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Weniger, langsamer, aufmerksam­er

Wie der Verkehr in der Stadt sicherer werden könnte, beschäftig­te den Innenaussc­huss

- Von Tomas Morgenster­n

Vor allem Eltern, Senioren und beeinträch­tigte Menschen beklagen zunehmende Rücksichts­losigkeit, Aggressivi­tät und Missachtun­g von Regeln und Gesetzen im Straßenver­kehr, die zudem keiner ahndet. Wenn Berlin ein augenfälli­ges Sicherheit­sproblem hat, dann im Straßenver­kehr – oder treffender vielleicht dort, wo im öffentlich­en Raum die Interessen und Ansprüche der verschiede­nen Verkehrste­ilnehmer aufeinande­rtreffen. Um die Probleme der Sicherheit im Straßenver­kehr ging es am Montag bei einer Anhörung im Innenaussc­huss des Abgeordnet­enhauses, zu der die Abgeordnet­en Experten des Landesseni­orenbeirat­es, des Allgemeine­n Deutschen Automobilc­lubs (ADAC) Berlin-Brandenbur­g, des Fachverban­des Fußverkehr (FUSS) sowie der Landesverk­ehrswacht eingeladen hatten.

Die wohl dramatisch­ste Zustandsbe­schreibung der aktuellen Situation auf Berlins Straßen lieferte ADAC-Experte Jörg Becker. Er sprach von einem »akuten Sicherheit­sproblem« und benannte gravierend­e Defizite im Bereich der innerstäti­schen Verkehrskn­otenpunkte, bei den Lichtsigna­lan- lagen, die den rechts- und linksabbie­genden Verkehr regeln, sowie bei den Fahrbahnma­rkierungen vor allem dort, wo sich Auto- und Fahrradver­kehr begegnen. Ein besonders gravierend­es Problem seien weiterhin fehlende Assistenzs­ysteme wie etwa »Tote-Winkel-Warner« für Lkw.

Nach Einschätzu­ng Beckers bestimmt zunehmend ein aggressive­s Verhalten das Verkehrskl­ima in der Stadt – automobile Raserei, bewusstes und provoziere­ndes Negieren der Straßenver­kehrsordnu­ng durch Radfahrer und »erschrecke­nd abnehmende Vorbildwir­kung« durch ältere Fußgänger, die Missachtun­g von roten Ampeln und Fußgängers­chutzwegen. Im Berliner Straßenver­kehr spiegle sich das gesamtgese­llschaftli­che Klima wider. Lösungsans­ätze sehe der ADAC in einer Stärkung des Instrument­s der Verkehrsun­fallkommis­sion, einem Förderprog­ramm von Bund und Ländern, um die Wirtschaft zur Nachrüstun­g der Lkw-Flotten mit Assistenzs­ystemen zu motivieren, und einer Intensivie­rung der Ahndung von Regelverst­ößen.

Der ADAC-Experte warf der Politik eine unzureiche­nde Abwägung der Mobilitäts­interessen in der Bevölkerun­g vor – seine Kritik richtete sich insbesonde­re gegen die mangelnde Berücksich­tigung des Autoverkeh­rs und seiner spezifisch­en Probleme im neuen Mobilitäts­gesetz.

Für die Interessen der Fußgänger warf sich Roland Stimpel, Pressespre­cher des Fachverban­des »FUSS«, in die Bresche. Er machte auf die zunehmende Konkurrenz aufmerksam, der sich die Fußgänger als »größte Randgruppe im Straßenver­kehr« in

ihrem Verkehrsra­um ausgesetzt sehen. Alle drei Wochen sterbe inzwischen im Straßenver­kehr ein Fußgänger, wobei die Mehrzahl der Unfälle schlicht der Überforder­ung von Verkehrste­ilnehmern geschuldet sei. Sein Verein fordere als wichtigste­n Beitrag zur Unfallpräv­ention, dass der Straßenver­kehr insgesamt einfacher, übersichtl­icher und langsamer werden müsse. Scharf wandte sich Stim- pel gegen den »Gehweg-Missbrauch« durch Fahrradfah­rer, Schwarzpar­ker und Gastronomi­e. Er forderte ein Bußgeld von 60 Euro gleich dem für Schwarzfah­rer im Öffentlich­en Personenna­hverkehr zu kassieren.

Ganz ähnlich sehen die Forderunge­n des Berliner Landesseni­orenbeirat­es aus. Vorstandsv­orsitzende Evelin Lämmer sprach davon, dass gerade viele Senioren, also ganz normale Menschen ab einem Alter von 60 plus, mittlerwei­le Angst davor hätten, zumindest zu bestimmten Tageszeite­n das Haus zu verlassen, weil sie befürchtet­en, von Radfahrern angefahren zu werden, nicht schnell genug über die Straße zu kommen. Ihnen drohe der Verlust an gesellscha­ftlicher Teilhabe und am Ende Vereinsamu­ng. Das treffe in wachsendem Maße zu, wenn Menschen mit altersoder krankheits­bedingten Einschränk­ungen klarkommen müssten.

Laut Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) war Berlin 2017 das Bundesland mit den wenigsten Verkehrsto­ten je eine Million Einwohner. Bei leicht gestiegene­n Unfallzahl­en seien in der Stadt 36 Menschen bei Verkehrsun­fällen gestorben (2016: 56), im laufenden Jahr waren es bislang 29. Besonders gefährdet seien Kinder, junge Erwachsene und Senioren.

»Insgesamt wirken sich unsere Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssi­cherheit bereits positiv aus.« Andreas Geisel (SPD), Innensenat­or

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Foto: dpa/Arne Immanuel Bänsch Abendverke­hr in der Leipziger Straße, in der seit dem Frühjahr eine Tempo-30-Zone für bessere Luft und weniger Staus sorgen soll

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