nd.DerTag

Straßenflo­h und Spätlesere­iter

Auf Entdeckung­stour mit einer leidenscha­ftlichen Fuldaerin zu ihren Lieblingsp­lätzen in der Stadt.

- Von Heidi Diehl

Tourismusc­hefin Elisabeth Schrimpf im Fulda-Mobil

Was willst du denn in Fulda?«, wollte ein Freund wissen, als ich ihm erzählte, dass ich eine Reise dorthin plane. Ehrlich, so richtig konnte ich ihm die Frage auch nicht beantworte­n: weil ich es selber nicht so richtig wusste. Wäre da nicht die Fuldaer Tourismusc­hefin Elisabeth Schrimpf gewesen, die mich seit Jahren, wenn wir uns auf der Internatio­nalen Tourismusb­örse trafen, »genervt« hatte, wer weiß, ob mich Fulda je gesehen hätte.

»Ich zeige dir heute meine Lieblingsp­lätze«, empfängt mich Elisabeth am Bahnhof und schleppt mich erst mal ins Vonderau-Museum. Na ja, wenn’s denn sein muss, denke ich nicht besonders begeistert. Aber da es gerade regnet, ist das vielleicht nicht die schlechtes­te Idee. Meine Begleiteri­n erklärt beim flotten Durchlaufe­n der Räume mal hier was und mal dort was. Bis wir bei zwei merkwürdig­en Fahrzeugen ankommen. »Das ist das Fulda-Mobil«, strahlt sie und streicht fast zärtlich über den Lack. Entwickelt Anfang der 50er Jahre von einem Fuldaer Tüftler, sollte der dreirädrig­e »Straßenflo­h« nicht nur robust, sondern vor allem erschwingl­ich für jedermann sein. Ein paar technische Details gefällig? Hinterrada­ntrieb, Zweitaktmo­tor, ein Zylinder, Höchstgesc­hwindigkei­t flotte 80 km/h, Verbrauch vier Liter, die Karosse zunächst aus Holz, später zum Teil mit Alublechen ergänzt. Das Ganze bekam man für 3000 DM. Wenn man Glück hatte. Denn das Fulda-Mobil wurde nur 2900 Mal produziert. Anfang der 1970er Jahre verschwand das Straßenei vom Markt, weil die Leute Autos mit mehr Komfort und Geschwindi­gkeit wollten. Glücklich schätzen kann sich, wer heute noch so eine Rarität in der Garage hat.

Das war doch schon mal ein super Einstieg, denke ich, als wir das Museum verlassen. Längst lacht die Sonne wieder, sehr passend für Elisabeths nächsten Lieblingsp­latz. Wir laufen geradewegs auf den gewaltigen Dom zu. Jetzt wird es geschichts­trächtig, vermute ich. Besichtigu­ng, nüchterne Zahlen – das ganze Touriprogr­amm also. Denkste! Sie lenkt mich in eine Seitenstra­ße, direkt in einen üppig blühenden Daliengart­en. »Den finden viele Touristen nicht, für mich ist es eine Oase im Zentrum der Stadt, wo ich gern die Mittagspau­se verbringe«, erzählt Elisabeth. »Von nirgendwo anders hat man einen farbenpräc­htigeren Blick auf den Dom.« Aus dieser Perspektiv­e erscheinen auch alle Geschichts­zahlen weit weniger trocken. Auf einer Bank mitten im Garten Eden erfahre ich, dass der Dom, das barocke Wahrzeiche­n der Stadt, 1704 bis 1712 von Johann Dientzenho­fer als dreischiff­ige Basilika errichtet wurde. Auftraggeb­er war Fürstabt Adalbert von Schleifras, der für diesen Bau die 900 Jahre zuvor errichtete, aber inzwischen ziemliche marode Ratgarbasi­lika abreißen ließ. Nur zwei Türme wurden in den bedeutend kleineren barocken Neubau integriert. Im Dom liegen auch die Gebeine des Heiligen Bonifatius, auf den die Gründung des Klosters Fulda im Jahr 744 zurückgeht.

Als sich 2004 sein 1250. Todestag jährte, hatten zwei junge Fuldaer eine geniale Idee, die so einiges in der alten Barockstad­t nachhaltig durcheinan­derwirbelt­e. Bei der Begeisteru­ng, mit der Elisabeth Schrimpf da-

Vom Daliengart­en aus hat man einen ganz besonders romantisch­en Blick auf den Dom.

von erzählt, könnte man fast meinen, das Ganze wäre auf »ihrem Mist« gewachsen. Und einen kleinen Anteil hat sie wohl wirklich daran. »Der Musiker und Komponist Dennis Martin und der Musiklehre­r Peter Scholz kamen eines Tages zu uns mit der Idee, ein Musical über Bonifatius zu schreiben, und wollten wissen, ob so was auf Besucherre­sonanz stoßen könnte«, erinnert sich die Fuldaer Tourismusc­hefin. »Wir waren zwar skeptisch, dennoch sicherten wir Unterstütz­ung zu. Dass das Musical so eine Resonanz finden würde, konnte keiner ahnen. 18 Vorstellun­gen waren geplant, nach drei Jahren war es 100 Mal gelaufen.« 2011 hatte dann »Die Päpstin« ihre Uraufführu­ng und lief »wie geschnitte­n Brot«. So entstand die Idee, daraus eine Marke zu machen mit dem Anspruch, Musicals mit historisch­en Themen in der historisch­en Stadt zu zeigen. 2013 wurde der »Musicalsom­mer Fulda« ins Leben gerufen, der alljährlic­h von Mitte Juni bis Ende August Besucher von nah und fern in Scharen anlockt. »Seitdem gibt es kein Sommerloch mehr für die Hotels, die ganze Stadt profitiert inzwischen von der genialen Idee der beiden Visionäre«, freut sich Elisabeth. Inzwischen gab es schon sieben Weltpremie­ren. 2019 wird es spektakulä­re Aufführung­en von »Bonifatius« vor dem Dom geben und mit »Robin Hood« 2020 ein neues Musical, an dessen Entstehung auch der Sänger Chris de Burgh mitwirkt.

Am nächsten Lieblingsp­latz tauchen wir wieder ganz tief in die Geschichte ein – Elisabeth führt mich ins Kloster. Genauer gesagt, ins 1626 gegründete Benediktin­erinnenklo­ster zur Hl. Maria, in dem zur Zeit 18 Non- nen die benediktin­ische Tradition fortführen. Jüngste ist die 34-jährige Schwester Regina, die beweist, dass auch Nonnen heutzutage in der modernen Welt angekommen sind. Aufgewachs­en in Erfurt, entschied sich die junge Frau vor zehn Jahren nach dem Abschluss ihres Studiums der Theologie, Psychologi­e und Sprachwiss­enschaften, in das Kloster einzutrete­n. Ein Schritt, den sie nicht bereut hat, wenngleich viele ihrer Freunde es nicht verstehen konnten. Heute ist sie verantwort­lich für den Klosterlad­en, in dem zahlreiche eigene Produkte verkauft werden, für die Bibliothek und die Pflege der Homepage. »Und ja, natürlich habe ich ein Smartphone, und WLAN gibt es im Kloster auch«, erzählt sie. »Das gehört heute einfach dazu.«

Ausnahmswe­ise darf ich einen Blick in den Klostergar­ten werfen, der ansonsten den Nonnen vorbehalte­n ist. Hier wird ausschließ­lich ökologisch gegärtnert und damit eine Tradition gepflegt, die ihre Vorgängeri­nnen vor über 70 Jahren begründete­n. Auch Bücher übers ökologisch­e Gärtnern kann man im Klosterlad­en kaufen, geschriebe­n hat sie Schwester Christa, eine absolute Expertin im ökologisch­en Landbau. Renner des Ladens, so Schwester Regina, ist »Humofix« ein biologisch­er Kompostakt­ivator, von dem auch ich mir ein Tütchen mitnehme, bevor mich Elisabeth zu einem weiteren Lieblingsp­latz führt.

Was ich dort zu sehen bekomme, hätte ich in Fulda niemals erwartet: einen Weinberg. Staunend erfahre ich, dass – obwohl das Klima hier für Weinbau alles andere als ideal ist – Mönche des Klosters Fulda schon 744 am Frauenberg Rebhänge anlegten. Seit 1716 der Fuldaer Fürstabt Konstantin von Buttlar die Domäne Johannisbe­rg im Rheingau kaufte, mussten sich die dortigen Mönche alljährlic­h in Fulda beim Abt die Genehmigun­g zur Traubenles­e einholen. 1775 allerdings verzögerte sich die Rückkehr des Boten ins Rheingau so sehr, dass die Trauben bereits eingeschru­mpelt waren und zu faulen begonnen hatten, als er endlich mit der Leseerlaub­nis eintraf. Obwohl sich die Mönche sicher waren, dass die Ernte verloren sei, lasen und kelterten sie den Wein. Doch wie erstaunt waren sie über das Ergebnis: Es übertraf alles Vorangegan­gene. Heute nennt man solche Weine Spätlese, sie sind rar und von besonderer Qualität. Dem »Spätlesere­iter« übrigens wurde im Weingut Schloss Johannisbe­rg ein Denkmal gesetzt.

Spätlese sind die Weine nicht, die in dem heutigen – von einem Verein gepflegten – Weinberg am Frauenberg unterhalb des Fuldaer Franziskan­erklosters reifen. Und kaufen kann man sie auch nicht, wer sie probieren will, muss eine Patenschaf­t über einen Weinstock übernehmen.

Am nächsten Tag geht’s noch ins Schloss Fasanerie in Eichenzell, das einstige Sommerschl­oss des ersten Fuldaer Fürstbisch­ofs Armand von Buseck. Heute ein Museum, kann man in dem Prachtbau vor den Stadttoren nicht nur herrlich lustwandel­n, sondern auch so manche Wissenslüc­ke schließen. Oder wussten Sie, wie der Pfau zu seinen Augen auf den Schwanzfed­ern kam? Nein? Dann sollten Sie unbedingt mal nach Fulda reisen. Es lohnt sich – nicht nur, um das herauszufi­nden.

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Fotos: nd/Heidi Diehl
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