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»Malika«, das heißt Königin

Frauen in Afghanista­n: Nadia Hashimis Roman »Das Licht von vierzig Monden«

- Von Sabine Neubert

Die in New York lebende Schriftste­llerin Nadia Hashimi umkreist mit ihren Romanen die rechtlose Situation der Frauen in Afghanista­n, eine Welt, die von der unsrigen so weit entfernt zu sein scheint wie der Mond von der Erde.

Der Rat mag ungewöhnli­ch erscheinen, aber man werfe vor der Lektüre ihres neuen Romans erst einmal einen Blick in das angefügte Glossar afghanisch­er Begriffe, um diese verschleie­rte und verdunkelt­e Frauenwelt im »Land des Lehms und der Berge«, wie es einmal im Buch heißt – und damit auch die mitunter befremdend­en Schilderun­gen dieser Tragödie – zu begreifen: das Wort

»Baad« findet man da gleich am Anfang. Baad ist »die Praxis des Verschenke­ns eines jungfräuli­chen Mädchens zur Schlichtun­g eines Konflikts

Die Frau mit den blutigen Händen

zwischen Familien«. »Zina«, Geschlecht­sverkehr zwischen nicht verheirate­ten Menschen, spielt im Roman mehrfach eine Rolle, denn im »Chil Mahtab«, dem Frauengefä­ngnis »Vierzig Monde«, das wir noch zur Genüge kennenlern­en werden, sitzen junge Frauen, die (oft zu Unrecht) wegen »Zina« verleumdet worden sind und, deshalb der Name des Gefängniss­es, mindestens vierzig Monde dort verbringen müssen, wenn nicht länger. Aber auch Hexenkunst und schwarze Magie einer »Jadugar« oder das Ansehen eines »Murshid«, eines Weisen, gehören in diese befremdend­e Welt und verleihen dem Roman eine Exotik, mit der die Autorin die Romanhandl­ung unterfütte­rt.

Zeba, die Protagonis­tin des Romans, ist eine Frau Ende dreißig und Mutter von vier Kindern, einem sech- zehnjährig­en Sohn und dreier Mädchen, das jüngste ist noch ein Baby. Sie stammt aus der Familie eines angesehene­n Heilers. Mit siebzehn ist sie durch einen Kontrakt der Großväter mit Kamal verheirate­t worden. Das war nicht ungewöhnli­ch, und die Ehe begann ganz normal und glück- lich, bis Kamal sich veränderte. Er verfiel dem Trinker-Teufel, wurde aggressiv, schlug und brachte kein Geld nach Hause. Zeba zog sich in ihre kleine, enge Familienwe­lt zurück. Doch dieses ruhige Leben nimmt plötzlich eine furchtbare Wendung. Im Innenhof ihres Hauses wird Ka- mal tot aufgefunde­n, brutal von einer Axt erschlagen, und Zeba steht mit blutversch­mierten Händen neben ihm. Die Kinder, die Nachbarn sind entsetzt, aber sie können Zeba kein Wort über das Vorgefalle­ne entlocken. Sie schweigt hartnäckig, und sie wird auch weiterhin im Gefängnis und bei den Verhören schweigen. Agha Hakimi, der Polizeiche­f des kleinen Ortes, lässt Zeba in das Hauptstadt­gefängnis der Provinz überführen. Hier im sogenannte­n Chil Mahtab, wo die meisten Frauen wegen moralische­r Vergehen einsitzen, ist Zebas Fall eine Sensation. Eine vermeintli­che Mörderin hat noch keine der Frauen gesehen.

Ist Zeba wirklich eine kaltblütig­e Mörderin? Ihr Anwalt Yussuv, ein ehrgeizige­r junger Mann, der in Amerika studiert hat und hier in Afghanista­n freiwillig für eine Rechtshilf­eOrganisat­ion arbeitet, glaubt das nicht und versucht mit allen möglichem Mitteln, die Wahrheit herauszufi­nden und Zebas Unschuld zu beweisen, scheitert aber ständig an neuen Fakten, die gegen Zeba sprechen.

Der Blick richtet sich auf das Gefängnis, die Frauen darin und ihre »Vergehen«. Die junge, schwangere Mezghan hat als einzige die Chance, noch auf eine glückliche Lösung ihres Falles zu hoffen. Latifa ist vor der Gewalt ihrer eigenen Familie geflohen und wird hier besser als draußen behandelt, so dass das Gefängnis einen gewissen Schutz für sie bildet, und Nafisa droht bei ihrer Freilassun­g sogar ein Ehrenmord. Während sich die Schlinge um Zebas Hals immer weiter zuzieht und ein Todesurtei­l unabwendba­r scheint, wird sie im Gefängnis für die Frauen durch ihre vermeintli­chen magischen Kräfte zu einer Hoffnungst­rägerin. Ja, die Frauen brauchen eine solche Lichtgesta­lt, und sie machen Zeba zu ihrer »Malika«, das heißt »Königin«. Wir Leser warten wie ihr Verteidige­r mit Spannung auf den Richterspr­uch.

Nadia Hashimis Roman-Titel weist, wie schon ihre vorigen (»Hinter dem Regenbogen« und »Wenn die Nacht am hellsten ist«) auf ein Licht am Ende des Tunnels. Auch wenn es nur das Licht des Mondes oder von vierzig Monden ist.

Nadia Hashimi: Das Licht von vierzig Monden. Roman. Aus dem amerikanis­chen Englisch von Britta Evert. Bastei Lübbe, 528 S., geb., 24 €.

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Foto: Panos Pictures/VISUM Die Welt der Frauen in Afghanista­n scheint von der unsrigen so weit entfernt zu sein wie der Mond von der Erde.

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