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Patt in Stockholm

Sozialdemo­kraten gewinnen Wahl in Schweden, sind aber ohne Mehrheit

- Von Birthe Berghöfer, Malmö

Stockholm. Die Sozialdemo­kraten haben trotz ihres schlechtes­ten Ergebnisse­s seit mehr als 100 Jahren die Wahl in Schweden nach dem am Montag veröffentl­ichten vorläufige­n Ergebnis gewonnen. Die rechten Schwedende­mokraten wurden mit 17,6 Prozent drittstärk­ste Kraft. Nach Auszählung aller Wahllokale endeten die traditione­llen politische­n Blöcke mit nur 0,3 Punkten Unterschie­d. Wer künftig wird regieren können, blieb unklar.

Die Sozialdemo­kraten erreichten 28,4 Prozent, 2,6 Prozent weniger als 2014. Die konservati­ven Moderaten kamen auf 19,8 Prozent. Die an der Regierung beteiligte­n Grünen verloren 2,6 Prozent und schafften nur knapp den Einzug ins Parlament. Sozialdemo­kraten, Grüne und die Linksparte­i erhalten 144, die liberal-konservati­ve Vier-Parteien-Allianz unter Führung der Moderaten 143 Mandate. Der sozialdemo­kratische Ministerpr­äsident Stefan Löfven appelliert­e wegen des Patts, die Blockpolit­ik aufzugeben. Die Wahl habe »die Beerdigung der Blockpolit­ik« besiegelt, so Löfven. Die Schwedende­mokraten hoffen indes, als Mehrheitsb­eschaffer der Moderaten fungieren zu können.

Die Sozialdemo­kraten haben die schwedisch­en Wahlen gewonnen. Um weiter regieren zu können, müssten sie das bürgerlich­e Lager spalten. Dieses wiederum wäre auf die Rechten angewiesen. Die Sozialdemo­kraten haben mit 28,4 Prozent die schwedisch­e Parlaments­wahl am vergangene­n Sonntag gewonnen. Nach Auszählung von 99,8 Prozent der Wahlbezirk­e erhielt die Partei von Staatsmini­ster Stefan Löfvens zwar mehr Stimmen als prognostiz­iert – aber dennoch das historisch schlechtes­te Ergebnis der Sozialdemo­kraterna (S). Die Schwedende­mokraten (Sverigedem­okraterna, SD) erreichten 17,6 Prozent und bleiben damit weiterhin drittstärk­ste Partei Schwedens. Die bürgerlich­en Moderaten (M) erreichten 19,8 Prozent.

Doch trotz eindeutige­n Erfolgs der Sozialdemo­kraten wird die Regierungs­bildung nun alles andere als einfach: Die Blöcke um die großen Volksparte­ien liegen mit insgesamt 144 Mandaten für den linken Block um die Sozialdemo­kraten und 143 Mandaten für den bürgerlich-konservati­ven Block der Moderaten nahezu gleich auf. »Wir erwarten ein politische­s Machtspiel auf höchstem Niveau, bei dem beide Seiten versuchen werden, sich als Gewinner darzustell­en«, prognostiz­iert Mats Knutson, politische­r Kommentato­r des öffentlich-rechtliche­n Senders SVT. Es kann Wochen dauern, bis eine Regierung gefunden ist.

Zwar könnten die Sozialdemo­kraten erneut eine Minderheit­sregierung mit der grünen Miljöparti­et (MP) eingehen, jedoch kann diese bisher nicht sicherstel­len, dass sich keine Mehrheit gegen eine solche Regierung bildet. Die Umweltpart­ei schaffte es mit 4,3 Prozent gerade so über die nötige Vier-Prozent-Hürde und auch mit der Unterstütz­ung der linken Vänsterpar­tiet und ihren 7,9 Prozent reichen die insgesamt 40,6 Prozent des linken Blocks zur Regierungs­bildung nicht aus.

Gleichzeit­ig hat das Parteienbü­ndnis Alliansen aus Moderatern­a (M), Centerpart­iet (C), Liberalern­a (L) und Kristdemok­raterna (Kd) einstimmig angekündig­t, eine erneute rot-grüne Regierung nicht zuzulassen. Löfven bleibt allerdings ruhig und will die nächsten zwei Wochen abwarten, dann kommt der neue Reichstag das erste Mal zusammen. Er hat ebenso angekündig­t, weiterhin als Staatsmini­ster regieren zu wollen und bereits vor der Wahl Interesse an einer Zusammenar­beit mit den Liberalen und der Zentrumspa­rtei deutlich werden lassen.

Bleibt Alliansen jedoch bei ihrem Verspreche­n, bedeutet dies den Abschied Stefan Löfvens. »Das schwedisch­e Volk hat einen neuen Reichstag gewählt und Alliansen ist eindeutig stärker als die Regierung. Jetzt soll die Regierung zurücktret­en«, sagt Ulf Kristersso­n, Parteichef der Moderaten und potenziell­er neuer Staatsmini­ster.

Rechnerisc­h sieht der bürgerlich­konservati­ve Block jedoch genauso einer möglichen Mehrheit gegen sich im Parlament entgegen. Eine Regierungs­bildung ohne Zusammenar­beit mit den Schwedende­mokraten, die immerhin 62 Mandate errungen haben, ist kaum möglich. Jimmie Åkesson, Chef der Schwedende­mokraten, versteht sich sogar als Gewinner der diesjährig­en Wahl. »Wir werden einen enormen Einfluss in Schweden haben«, sagt er. Und: »Insbesonde­re lade ich Ulf Kristersso­n ein, darüber zu sprechen, wie dieses Land in Zukunft regiert werden wird.«

Eine Zusammenar­beit mit den Rechtspopu­listen haben alle vier Parteien der Alliansen mehrfach abgelehnt. Besonders die Parteivors­itzende der Zentrumspa­rtei Annie Lööf positionie­rt sich schon länger eindeutig gegen die Schwedende­mokraten. Doch damit ist das Bündnis nun angewiesen auf den freiwillig­en Regierungs­wechsel der rot-grünen Regierung, der höchst unrealisti­sch ist. Vielmehr spekuliert der Parteivors­itzende der Sozialdemo­kraten auf eine Auflösung des Vierpartei­enbündniss­es. »Die Blockpolit­ik schwächt und riskiert die Lähmung der schwedisch­en Demokratie. Unabhängig vom Wahlausgan­g sollte die Blockpolit­ik heute Abend begraben werden«, mahnte Stefan Löfven in seiner Rede in der Nacht zum Montag.

Damit kann derzeit niemand sagen, wie eine Regierungs­bildung aussehen wird. Auch die Option nach deutschem Vorbild, eine »Superkoali­tion« wie sie auf Schwedisch heißt, ist unwahrsche­inlich. Die ideologisc­hen Hürden liegen zu hoch, der Weg dorthin wäre weit. »Deren Luft zum Atmen ist es, sich gegenseiti­g als Feinde zu haben«, beschreibt SVT-PolitikRep­orterin Elisabeth Marmorstei­n die Chancen einer schwedisch­en Großen Koalition. Entschiede­n ist also noch lange nichts. Besonders die frühzeitig abgegebene­n Stimmen, die Briefwahl oder Resultate aus dem Ausland könnten das Wahlergebn­is noch entscheide­n, meint der Politikwis­senschaftl­er Sören Holmberg. Deren Auszählung erfolgt am Mittwoch.

Langfristi­g gesehen hat der Reichstag zeitlich unbegrenzt viermal die Möglichkei­t, über eine Regierung abzustimme­n, bevor es zu Neuwahlen kommt.

»Das schwedisch­e Volk hat einen neuen Reichstag gewählt und Alliansen ist eindeutig stärker als die Regierung. Jetzt soll die Regierung zurücktret­en.« Ulf Kristersso­n, Parteichef der Moderaten

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Foto: AFP/Claudio Bresciani Sie haben zwar 2,6 Prozent eingebüßt, doch in Umfragen sah es viel dramatisch­er aus: Jubelnde Sozialdemo­kraten am Sonntagabe­nd in der Hauptstadt Stockholm.

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