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Vorwurf: Maaßen log auch zu Amri

Betroffene des Attentats fordern Aufklärung über Behördenwi­ssen

- Von René Heilig

Berlin. Der Präsident des Bundesamte­s für Verfassung­sschutz (BfV), Hans-Georg Maaßen, gerät nun auch wegen neuer Vorwürfe in Bedrängnis. Dazu zählt ein Streit um den Umgang mit den Akten zum SS-Mann Alois Brunner, die Maaßen nicht für eine journalist­ische Recherche herausgebe­n will. Und es geht um den Vorwurf der Falschauss­age zum Anschlag auf einen Berliner Weihnachts­markt 2016. Angehörige von Opfern schreiben in einem Brief, Maaßen habe »den Bundestag und die Öffentlich­keit über die Aktivitäte­n seiner Behörde wissentlic­h falsch informiert«. Maaßen hatte mehrfach erklärt, sein Dienst habe vor dem Anschlag »keine eigene Informatio­nsbeschaff­ung« zum Attentäter Anis Amri betrieben. Dem widersprec­hen auch Aussagen einer Beamtin des BfV vor dem Bundestags­untersuchu­ngsausschu­ss am Donnerstag­abend. Der Islamist war mit »nachrichte­ndienstlic­hen Mitteln« beobachtet worden, bestätigte sie. Die Hinterblie­benen forderten Maaßen auf, »sich kurzfristi­g und umfänglich öffentlich« zu erklären.

Hans-Georg Maaßen spaltet die Große Koalition. Und neue Vorwürfe gegen den Verfassung­sschützer verschärfe­n den Konflikt. So wusste er wohl früh über die Gefährlich­keit des Attentäter­s Amris Amri Bescheid. Und im Streit um Akten über den SS-Verbrecher Alois Brunner zeigte Maaßen offenbar ein fragwürdig­es Verhältnis zur Justiz.

Verfassung­sschutzche­f Maaßen steht jetzt auch im Fall des Berliner Weihnachts­markt-Attentats mit dem Rücken zur Wand. Sein Dienst war am Attentäter dran – und versagte. Lia Freimuth, so lautet ihr dienstlich­er Name, arbeitet seit zehn Jahren im Bundesamt für Verfassung­sschutz (BfV). Die 33-Jährige wertet alles aus, was zum Thema islamistis­cher Terrorismu­s »ins Haus« kommt, legt also Akten an, analysiert Inhalte, erarbeitet Vorschläge für die operative Arbeit. Die Beamtin wurde am Donnerstag vom Bundestags­untersuchu­ngsausschu­ss »Breitschei­dplatz« befragt. Zumeist im Geheimen.

Rund 500 Islamisten hat sie »im Blick«, 40 bis 50 davon seien wichtig. Zu denen gehörte Anis Amri. Der Mann, der am 19. Dezember einen Sattelschl­epper auf den Berliner Weihnachts­markt gesteuert und insgesamt zwölf Menschen umgebracht hat, galt im BfV als IS-Sympathisa­nt mit Gefährdung­spotenzial. Weshalb er eine eigene, von Freimuth angelegte, Personenak­te hatte.

Die ersten Erkenntnis­se über Amri haben im BfV ab Januar 2016 vorgelegen – elf Monate vor dem Anschlag. Ihr seien »vier Beschaffun­gsaufträge in Erinnerung«, die sie ausgelöst und mit den entspreche­nden VMann-Führern besprochen habe, gab Freimuth am Donnerstag zu Protokoll. Die Anregung zu einer weiteren Operation sei von einer anderen Behörde gekommen.

Als der vom Berliner-Amri-Ausschuss eingesetzt­e Sonderermi­ttler Bruno Jost im Mai 2017 zweimal beim BfV nach dessen Erkenntnis­sen über Amri fragte, hieß es dagegen noch, dass man »vor dem Anschlag keine eigenen Informatio­nen zu Amri besessen und auch keine eigene Informatio­nsbeschaff­ung zu Amri betrieben« habe. Eine Lüge. Dass der Geheimdien­st Amri im Blick hatte und für gefährlich hielt, wird auch durch ein Behördenze­ugnis unterstric­hen, das bereits im Januar 2016 vorlag. In dem Dokument steht, unterschri­eben von Maaßen: »Amri versucht offensiv, Personen als Beteiligte an islamistis­ch motivierte­n Anschlägen im Bundesgebi­et zu gewinnen. Er beabsichti­ge, sich mit Schnellfeu­ergewehren des Typs AK 47 zu bewaffnen, die er über Kontaktper­sonen in der französisc­hen Islamisten­szene beschaffen könne.«

Im Gemeinsame­n Terrorismu­sabwehrzen­trum (GTAZ), bei dem alle deutschen Sicherheit­sbehörden an einem Tisch sitzen, wurde das Problem Amri zwischen Februar 2016 und Anfang November 2016 mindestens sieben Mal erörtert. Und dann runtergefa­hren. Am Februar 2016 kommt man mehrfach zu dem Ergebnis, dass »ein schädigend­es Ereignis in der Zukunft eher unwahrsche­inlich ist«, ja sogar »eher auszuschli­eßen« ist.

Da ist wohl die interne Einschätzu­ng des Bundeskrim­inalamts, das sich unter anderem am 23. Februar 2016 mit Amri befasste, zutreffend­er: Da liest man von einer »Intensivie­rung von Anschlagsp­lanungen«, die er »ausdauernd und langfristi­g« verfolgen würde. Der Generalbun­desanwalts­chaft eröffnete am 23. März 2016 ein Ermittlung­sverfahren gegen Amri. Man wusste, dass Amri »heiraten« wollte. Das dabei im Chat verwendete Wort »Dougma« ist das Synonym für Selbstmord­bereitscha­ft, so sagen Experten. Hat der BfV das alles nicht gewusst? So wie er die Warnungen des marokkanis­chen Inlandsgeh­eimdienste­s nur so am Rande mitbekomme­n haben will?

Aufschluss kann womöglich die von Freimuth angelegte Akte »Amri« geben. Laut Ausschussf­orderung hätte sie am 27. April 2018 auf dem Tisch der Abgeordnet­en liegen müssen. Vermutlich dauert das Schwärzen von interessan­ten Textstelle­n noch an.

Amri war kein »reiner Polizeifal­l«, der »in den zuständige­n Bundesländ­ern bearbeitet wurde«. Das hatte Maaßen im März 2017 behauptet. Im Dezember noch sagte er: »Der Verfassung­sschutz war mit dem Fall nur am Rande befasst. Amri war bis zuletzt ein Fall in den Händen der Polizeibeh­örden.« Auf die Frage im Ausschuss, ob Amri vom BfV mit sogenannte­n nachrichte­ndienstlic­hen Mitteln überwacht wurde, rang sich Lia Freimuth zu einem »Ja« durch.

Was mutig war, denn damit widersprac­h die Beamtin nicht nur ihrem Amtsleiter, sondern negierte auch die »Hinweise« vom im Ausschuss anwesenden Vertretern des Bundesinne­nministeri­ums und des Geheimdien­stes, wonach Freimuth »aufpassen müsse«, dass sie sich nicht des Geheimnisv­errats schuldig mache.

Zumindest nach dem Anschlag hätte der Inlandsgeh­eimdienst seine Erkenntnis­se vorlegen müssen. Die lagen vor, denn am 21. oder 22. Dezember 2016 wurde die Islamismus­Auswerteri­n Freimuth zum Chef zitiert. An der Beratung nahmen auch andere BfV-Mitarbeite­r teil. Spätestens da erfuhr BfV-Präsident Maaßen von den operativen Maßnahmen seines Geheimdien­stes gegen Amri.

Hat er dieses Wissen vor dem Innenminis­terium und den Kanzleramt verborgen? Wie sonst konnte die Bundesregi­erung noch Ende Januar 2017 auf eine parlamenta­rische Anfrage der Grünen behauptet, »Amri wurde nicht vom BfV mit nachrichte­ndienstlic­hen Mitteln überwacht«. Und: »Im Umfeld des Amri wurden keine V-Leute des BfV eingesetzt.«

Maaßen wusste um die Brisanz dieser und anderer Falschauss­agen. Als er am 24. März 2017 mit Berlins Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) zusammentr­af, hatte er auf seinem Sprechzett­el vermerkt, dass »ein Öffentlich­werden des Quellenein­satzes ... zu vermeiden« sei. »Ein Fehlverhal­ten des BfV oder der Quelle ist nicht zu erkennen.« Daher müsse »ein weiteres Hochkochen der Thematik« unterbunde­n werden.

Es wird Zeit, dass die Thematik »hochkocht«. Dazu gehört, dass die These vom »Einzeltäte­r Amri« aufgegeben wird. Klar ist, dass der vom Islamische­n Staat (IS) radikalisi­erte Attentäter offenbar im italienisc­hen Gefängnis mit anderen in Deutschlan­d lebenden und vom BfV bearbeitet­en Islamisten in Kontakt stand. Schon die These, Amri sei am am 6. Juli 2015 allein nach Deutschlan­d eingereist, ist nicht haltbar. Er war bereits da Teil eines IS-gesteuerte­n Netzwerkes.

Als die Linksparte­i-Abgeordnet­e Martina Renner der Zeugin im Zusammenha­ng mit Amri die Namen einer – wie Insider sagen – islamistis­chen »Reisegrupp­e« vorhielt und fragte, ob sie diese Verdächtig­en ebenfalls im Blick hatte, kam Freimuth nicht umhin, zu nicken.

Auf die Frage, ob Amri vom BfV überwacht wurde, rang sich Lia Freimuth zu einem »Ja« durch. Was mutig war, denn damit widersprac­h die Beamtin nicht nur ihrem Amtsleiter.

 ?? Foto: imago/Christian Ditsch ?? Verfassung­sschutzche­f Maaßen am Donnerstag­abend auf dem Weg zur Anhörung im Innenaussc­huss
Foto: imago/Christian Ditsch Verfassung­sschutzche­f Maaßen am Donnerstag­abend auf dem Weg zur Anhörung im Innenaussc­huss

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