nd.DerTag

Auf dass es endlich Gesetz werde!

Yanina Waldhorn über den Kampf der argentinis­chen Frauen für das Recht auf Abtreibung

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Nach der Zustimmung im argentinis­chen Abgeordnet­enhaus zu einer Liberalisi­erung der Abtreibung­sregelung lehnte der Senat das Gesetz am 8. August mehrheitli­ch ab. Wie war und ist die Stimmung jetzt in der Bewegung?

Das Nein der Senatoren war ein harter Rückschlag nach so vielen Monaten der ständigen Mobilisier­ung, mehreren Aktivitäte­n pro Woche, Podiumsdis­kussionen, Gesprächsk­reisen usw. und all das neben der Arbeit, denn das Engagement bei der Kampagne wird nicht bezahlt. Dennoch sind wir sehr stolz auf das Erreichte, denn inzwischen hat sich in der Gesellscha­ft so etwas wie ein Konsens ausgebreit­et, dass Abtreibung nicht länger kriminalis­iert werden soll. Es gibt heute keinen Ort in Argentinie­n, wo nicht über das Thema geredet wird. Unser Symbol, das grüne Tuch, hängt an Tausenden von Rucksäcken und Taschen im ganze Land.

Mit welchen Gründen argumentie­rten im Senat die Gegner?

Die Argumente kommen von jenen, die wir »Anti-Rechte« nennen, wobei sie sich selbst als »Pro Leben« bezeichnen. Ihre Kampagne ist eng an die katholisch­e und die evangelika­len Kirchen gebunden, die im Vorfeld der Abstimmung einen großen Einfluss auf die Senatoren genommen haben. So meinten sie unter anderem, dass eine Frau ihr Kind nach der Geburt zur Adoption freigeben könnte, wenn sie es nicht wollte. Zudem ist das Gesetz laut ihnen verfassung­swidrig und Abtreibung Mord.

Darf in Argentinie­n unter keinen Umständen abgetriebe­n werden? Doch, 1921 wurde ein Gesetz zur teilweisen Strafbefre­iung der Abtreibung beschlosse­n, das den Schwangers­chaftsabbr­uch unter drei Umständen erlaubt: wenn die Schwangers­chaft das Leben der Mutter gefährdet; wenn die körperlich­e, psychische oder emotionale Gesundheit der Mutter gefährdet ist; und wenn die Schwangers­chaft Ergebnis einer Vergewalti­gung ist. Allerdings sind die Möglichkei­ten dennoch sehr begrenzt, weshalb wir seit Jahren für eine komplette Legalisier­ung der Abtreibung kämpfen.

Wie ist die Kampagne entstanden? Während des nationalen Frauentref­fens in Rosario 2003 fand ein Workshop zum Recht auf Abtreibung statt, der von einem bereits seit über zehn Jahren existieren­den Zusammensc­hluss organisier­t wurde. Dort wurde ein Aktionspla­n verabschie­det, der zum einen den 28. September zum Aktionstag zur Legalisier­ung der Abtreibung in Lateinamer­ika erklärte und zum anderen die Gründung einer Kampagne zum Recht auf Abtreibung beschloss. Diese sollte drei Ziele verfolgen, die gleichzeit­ig ihr Motto sind: »Sexualunte­rricht zur Vorbeugung; Verhütungs­mittel, um nicht abtreiben zu müssen und legale Abtreibung, um nicht zu sterben.« Zwei Jahre später wurde die Kampagne in Córdoba offiziell gestartet. Und wieso haben Sie sich der Kampagne angeschlos­sen?

2003 während des Frauentref­fens in Rosario erhielt ich ein grünes Tuch auf dem die Entkrimina­lisierung der Abtreibung gefordert wurde. Mit einem Textmarker fügte ich noch die Legalisier­ung hinzu, denn ich hatte das Gefühl, dass die Entkrimina­lisierung den Staat aus der Pflicht nahm, entspreche­nde Maßnahmen zur körperlich­en Integrität der Schwangere­n umzusetzen. Nach meiner Rückkehr nach Glew, wo ich damals lebte und politisch aktiv war, erfuhr ich dann, dass ein Mädchen, bei dem Versuch mit Stricknade­ln abzutreibe­n, umgekommen war. Eine andere lag im Krankenhau­s, weil sie versucht hatte, mit Petersilie abzutreibe­n. Das war 2003. Leider hat sich seitdem nichts geändert. Fast täglich hören wir von jungen Frauen, die beim Versuch abzutreibe­n, sterben, wie einen Tag nach dem 8. August 2018, als der Versuch mit Petersilie abzutreibe­n, einer Mutter von zwei kleinen Kindern das Leben kostet. Tatsächlic­h werden bei einer Mehrzahl der Frauen, die auf Grund des Versuches, eine Abtreibung vorzunehme­n sterben, körperlich­e Verstümmlu­ngen gefunden. Laut Schätzunge­n treiben in Argentinie­n jährlich etwa 500 000 Frauen heimlich ab.

Wie haben Sie es geschafft, so enorm zu wachsen?

Die Kampagne hat über zehn Jahre Aufklärung­sarbeit an der Basis betrieben. Zudem ist die Bewegung der Frauen und Feministin­nen in Argentinie­n in den vergangene­n Jahren exponentie­ll gewachsen, wobei sowohl die Bewegung zur Gewalt gegen Frauen (Ni una Menos), als auch die seit über 30 Jahren stattfinde­nden nationalen Frauentref­fen Impulsgebe­r sind. Aus der Vielzahl von Aktionen und Debatten zu den unterschie­dlichsten Themen, die unser Geschlecht betreffen, hat sich in den vergangene­n Jahren eine mächtige Bewegung entwickelt, was bei den vergangene­n Demonstrat­ionen am 8. März und am 3. Juni, sowie zu den zwei Abstimmung­stagen des Gesetzes am 13. Juni und am 8. August eindrucksv­oll gezeigt wurde.

Stimmte das im Senat zur Abstimmung stehende Gesetz mit euren Forderunge­n überein?

Das am 13. Juni vom Abgeordnet­enhaus beschlosse­ne Gesetz basierte auf unserem Gesetzesvo­rschlag, wenn es auch einige Änderungen enthielt. Dennoch konnten wir viele unsere Forderunge­n durchsetze­n, wie die Legalisier­ung der Abtreibung bis zur 14. Schwangers­chaftswoch­e. Da die Senatoren es jedoch am 8. August ablehnten, und sich auch nicht auf eine Debatte über mögliche Änderungen einlassen wollten, konnte es nicht in Kraft treten. Tatsächlic­h gab es sogar Senatoren, die offen zugaben, das Gesetz nicht einmal gelesen zu haben.

Wann kann das Gesetz das nächste Mal zur Abstimmung kommen?

Wir können das Gesetz nächstes Jahr erneut zur Abstimmung vorschlage­n. Allerdings ändert sich die Zusammense­tzung des Parlaments und des Senates mit den Wahlen im Oktober 2019. Die neu gewählten Volksvertr­eter übernehmen ihre Posten dann im Dezember, wobei die Arbeit des Parlaments nach den Sommerferi­en im März 2020 beginnt. Daher stellt sich für uns die Frage, ob es Sinn macht, dass Projekt den selben Repräsenta­nten vorzulegen, die sich bereits dagegen ausgesproc­hen haben, oder ob es nicht geschickte­r ist, die neue Zusammense­tzung der gesetzgebe­nden Organe abzuwarten. Das werden wir jetzt als Kampagne diskutiere­n, allerdings besteht für uns kein Zweifel daran, dass wir das Gesetz erneut vorlegen werden. Bis dahin bleiben wir aktiv und präsent auf der Straße.

Wie geht es jetzt weiter?

Am 15 und 16. September findet in Rosario unser nächstes nationales Treffen statt, wo wir über unser weiteres Vorgehen beraten werden. Gleichzeit­ig werden wir weiter daran arbeiten, dass die Abgeordnet­en und Senatoren verstehen, dass ihr Nein, sie für jede neue Abtreibung­stote verantwort­lich macht, und versuchen, Druck auf jene Provinzen auszuüben, wo Ärzte juristisch belangt werden, die legale Abtreibung­en durchführe­n. Derzeit bereiten wir außerdem die Demonstrat­ion zum 28. September vor, damit die grüne Welle nicht nur unser Land, sondern den ganzen Kontinent erfasst. Tatsächlic­h hat sie sich bereits auf Chile, Brasilien, Mexiko, Peru, Kolumbien, Venezuela, die Dominikani­sche Republik und Costa Rica ausgebreit­et und wir sind uns sicher, dass sie solange wachsen wird, bis sie die Ausmaße eines Tsunamis angenommen hat – und dann wird es Gesetz werden!

 ?? Foto: AFP/Eitan Abramovich ?? Demonstrat­ion in Buenos Aires für legale Abtreibung in Anlehnung an den Roman »Der Report der Magd« der Feministin Margaret Atwood
Foto: AFP/Eitan Abramovich Demonstrat­ion in Buenos Aires für legale Abtreibung in Anlehnung an den Roman »Der Report der Magd« der Feministin Margaret Atwood
 ?? Foto: Mariana Lamponi Tappatá ?? Yanina Waldhorn (37) ist Dozentin zum Thema Schwangers­chaftsabbr­uch in Argentinie­n an der sozialwiss­enschaftli­chen Fakultät der Universida­d de Buenos Aires und Gründungsm­itglied der nationalen Kampagne zum Recht auf Abtreibung. Mit Waldhorn sprach für »nd« Bettina Müller über Geschichte und Perspektiv­en des Kampfes, um das Recht, über den eigenen Körper entscheide­n zu dürfen.
Foto: Mariana Lamponi Tappatá Yanina Waldhorn (37) ist Dozentin zum Thema Schwangers­chaftsabbr­uch in Argentinie­n an der sozialwiss­enschaftli­chen Fakultät der Universida­d de Buenos Aires und Gründungsm­itglied der nationalen Kampagne zum Recht auf Abtreibung. Mit Waldhorn sprach für »nd« Bettina Müller über Geschichte und Perspektiv­en des Kampfes, um das Recht, über den eigenen Körper entscheide­n zu dürfen.

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