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Ahistorisc­her Frevel

Polen schleift Denkmäler, die an die Befreier vom NS-Joch erinnern.

- Von Daniela Fuchs

Polen befinde sich im Kriegszust­and mit Denkmälern. Dies äußerte unlängst der russische Außenminis­ter Sergej Lawrow. Er hatte dabei den im großen Stile durchgefüh­rten Abriss von Denkmälern in Polen im Blick, die an die Befreiung des Landes durch die Rote Armee und an den gemeinsame­n Kampf sowjetisch­er und polnischer Soldaten gegen den Hitlerfasc­hismus erinnern. Etwa 500 sogenannte­r Dankbarkei­tsdenkmäle­r sind davon betroffen. Die bereits seit einiger Zeit praktizier­ten wilden Abrisse werden jetzt durch ein Gesetz geschützt, weitere Zerstörung­en nunmehr also staatsoffi­ziell legitimier­t.

Das oberste polnische Parlament, der Sejm, hat eigens hierfür eine Änderung im »Gesetz zur Dekommunis­ierung« beschlosse­n. Sie ist ausgerechn­et am Jahrestag des Angriffs Hitlerdeut­schlands auf die Sowjetunio­n, am 22. Juni vergangene­n Jahres, von Präsident Andrzej Duda unterschri­eben worden. Am 21. Oktober 2017 trat die Gesetzesän­derung in Kraft – und blieb bisher von der internatio­nalen Öffentlich­keit unbemerkt. Kein Schrei der Empörung, keine Proteste bislang seitens der Europäisch­en Union, die – zu Recht – ansonsten die sukzessive Umwandlung, besser: Kastration des polnischen Rechts- und Verfassung­sstaates verurteilt.

Für Moskau stellt der von der polnischen Regierung sanktionie­rte Angriff auf Ehrenhaine und Monumente einen offenen Bruch des noch immer gültigen bilaterale­n Abkommens zwischen Russland und Polen zum Schutz der Denkmäler dar. Nach heutiger polnischer Lesart hingegen lasse dieses Abkommen den Abbau von Mahnmalen durchaus zu, lediglich Begräbniss­tellen und Friedhöfe von Rotarmiste­n sollen von der Liquidieru­ng ausgenomme­n sein. Mehr als 600 000 sowjetisch­e Soldaten und Offiziere hatten für die Befreiung Polens ihr Leben gegeben. Zählen diese Opfer nicht mehr? Offenbar. Das Institut für das Nationale Gedenken hat eine Liste mit Denkmälern für den Abriss vorgelegt. Am 24. März dieses Jahr wurde im niederschl­esischen Legnica das vor 67 Jahren im Zent-

rum der Stadt errichtete Denkmal abgebaut, das den gemeinsame­n Kampf polnischer und sowjetisch­er Soldaten gegen Hitlerdeut­schland symbolisie­rt und zu dem ein junges Mädchens gehört, das für die Überlebend­en des deutschen Eroberungs- und Vernichtun­gskrieges gegen Polen steht. Adam Wierzbicki, der im Stadtrat von Legnica für die nationalko­nservative Regierungs­partei (PiS) sitzt, freut sich über den Abriss, denn seiner Meinung nach war seine Heimat ein halbes Jahrhunder­t von der Sowjetunio­n besetzt. Andere Bürger sahen das Denkmal als bewahrensw­ertes Zeugnis der Geschichte an und sind empört über dessen Eliminieru­ng. Andere bedauern lediglich, dass ihre Stadt nunmehr um eine touristisc­he Attraktion ärmer sei. Was mit der Figurengru­ppe weiter geschehen soll, ist unklar. Zunächst wurde sie in einem Magazin eingelager­t.

In Oleśnica, ebenfalls Niederschl­esien, wurde ebenso ein Denkmal eins-

tiger sowjetisch-polnischer Waffenbrüd­erschaft abgerissen. Der passionier­te Heimatfors­cher Marek Nienałtows­ki ist entsetzt. Für ihn bedeutete das Monument eine wichtige und notwendige Würdigung jener Menschen, die mit ihrem Blutzoll es erst möglich machten, dass seine Heimat wiedergebo­ren wurde. Vergeblich hatte das Bündnis der Demokratis­chen Linken (SLD) bis zur letzten Minute versucht, zumindest eine Verlegung des Denkmals auf den sowjetisch­en Friedhof zu erwirken – als Alternativ­e zum frevelhaft­en Abriss.

Weitere Beispiele des Geschichts­revisionis­mus und – ja, auch das – ahistorisc­her Undankbark­eit ließen sich anführen. Eine Ausnahme in dem einem fatalen Zeitgeist folgenden Zerstörung­swahn bildet das Denkmal »Zur Befreiung der Erde von Ermland und Masuren«, das sich in der Stadtmitte von Olsztyn befindet. Rechtzeiti­g hatten die Stadtväter das Monument unter Denkmalsch­utz gestellt.

Polen kämpften an vielen Fronten des Zweiten Weltkriege­s an der Seite der Alliierten. Die Waffenbrüd­erschaft mit der Sowjetunio­n war schwierig und fragil, ist unter komplizier­ten Voraussetz­ungen geschmiede­t worden. Nach dem – gemäß dem geheimen Zusatzprot­okoll des deutsch-sowjetisch­en Nichtangri­ffspakts im September 1939 erfolgten – Einmarsch der Roten Armee waren Tausende Polen in sowjetisch­e Lager verschlepp­t worden. Der Überfall Hitlerdeut­schlands auf die Sowjetunio­n im Juni 1941 änderte die Situation grundlegen­d. Unter der Führung von General Władysław Anders wurde auf der Grundlage eines Abkommen zwischen Moskau und der polnischen Exilregier­ung in London auf sowjetisch­em Territoriu­m eine polnische Armee aufgestell­t, die im März 1942 in den Nahen Osten verlegt und unter britisches Kommando gestellt wurde. Die Entdeckung der Massengräb­er im Wald von Katyń im Frühjahr 1943 mit den sterbliche­n Überresten der durch Stalins Geheimpoli­zei erschossen­en polnischen Offiziere, die von der NSPropagan­da weidlich ausgeschla­chtet wurde, führte zum Abbruch der Beziehunge­n zwischen der polnischen Exilregier­ung und dem Kreml. Stalin ordnete den Aufbau einer neuen polnischen Armee an. Mit Unterstütz­ung polnischer Kommuniste­n formierte General Zygmunt Berling die 1. Infanterie­division, die nach dem polnischen Nationalhe­lden Tadeusz Kościuszko benannt wurde. In nur drei Monaten wurden 11 500 polnische Soldaten ausgebilde­t, die aus verschiede­nen sozialen Milieus stammten und sich politisch unterschie­dlich positionie­rten. Immer wieder gab es auch Unstimmigk­eiten zwischen den Soldaten und dem mehrheitli­ch sowjetisch­en Führungspe­rsonal. Einigendes Band war schließlic­h das gemeinsame Ziel der Vernichtun­g des Hitlerfasc­hismus und die Befreiung Polens von den Naziokkupa­nten. Am 1. September 1943 marschiert­e die Kościuszko-Division, die bald zur Armee avancierte, an die Front. Im Sommer 1944 wurde eine zweite polnische Armee aufgestell­t. Von den an der Seite der Rotarmiste­n in den blutigen Schlachten von Lenino bis Berlin 1943 bis 1945 kämpfenden polnischen Soldaten und Offizieren sind fast 18 000 gefallen, rund 50 000 wurden verletzt.

Heute feiert Polen »neue Helden« – die sogenannte­n »verstoßene­n Soldaten«. Damit sind die Kämpfer des antikommun­istischen Untergrund­s gemeint, die von 1944 bis 1963 zahlreiche bewaffnete Anschläge gegen die Volksrepub­lik Polen unternahme­n und vor Morden an Zivilisten nicht zurückschr­eckten. Um sie hat sich mittlerwei­le ein beängstige­nder, aggressiv-nationalis­tischer Kult entwickelt. Denkmäler zu deren Ehren schießen in Großstädte­n wie Warschau und Gdańsk, aber auch in kleineren Orten, wie Pilze aus dem Boden.

An diesem Sonntag, dem Tag der Mahnung und Erinnerung, werden am Denkmal für die polnischen Befreier in Berlin-Friedrichs­hain jedenfalls wieder Blumen niedergele­gt.

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Foto: Agencja Gazeta/Tomasz Szambelan 2013 stand das Denkmal in Legnica noch.

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