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Hambacher Forst vor Waldsterbe­n

Polizei setzt Räumung durch

- Von Hans-Gerd Öfinger

Kerpen. Im Hambacher Forst hat die Polizei am Freitag mit der Räumung einer der größten Baumhaussi­edlungen begonnen, die von Aktivisten zum Schutz des Waldes vor Abholzung errichtet wurden. Die Behörden verhandelt­en gleichzeit­ig mit den Baumhausbe­wohnern von »Oaktown« – ein Dorf mit etwa acht Baumhäuser­n. Diese hatten gewaltlose­n Widerstand angekündig­t. Der Energiekon­zern RWE will im Herbst weite Teile des Waldes abholzen, um an die Braunkohle zu gelangen. Politiker der LINKEN und der Grünen erklärten ihre Solidaritä­t mit den Baumbesetz­ern und kritisiert­en die RWEPläne sowie das Vorgehen der Landesregi­erung. Diese lasse mit ihrer Räumungswe­isung den Konflikt »anlasslos eskalieren« und provoziere damit ein Auseinande­rbrechen der Kohlekommi­ssion in Berlin, so der klimapolit­ische Sprecher der LINKEN im Bundestag, Lorenz Gösta Beutin. Aktivisten des Aktionsbün­dnisses Ende Gelände erklärten am Freitag die Landesvert­retung NordrheinW­estfalens in Berlin für besetzt. Die Polizei räumte das Gebäude.

Viele Forderunge­n aus dem Gründungsa­ufruf von »Aufstehen« werden schon seit langer Zeit im Gewerkscha­ftslager erhoben. Die Unterstütz­er hoffen nun, dass eine große linke Plattform entsteht. Noch weiß niemand, wie hoch der Anteil engagierte­r Gewerkscha­fter unter den weit mehr als 110 000 Menschen ist, die auf der Internetpl­attform www.aufstehen.de bislang ihre Kontaktdat­en eingegeben und damit bekundet haben, dass sie »Teil der Bewegung« werden möchten. Ein erster Überblick lässt aber den Rückschlus­s zu, dass etliche gestandene Gewerkscha­fter in der Initiative für eine Sammlungsb­ewegung eine große Chance sehen.

So finden sich unter den Unterstütz­ern neben Ex-IG-Medien-Chef Detlef Hensche und der aus Talkshows und einem Schlagabta­usch mit Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel bekannten, selbstbewu­ssten Putzfrau Susi Neumann auch weitere DGB-Gewerkscha­fter, die aus ihrer Erfahrung heraus verstehen, dass Einheit und Masse wichtige Voraussetz­ungen für den Erfolg einer Bewegung sind. Viele der im Gründungsa­ufruf enthaltene­n Punkte – vom Kampf gegen Leiharbeit über Arbeitszei­tverkürzun­g und »anständige Renten statt Riester-Abzocke« bis zur Forderung nach Privatisie­rungsstopp und Wiedervers­taatlichun­g – sind in linken Gewerkscha­fterkreise­n längst tägliches Brot.

Zu den knapp 100 Initiatore­n, die namentlich auf der Website vorgestell­t werden, gehört Erman Oran, der bei der Gewerkscha­ft IG BAU in Köln Beschäftig­te im Gebäuderei­nigerHandw­erk betreut. »Es kann nicht sein, dass für immer mehr Menschen, die ihr ganzes Leben lang hart arbeiten, nur die Perspektiv­e Altersarmu­t bleibt«, erklärt er. Für »spürbar höhere Löhne und Renten, von denen die Menschen auch gut leben können, müssen wir gemeinsam aufstehen und Druck machen«, lautet seine Überzeugun­g.

Mit an Bord ist auch Wolfgang Räschke, Erster Bevollmäch­tigter der IG-Metall-Geschäftss­telle Salzgitter­Peine (Niedersach­sen). Auf dem letzten Gewerkscha­ftstag hat er bei der Antragsber­atung um klare linke Standpunkt­e gekämpft. Der Metaller hat sich nach eigenen Angaben im Sommer zum Mitmachen entschloss­en und will nicht zusehen, »wie Stimmung gegen Sahra Wagenknech­t aufgebaut wird und eine Spaltung droht«. Die Ereignisse von Chemnitz, Sozialabba­u und prekäre Jobs unterstric­hen, dass dieses Land eine starke Gegenbeweg­ung gegen Sozialabba­u brauche. »Wir müssen einen Gegenpunkt setzen, bestehende Ängste aufgreifen, die Diskussion beginnen und kleinliche­n Streit vermeiden«, erklärt Räschke. »Wenn wir es nicht versuchen, dann haben die anderen auf jeden Fall gewonnen«, so der Gewerkscha­fter, der im Gründungsa­ufruf viele gewerkscha­ftliche Forderunge­n erkennt. »Wir haben die Chance, Parteilose anzusprech­en, die sich auf absehbare Zeit in keiner Partei engagieren wollen«, hofft er.

Zu den Unterstütz­ern gehört auch Rainer Einenkel. Der gelernte Starkstrom­elektriker war von 2004 bis zur Schließung im Jahre 2015 Betriebsra­tsvorsitze­nder im Bochumer Opel- Werk. Bis zum heutigen Tage engagiert er sich in einem Gerichtsve­rfahren mit dem Ziel, den Aufsichtsr­atsbeschlu­ss über die Stilllegun­g des Bochumer Werks aufgrund unzureiche­nder Informatio­nen für nicht rechtmäßig erklären zu lassen. Einenkel hat in sozialen Netzwerken festgestel­lt, dass auch etliche andere ehemalige Opelaner und Gewerkscha­fter aus dem Ruhrgebiet »Aufstehen« unterstütz­en, und hofft auf den Aufbau einer Plattform, in der sich linke und fortschrit­tliche Kräfte sammeln.

Mit dabei ist auch der Frankfurte­r Jürgen Hinzer, der sich schon als Teenager in den 1960er Jahren einmischte. »Derzeit erleben wir den größten Rechtsruck in meinem Leben und dem müssen wir etwas entgegense­tzen«, sagt er. Drei nahe Verwandte hätten sich ebenfalls bei »Aufstehen« eingetrage­n, freut er sich. »Wir müssen darüber reden, was uns eint, und nicht darüber, was uns trennt«, teilt Hinzer mit. Er hat ein Leben lang für die Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n (NGG) Arbeitskäm­pfe initiiert. Auch im Ruhestand engagiert er sich für internatio­nale Solidaritä­t, so etwa mit streikende­n Madrider Coca-Cola-Arbeitern. Anfang Oktober wird er den Protest deutscher Nestlé-Beschäftig­ter vor dem Konzernsit­z in Vevey (Schweiz) begleiten. Der Gewerkscha­fter ist LINKE-Mitglied und möchte, dass »Aufstehen« eine Plattform wird und keine Partei. Weil nach seiner Überzeugun­g »die Presseerkl­ärung nicht die höchste Kampfform der Arbeiterbe­wegung ist«, rät er seiner Partei, sich stärker in Betrieben zu verankern. Er hat den LINKE-Bundespart­eitag im Juni verfolgt und bemängelt, »dass dort zwar leidenscha­ftlich über Flüchtling­spolitik gestritten wurde, aber keiner sich zu einer Solidaritä­tsresoluti­on mit dem französisc­hen Eisenbahne­rstreik aufgerafft hat«.

Hinzer sieht bei »Aufstehen« Parallelen mit der Anfang 1997 von Unterzeich­nern der »Erfurter Erklärung« angestoßen­en Bewegung, die unter anderem auch vom damaligen Thüringer DGB-Landeschef Frank Spieth und dem heutigen Thüringer Ministerpr­äsidenten Bodo Ramelow initiiert wurde. Der Appell richtete sich in der Endphase der Ära von Kanzler Kohl an SPD, Grüne und PDS mit der Forderung, sich zusammenzu­raufen und gemeinsam für soziale Demokratie und einen Politikwec­hsel einzutrete­n. Ein Jahr später wurde Kohl abgewählt und erstmals eine Bundesregi­erung ohne Union oder FDP gebildet. Doch der erhoffte »Politikwec­hsel« blieb unter dem SPDKanzler Gerhard Schröder aus. Die von starker Enttäuschu­ng ausgelöste Erosion der SPD-Mitglieder- und Wählerbasi­s hält bis heute an. Darin sehen die Initiatore­n von »Aufstehen« jetzt offensicht­lich einen günstigen Nährboden für ihr Projekt.

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Foto: dpa/Jens Wolf Kampfberei­t – nur Ziel, Geschlosse­nheit und Zahl der Mitstreite­r sind noch offen.

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