziell legitimiert.
Das oberste polnische Parlament, der Sejm, hat eigens hierfür eine Änderung im »Gesetz zur Dekommunisierung« beschlossen. Sie ist ausgerechnet am Jahrestag des Angriffs Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion, am 22. Juni vergangenen Jahres, von Präsident Andrzej Duda unterschrieben worden. Am 21. Oktober 2017 trat die Gesetzesänderung in Kraft – und blieb bisher von der internationalen Öffentlichkeit unbemerkt. Kein Schrei der Empörung, keine Proteste bislang seitens der Europäischen Union, die – zu Recht – ansonsten die sukzessive Umwandlung, besser: Kastration des polnischen Rechts- und Verfassungsstaates verurteilt.
Für Moskau stellt der von der polnischen Regierung sanktionierte Angriff auf Ehrenhaine und Monumente einen offenen Bruch des noch immer gültigen bilateralen Abkommens zwischen Russland und Polen zum Schutz der Denkmäler dar. Nach heutiger polnischer Lesart hingegen lasse dieses Abkommen den Abbau von Mahnmalen durchaus zu, lediglich Begräbnisstellen und Friedhöfe von Rotarmisten sollen von der Liquidierung ausgenommen sein. Mehr als 600 000 sowjetische Soldaten und Offiziere hatten für die Befreiung Polens ihr Leben gegeben. Zählen diese Opfer nicht mehr? Offenbar. Das Institut für das Nationale Gedenken hat eine Liste mit Denkmälern für den Abriss vorgelegt. Am 24. März dieses Jahr wurde im niederschlesischen Legnica das vor 67 Jahren im Zent-
rum der Stadt errichtete Denkmal abgebaut, das den gemeinsamen Kampf polnischer und sowjetischer Soldaten gegen Hitlerdeutschland symbolisiert und zu dem ein junges Mädchens gehört, das für die Überlebenden des deutschen Eroberungs- und Vernichtungskrieges gegen Polen steht. Adam Wierzbicki, der im Stadtrat von Legnica für die nationalkonservative Regierungspartei (PiS) sitzt, freut sich über den Abriss, denn seiner Meinung nach war seine Heimat ein halbes Jahrhundert von der Sowjetunion besetzt. Andere Bürger sahen das Denkmal als bewahrenswertes Zeugnis der Geschichte an und sind empört über dessen Eliminierung. Andere bedauern lediglich, dass ihre Stadt nunmehr um eine touristische Attraktion ärmer sei. Was mit der Figurengruppe weiter geschehen soll, ist unklar. Zunächst wurde sie in einem Magazin eingelagert.
In Oleśnica, ebenfalls Niederschlesien, wurde ebenso ein Denkmal eins-
tiger sowjetisch-polnischer Waffenbrüderschaft abgerissen. Der passionierte Heimatforscher Marek Nienałtowski ist entsetzt. Für ihn bedeutete das Monument eine wichtige und notwendige Würdigung jener Menschen, die mit ihrem Blutzoll es erst möglich machten, dass seine Heimat wiedergeboren wurde. Vergeblich hatte das Bündnis der Demokratischen Linken (SLD) bis zur letzten Minute versucht, zumindest eine Verlegung des Denkmals auf den sowjetischen Friedhof zu erwirken – als Alternative zum frevelhaften Abriss.
Weitere Beispiele des Geschichtsrevisionismus und – ja, auch das – ahistorischer Undankbarkeit ließen sich anführen. Eine Ausnahme in dem einem fatalen Zeitgeist folgenden Zerstörungswahn bildet das Denkmal »Zur Befreiung der Erde von Ermland und Masuren«, das sich in der Stadtmitte von Olsztyn befindet. Rechtzeitig hatten die Stadtväter das Monument unter Denkmalschutz gestellt.
Polen kämpften an vielen Fronten des Zweiten Weltkrieges an der Seite der Alliierten. Die Waffenbrüderschaft mit der Sowjetunion war schwierig und fragil, ist unter komplizierten Voraussetzungen geschmiedet worden. Nach dem – gemäß dem geheimen Zusatzprotokoll des deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakts im September 1939 erfolgten – Einmarsch der Roten Armee waren Tausende Polen in sowjetische Lager verschleppt worden. Der Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion im Juni 1941 änderte die Situation grundlegend. Unter der Führung von General Władysław Anders wurde auf der Grundlage eines Abkommen zwischen Moskau und der polnischen Exilregierung in London auf sowjetischem Territorium eine polnische Armee aufgestellt, die im März 1942 in den Nahen Osten verlegt und unter britisches Kommando gestellt wurde. Die Entdeckung der Massengräber im Wald von Katyń im Frühjahr 1943 mit den sterblichen Überresten der durch Stalins Geheimpolizei erschossenen polnischen Offiziere, die von der NSPropaganda weidlich ausgeschlachtet wurde, führte zum Abbruch der Beziehungen zwischen der polnischen Exilregierung und dem Kreml. Stalin ordnete den Aufbau einer neuen polnischen Armee an. Mit Unterstützung polnischer Kommunisten formierte General Zygmunt Berling die 1. Infanteriedivision, die nach dem polnischen Nationalhelden Tadeusz Kościuszko benannt wurde. In nur drei Monaten wurden 11 500 polnische Soldaten ausgebildet, die aus verschiedenen sozialen Milieus stammten und sich politisch unterschiedlich positionierten. Immer wieder gab es auch Unstimmigkeiten zwischen den Soldaten und dem mehrheitlich sowjetischen Führungspersonal. Einigendes Band war schließlich das gemeinsame Ziel der Vernichtung des Hitlerfaschismus und die Befreiung Polens von den Naziokkupanten. Am 1. September 1943 marschierte die Kościuszko-Division, die bald zur Armee avancierte, an die Front. Im Sommer 1944 wurde eine zweite polnische Armee aufgestellt. Von den an der Seite der Rotarmisten in den blutigen Schlachten von Lenino bis Berlin 1943 bis 1945 kämpfenden polnischen Soldaten und Offizieren sind fast 18 000 gefallen, rund 50 000 wurden verletzt.
Heute feiert Polen »neue Helden« – die sogenannten »verstoßenen Soldaten«. Damit sind die Kämpfer des antikommunistischen Untergrunds gemeint, die von 1944 bis 1963 zahlreiche bewaffnete Anschläge gegen die Volksrepublik Polen unternahmen und vor Morden an Zivilisten nicht zurückschreckten. Um sie hat sich mittlerweile ein beängstigender, aggressiv-nationalistischer Kult entwickelt. Denkmäler zu deren Ehren schießen in Großstädten wie Warschau und Gdańsk, aber auch in kleineren Orten, wie Pilze aus dem Boden.
An diesem Sonntag, dem Tag der Mahnung und Erinnerung, werden am Denkmal für die polnischen Befreier in Berlin-Friedrichshain jedenfalls wieder Blumen niedergelegt.