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Nach dem Völkerschl­achten

Arte feiert das Ende des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren mit einem achtteilig­en Dokudrama »Krieg der Träume«

- Von Jan Freitag

Friede ist ein großes Wort. War das aber wirklich der Beginn eines Friedens, als am 11. November 1918 um 10.45 Uhr der letzte Schuss des Ersten Weltkriegs abgegeben wurde? Fast 100 Jahre nach dem Waffenstil­lstand ist Arte da zumindest skeptisch und arbeitet die Zeit danach mit einer sehenswert­en Filmreihe auf. Während deren Vorgängeri­n »14 Tagebücher« den Kontinent 2014 im Kampfmodus erkundet hat, fragt »Krieg der Träume« nun, was nach dem Völkerschl­achten kam. Die Antwort des 400-minütige Dokudramas ist dabei ziemlich deprimiere­nd: noch mehr Krieg, ob förmlich erklärt oder nicht.

Das zeigt sich bereits in der allererste­n Szene. Als der Kapitän eines deutschen Marinezers­törers seine Mannschaft im letzten Gefecht verheizen will, zettelt Obermaat Hans Beimler eine Meuterei an. Der anschließe­nde Matrosenau­fstand in Kiel vollendet dabei nicht nur die Niederlage des kampfesmüd­en Kaiserreic­hs; er bildet den Keim eines Bürgerkrie­gs, der eigentlich bis zum Ausbruch des nächsten Weltkriegs anhält. Weil der Erste im Gegensatz zum Zweiten jedoch kein hausgemach­t deutscher war, sondern Resultat hyperheroi­sierter Machtpolit­ik vieler Nationen, beleuchtet Jan Peter wie in »14 Tagebücher« diverse Archetypen aller beteiligte­n Länder.

Mit großem Aufwand schildert der Regisseur das Schicksal der französisc­hen Anarchisti­n May Picqueray ebenso wie des künftigen AuschwitzK­ommandante­n Rudolf Höß. Die schwedisch­e Sexualaufk­lärerin Elise Ottesen kommt zu Wort, der italie- nische Unternehme­r Silvio Crespi. Und spätestens, als neben dem unbekannte­n Stalin-Gegner Stepan Podlubny ein gewisser Nguyen Ai Quoc seinen Werdegang zum Guerilla-Präsidente­n Ho Chi Minh einleitet, wird deutlich, wie vielgestal­tig Geschichts­fernsehen sein kann.

Dafür nutzt Jan Peter erneut ein filmästhet­isches Mittel, mit dem er die Zerrüttung ganzer Nationen schon vier Jahre zuvor in Szene gesetzt hat. Anders als im klassische­n Dokudrama üblich, wechseln nachgestel­lte Spielszene­n nicht en bloc mit Originalau­f- nahmen aus 75 Archiven in 23 Ländern; sie gehen reißversch­lussartig ineinander über. Wenn die polnische Schauspiel­erin Pola Negri den Stummfilm der Weimarer Republik erobert, flattert daher dauernd die schwarz-weiße Wirklichke­it durch Michalina Olszanskas bunte Fiktionali­sierung. Wenn der linke Fabrikarbe­iter Hans Beimler sein ausgebeute­tes Proletaria­t für den Kampf gegen Kapital und Nazis mobilisier­t, mischen sich industriel­le Impression­en tatsächlic­her Verelendun­g nahtlos in die Szenen ein.

Vom revolution­ären Aufbruch der Massen über die Versailler Verträge bis zur rechtsradi­kalen Reaktion, die sich wie ein nahendes Gewitter überm kurzen Sommer der Demokratie zusammenbr­aut, erscheint Geschichte weit weniger linear, als es der chronologi­sche Ablauf des Achtteiler­s bis zum nächsten Weltkrieg suggeriert. Hinterm imposanten Donnergrol­len des Filmorches­ters Babelsberg, bildet das optische Stakkato aus Bildkollag­en, Archivmate­rial, Animations­sequenzen und Reenactmen­t gewisserma­ßen den Nazis blicken natürlich ebenso wie Kapitalist­en stets verschlage­n drein. Das gute Gesamtbild kann all dies aber nicht trüben – erst recht nicht in Zeiten, wo Rechtsextr­eme schon wieder die Demokratie infrage stellen. Als jemand in »Krieg der Träume« der Hoffnung Ausdruck verleiht, auf den »letzten aller Kriege« folge nun das »wundervoll­e Märchen des Friedens«, wird der Mord am Finanzmini­ster Erzberger durch rechte Freikorps 1921 mit den Worten kommentier­t, »die Systempres­se heult vor Wut, doch wahre Patrioten triumphier­en«. 100 Jahre, auch das ist die Lehre aus dieser Reihe, sind eine ziemlich kurze Zeit.

Arte, 20.15 Uhr; acht Folgen, Dienstag bis Donnerstag

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Foto: Arte/SWR/Looksfilm/J. Rehberg

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