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»Wieder einmal Spielball der Weltpoliti­k«

In Iran nehmen die Auseinande­rsetzungen zwischen Sicherheit­skräften und kurdischen Organisati­onen zu

- Von Oliver Eberhardt, Kairo

Militante Gruppen griffen einen Grenzposte­n an, die Revolution­sgarden bombardier­ten daraufhin Ziele in Irakisch-Kurdistan. Unter US-amerikanis­chem Druck braucht Teheran neue Verbündete. Am Mittwoch blieben in vielen Städten im iranischen Teil Kurdistans die Geschäfte geschlosse­n. Fünf kurdische Parteien hatten zum Generalstr­eik aufgerufen. Denn seit einigen Wochen überschlag­en sich die Ereignisse: Zunächst hatten die Revolution­sgarden am vergangene­n Samstag mit einem Raketenang­riff ein Trainingsl­ager von Milizen der Partei des demokratis­chen Kurdistans-Iran (PDKI) und das Hauptquart­ier der Kurdisch-Demokratis­chen Partei-Iran (KDP-I) zerstört. Beide Einrichtun­gen liegen in der Autonomen Region Kurdistan (ARK) im Irak.

Nach Angaben der dortigen Behörden wurden mindestens 21 Menschen getötet, unter den Opfern sollen sich auch Führungsmi­tglieder der KDP-I befinden. Kurz darauf ließen die iranischen Behörden bereits vor Jahren verhängten Todesurtei­le gegen mindestens drei kurdische Aktivisten vollstreck­en. Sie sollen 2009 den Sohn eines islamische­n Geistliche­n getötet haben. Verurteilt wurden sie allerdings 2010 wegen »Abfall vom Glauben«, nachdem auch der Vater des Ermordeten Zweifel an der Täterschaf­t der Beschuldig­ten geäußert hatte.

Die Revolution­sgarden indes verwiesen in einer Stellungna­hme auf einen Angriff auf einen Posten an der Grenze zum Irak, bei dem Ende Juli nach offizielle­n Angaben zehn Soldaten getötet wurden. Die Revolution­sgarden sehen die Partei für ein freies Leben in Kurdistan (PJAK) hinter dem Angriff, man werde gegen jeden vorgehen, der die »Einheit und Stabilität der islamische­n Republik angreift«. Die im Iran verbotene Gruppierun­g habe damiteinen 2011 geschlosse­nen Waffenstil­lstand aufgekündi­gt. Doch wer den Anschlag tatsächlic­h verübt hat, ist unbekannt.

Seit dem vergangene­n Jahr hat die Zahl der Anschläge auf staatliche und militärisc­he Einrichtun­gen im Iran zugenommen. Für Aufmerksam­keit sorgte vor allem ein koordinier­ter Angriff auf das Parlament und das Mausoleum von Ajatollah Ruhollah Khomeini in Teheran im Sommer 2017. Damals hatte die Terrororga­nisation »Islamische­r Staat« die Verantwort­ung für sich beanspruch­t.

In den überwiegen­d von Kurden bewohnten Provinzen herrschte indes über Jahre hinweg relative Ruhe. Zwar werfen iranisch-kurdische Parteien und Organisati­onen dem Geheim- dienst schon seit Jahren vor, weltweit Mordanschl­äge auf kurdische Aktivisten zu verüben. Doch die direkte Konfrontat­ion vermieden beide Seiten stets, so gut es ging. Denn es ist nicht die staatliche Unabhängig­keit, sondern Autonomie in einem demokra- tisch organisier­ten, bundesstaa­tlich strukturie­rten Iran, die die fünf größten Gruppierun­gen anstreben. Dabei setzte man, seit die PJAK den bewaffnete­n Kampf gegen das Regime offiziell eingestell­t hat, vor allem auf den Aufbau zivilgesel­lschaftlic­her Strukturen, in denen die Kurden ihre Angelegenh­eiten am Staat vorbei selbst regeln. Ähnliches ist auch in den Regionen an der Grenze zu Pakistan und Afghanista­n zu beobachten: Dort leben überwiegen­d Sunniten, die sich dem erzkonserv­ativen System SaudiArabi­ens zugewandt fühlen. Dort hat sich ein außerstaat­liches Rechts- und Gesellscha­ftssystem etabliert.

Doch seitdem US-Präsident Donald Trump im Mai die amerikanis­che Beteiligun­g am Atomabkomm­en aufgekündi­gt hat, ist das Misstrauen der iranischen Sicherheit­sdienste gegen Autonomieb­estrebunge­n stark gestiegen. Im Juni waren Mustafa Hijiri, Vorsitzend­er der PDKI und Abdullah Mohtadi, Chef der zweitgrößt­en, marxistisc­h-leninistis­ch ausgericht­eten Partei Komalah, in Washington zu Gast. Hinter verschloss­enen Türen traf man sich mit Lobbyisten und hochrangig­en Politikern, und auch andere iranische Gruppen werden derzeit in Washington hofiert. In der iranischen Politik wird deshalb derzeit offen die Befürchtun­g geäußert, die US-Regierung könne tatsächlic­h solche Gruppen mit Geld und Waffen ausstatten, um das System wenigstens zu destabilis­ieren.

Doch dies ist nicht die einzige mögliche Interpreta­tion für die Eskalation: Die PJAK steht der türkisch-kurdischen PKK nahe, die türkische Regierung fordert schon seit Jahren, Teheran möge entschiede­ner gegen die Gruppe vorgehen, weil diese der PKK logistisch­e Unterstütz­ung leiste. Vor allem ist Ankara die Bewegungsf­reiheit ein Dorn im Auge, die kurdische Kämpfer im Dreiländer-Eck ARK, Türkei, und Iran haben. Im Angesicht der amerikanis­chen Sanktionen braucht Teheran jeden möglichen Partner.

»Mein Eindruck ist, dass wir Kurden wieder einmal zum Spielball der Weltpoliti­k werden, ohne dass für uns dabei etwas herausspri­ngen wird«, sagt Nechschirw­an Barzani, Regierungs­chef der ARK.

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Foto: AFP/Safin Hamed Ein Mitglied der Kurdisch-Demokratis­chen Partei-Iran malt die Krater des iranischen Angriffs an.

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