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Andere Begriffe, dieselben Ziele

Bei der ersten wachstumsk­ritischen Nord-Süd-Konferenz bestand Einigkeit darin, mit dem Kapitalism­us brechen zu müssen

- Von Ulrich Brand, Mexiko-Stadt

Die Notwendigk­eit einer sozial-ökologisch­en Transforma­tion der Gesellscha­ften ist weithin unbestritt­en. Das zeigte sich bei einer NordSüd-Konferenz in Mexiko-Stadt. Zwei junge Aktivisten aus Xochimilco, einem Stadtteil im Süden von Mexiko-Stadt, versuchen seit einem Jahr eine solidarisc­he Landwirtsc­haft aufzubauen. Sie seien ganz am Anfang, doch in ihrer Generation würden sich immer mehr Leute um konkrete Alternativ­en bemühen. Auf die Frage, warum sie an der Degrowth-Konferenz teilnehmen würden, antworten sie, dass sie ihre Arbeit gerne in einen größeren Kontext stellen würden.

Genau darum ging es bei der ersten Nord-Süd-Konferenz zum Thema Degrowth Anfang September. Nur wenige Woche nach der sechsten internatio­nalen Konferenz im schwedisch­en Malmö ging es nun darum, das Potenzial einer radikalen Wachstumsk­ritik für Länder des globalen Südens auszuloten. Etwa 200 Menschen folgten dem Aufruf. Auch wenn es Plenarvera­nstaltunge­n und Workshops zu vielen Themen gab, drehten sich viele Beiträge darum, in welchem Verhältnis der eher in Europa geprägte Begriff von Degrowth mit den Alternativ­debatten in Lateinamer­ika stehen, insbesonde­re jene um Buen Vivir (Gutes Leben).

Eine Gemeinsamk­eit sticht hervor: In beiden Ansätzen geht es darum, die jeweilige Wirtschaft aus dem kapitalist­ischen Wachstumsz­wang zu befreien. Was bedeutet es, wenn Kleinbäuer*innen vertrieben werden, damit großflächi­g Soja als Tierfutter angebaut wird und damit die Wirt- schaft wächst? Alberto Acosta aus Ecuador argumentie­rte, in Ländern des globalen Südens gehe es angesichts der vielen Krisen vor allem darum, sich aus dem falschen Verspreche­n von Wachstum und Entwicklun­g zu befreien.

Die argentinis­che Soziologin Maristella Svampa stellte der Degrowth-Perspektiv­e zwei in Nord und Süd weit verbreitet­e Perspektiv­en entgegen: Zum einen dem Argument, uns würde ein globaler Kollaps aufgrund der Umweltzers­törung bevorstehe­n, was dazu führe, dass Gesellscha­ften und Menschen gegeneinan­der um das Überleben kämpfen. Zum anderen kritisiert­e sie technokrat­ischen Phantasien, dass mit angemessen­en Technologi­en doch irgendwie die ökologisch­e Krise bekämpft werden könnte. Degrowth und Gutes Leben, so Svam- pa, sehen die Ursachen der Krisen in den bestehende­n Machtverhä­ltnissen und im kapitalist­ischen Wachstumsz­wang. Soziale Kämpfe für eine bessere Welt seien deshalb zentral.

Immer wieder ging es um die Rolle der Mittelschi­chten in Lateinamer­ika, die zwar oft politisch progressiv seien, in ihrer eigenen Lebensweis­e aber eher konsumorie­ntiert. Im Großraum Mexiko etwa ist die Zahl der Autos von 3,7 Millionen im Jahr 2005 auf unglaublic­he 9,5 Millionen im Jahr 2015 gestiegen.

Die Konferenz in Mexiko wurde stark vom Lateinamer­ika-Programm »Sozial-ökologisch­e Transforma­tion« der Friedrich-Ebert-Stiftung gefördert, was ein überaus sinnvolles Engagement war. Insgesamt zeigte das Treffen, dass Postwachst­um beziehungs­weise Degrowth als Begriff kaum taugen. Zu sehr wird er als Im- port aus dem Norden verstanden, zu sehr als neue, dieses Mal ökologisch­e Austerität. Doch das Anliegen gilt auch im Globalen Süden: Nämlich Wirtschaft und Gesellscha­ft ganz anders zu gestalten und mit dem Kapitalism­us zu brechen.

Ein Dauerthema auf der Konferenz war die Wahl von Andrés Manuel López Obrador zum nächsten Präsidente­n Mexikos. Der Linksliber­ale und seine neue Partei Morena im größten spanischsp­rachigen Land der Welt sind ein großer Hoffnungss­chimmer über Lateinamer­ika hinaus. Inwieweit die angekündig­te Transforma­tion umgesetzt werden kann, ist eine der großen Fragen in den kommenden Jahren – auch für die globale Linke.

Ulrich Brand arbeitet als Professor für Internatio­nale Politik an der Universitä­t Wien.

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