Japans Stars sind weiblich
Neues Rollenbild: Tennisstar Naomi Osaka könnte das erste allseits anerkannte weibliche Idol im Land werden
US-Open-Siegerin Naomi Osaka wird in der Heimat gefeiert. Kann die Tennisspielerin das erste allseits anerkannte weibliche Sportidol in dem patriarchal geprägten Land werden?
Durch Japans ersten Grand-SlamSieg wird Naomi Osaka zuhause zum Rollenmodell – ob sie es will oder nicht. Es hätte schon vorher viele Vorbilder geben können, doch die Gesellschaft tut sich schwer. Bei der Siegerehrung unterbrach Jubel den Stadionsprecher: »Der erste japanische Tennisspieler, männlich oder weiblich, der ein Grand-Slam-Finale gewinnt«, lobte der Anzugträger durchs Mikrofon und musste dann sekundenlang warten, ehe er die Übergabe der Trophäe anweisen konnte. Die Siegerin wirkte wie paralysiert. »Es ist schade, dass es so enden musste«, hatte sie vorher noch mit gedämpfter Stimme gesagt. Durch das Arthur-Ashe-Stadion waren Buhrufe gehallt, nachdem ihrer Gegnerin Serena Williams wegen Schiedsrichterbeleidigung Punkte abgezogen worden waren. »Danke, dass ihr das Spiel angesehen habt!«, schluchzte Naomi Osaka, womit ihr die Sympathien im Publikum gehörten.
In ihrem Geburtsland Japan spricht man seitdem von kaum etwas Anderem. Auf der Website von NHK, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, war am Sonntag der Artikel über Osakas Sieg der meistgelesene Text, noch vor den News über eine Militärparade in Nordkorea oder Spekulationen über das nächste große Erdbeben. Bei der Sporttageszeitung »Nikkan Sports« handelten gleich die vier beliebtesten Storys vom US Open-Finale. Einen der Texte hatte ein Reporter noch aus New York in der Ich-Perspektive geschrieben: »Ich kann es nicht glauben, Osaka ist der Wahnsinn.« In einem Bericht des »Asahi Shimbun«, nach Auflagenstärke die zweitgrößte Tageszeitung der Welt, hieß Osaka schon »Tennisheldin.« Und eine hoch offiziell vortragende NHK-Nachrichtensprecherin erklärte in den Abendnews: »Das japanische Tennis hat endlich den höchsten Rang erreicht.«
Die 20-Jährige ist jetzt eine dreifach bejubelte Athletin. Erstens, weil sie trotz der Entgleisungen der favorisierten Serena Williams ruhig blieb und sich nach dem Sieg, japanischen Tugenden treu, sehr bescheiden äußerte. Zweitens, weil sie mit dem Sieg bei den US Open ihrer tennisbegeisterten Heimat erstmals einen GrandSlam-Titel beschert hat. Und drittens, weil ihr dies als Frau für ein stark von Männern dominiertes Land gelungen ist. Naomi Osaka, die in Japan noch bis zum Wochenende nur echten Tennisliebhabern ein Begriff war, hat nun das Zeug zum großen Vorbild für die nächste Generation zu werden.
Ein Idol könnte Osaka dabei nicht nur für alle ehrgeizigen Kinder werden, sondern speziell für Mädchen, weil sich alte Rollenbilder in Japan noch immer störrisch halten. Laut »Gender Gap Report« des World Economic Forum, der die Gleichberechtigung in Politik, Wirtschaft, Bildung und Gesundheit zwischen 144 Ländern vergleicht, belegt Japan seit jeher einen schwachen Platz. Im Jahr 2017 war es Rang 114, hinter muslimischen Ländern wie Brunei oder erzkatholischen wie Paraguay. Sowohl im japanischen Parlament als auch auf Managementetagen von Unternehmen sitzen kaum Frauen, obwohl oft meist besser ausgebildet sind als Männer. In der Erwartung, sie würden nach einigen Jahren ohnehin schwangerschaftsbedingt aus dem Job ausscheiden, investieren Arbeitgeber auch kaum in das »Humankapital« junge Frauen.
Im Land ist allseits bekannt, dass dies ein Problem ist, nicht bloß aus Gründen der Gleichberechtigung, sondern auch weil die Volkswirtschaft angesichts der alternden und schrumpfenden Bevölkerung dringend nach Arbeitskräften sucht. So hat es Premierminister Shinzo Abe schon vor einigen Jahren zu seiner Aufgabe erklärt, mehr Frauen voll in den Arbeitsmarkt zu integrieren und in Unternehmen die Beförderungen von Frauen anzukurbeln. Allerdings wirken viele von Abes Maßnahmen halbherzig. Zudem sorgen anderswo, ob in der Politik oder im Sport, immer wieder sexistische Sprüche und Aktionen für Aufregung. Der Fortschritt, wenn es ihn gibt, ist ziemlich langsam.
Dabei hätte das Land nicht erst seit Naomi Osaka eine Figur haben können, an der sich strahlende Frauenbilder zeichnen ließen. Osaka zog als Dreijährige mit ihren Eltern in die USA und trainierte dort bald Tag ein Tag aus für ihr Ziel, das sie am vergangenen Wochenende erreichte: einmal im Finale eines Grand Slams zu stehen und gegen die scheinbar unbesiegbare Serena Williams zu gewinnen. Dass japanische Frauen es an die Spitze schaffen, ist an sich nicht neu. Tatsächlich schaffen sie dies deutlich häufiger als die männlichen Athleten des Landes. Im Fußball holten 2011 erstmals die Frauen den Weltmeistertitel nach Japan, wäh- rend die Männer noch nie über ein WM-Achtelfinale hinweggekommen sind. Im Baseball, dem neben Fußball beliebtesten Sport, gewinnen die Männer nur selten gegen die USA. Die Frauen im Softball sind schon mehrere Male Weltmeister geworden. Ähnlich sind die japanischen Frauen im Volleyball erfolgreicher als die Männer, im Golf ebenso.
Die meiste Aufmerksamkeit genossen bisher trotzdem die Männer, bei denen sich die Berichterstattung immerzu um die jeweils großen Stars dreht. Im Tennis ist dies das fast ewige Talent Kei Nishikori im Tennis, im Fußball Shinji Kagawa, im Baseball der bei den New York Yankees pitchende Masahiro Tanaka. Und vieles spricht dafür, dass auch Naomi Osakas Triumph von New York daran erstmal wenig ändern wird. Eine hohe Jubelwelle überschwappt das Land immer mal wieder, wenn ein japanischer Athlet einen Sieg ins Land holt. Dass dies ziemlich häufig Frauen sind, nicht so oft Männer, geht bei allem Patriotismus schnell unter. Auch die Athletinnen selbst ergreifen selten das Wort. Von der 20-jährigen Osaka könnte dies aber kommen. Womöglich stehen ihr noch einige Siegesreden bevor.