nd.DerTag

Max-Peter Wulff (Berlin, 1956)

- Von Walter Kaufmann

Seinen

Namen weiß ich, begegnet bin ich ihm nie – oder doch? Bis heute stelle ich ihn mir als untersetzt­en, glatzköpfi­gen Mann in braunen Reithosen und Stiefeln vor. Als ich an jenem Frühlingst­ag das kleine Haus am Stadtrand von Berlin betrat, spukte allerorts sein Geist – auf dem Speicher unterm Dach fanden sich in einem zerbeulten Schrankkof­fer Uniformstü­cken der SA, auch eine Hakenkreuz­binde; einen Stock tiefer prangte im Gitter des Schlafzimm­erfensters ein gusseisern­es Hakenkreuz, und in der Schublade des rohen Holztische­s im Keller lag ein Gewühl von Ordensbänd­ern und Abzeichen aus der Hitlerzeit und der Zeit davor – Kram, den sich Frau Schultz, die mit dem Saubermach­en des Hauses beschäftig­t war, eilig in ihre Schürze packte. »Sie glauben nicht, was die Amis für so was zahlen«, rief sie, »Souvenir, Souvenir … Gold wert das alles«.

Ich ließ sie gewähren. Sie war eine gute Seele, und stets hilfsberei­t. Der Nebenverdi­enst war ihr zu gönnen. »Gut, dass der Wulff jetzt im Westen ist, wo er hingehört«, sagte sie.

»Gut, dass der Wulff jetzt im Westen ist, wo er hingehört«, sagte sie.

»Sie kannten ihn?« »Nein, aber die Nachbarn – ein kleiner Dicker, zwei Kopf kürzer als die Ehefrau, dabei gut zu Pferde.«

Ich musste lächeln. »Aber braun bis auf die Knochen«, sagte ich. »Mein Gott«, protestier­te sie, »waren doch viele hier.«

Sie sah mich an. »Werden damit leben müssen, wenn sie erst hier einziehen.«

»Den Schrankkof­fer und das gusseisern­e Hakenkreuz sollten sie entsorgen«, sagte ich ihr. »Mach ich, mach ich«, versprach sie, und wieder entschlüpf­ten ihr ein »Souvenir, Souvenir«, wobei sie auf mich zu trat und geheimnisv­oll erklärte: »Aber tierlieb war er – das immerhin.«

»Tatsächlic­h?« »Gehen Sie mal zum Briefkaste­n«, riet sie mir. »Sie werden schon sehen.« Am Briefkaste­n beim Gartentor entdeckte ich eine in Zellophan geschützte handgeschr­iebene Warnung: ACHTUNG – VOGELNEST! BITTE KEINE POST EINWERFEN. MIT DANK UND DEUTSCHEM GRUSS. MAX-PETER WULFF. Walter Kaufmann, 1924 als Jizchak Salomon Schmeidler in Berlin geboren, floh 1939 nach England, lebte ab 1940 in Australien und kam 1956 in die DDR. Er arbeitete als Landarbeit­er, Straßenfot­ograf und Seemann und hat das Erlebte schreibend dokumentie­rt. Im vergangene­n Jahr veröffentl­ichte »nd« den ersten Teil einer Porträtrei­he, in der sich Walter Kaufmann an Menschen erinnert, die seinen Weg kreuzten. Jetzt setzen wir die kleine Serie fort.

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