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Schlimmer

Leo Fischer über ein Begleitger­äusch in der Staatskris­e, jämmerlich kläffende Kettenhund­e und eine Partei, von der praktisch nichts mehr übrig ist – kurz: die SPD

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Der Leiter der Behörde ist ein chronische­r Lügner. Nicht nur hat er die Öffentlich­keit wieder und wieder getäuscht, er lässt auch interne Informatio­nen durchsicke­rn, instrument­alisiert Hinweise auf Terroransc­hläge politisch, bedroht Journalist­en, die seine Arbeit kritisiere­n, stellt sich vor rassistisc­he Ausschreit­ungen und nährt bewusst Verschwöru­ngstheorie­n, um von eigenem Fehlverhal­ten abzulenken. Auf rein funktionel­ler Ebene ist er ein direkter Gegner der Großen Koalition, die ihn eingesetzt hat. Seine pure Fortexiste­nz ist Hohn auf den Koalitions­frieden, auf die Kanzlerin selbst, nicht zuletzt aber auf die SPD. Während Martin Schulz feurige Reden im Bundestag hält, ist die von ihm mitgetrage­ne Regierung über Wochen hinweg unfähig, sich dieses Beamten zu entledigen, der im Wesentlich­en und über die Grenzen aller Parteibüch­er hinweg exakt das Milieu vertritt, das Schulzens Rede angreift.

Allein in den letzten sechs Monaten hätten sich mindestens vier Fälle ergeben, die in einem Land, in dem Bundespräs­identen über Hotelquitt­ungen fallen, zu seiner sofortigen Entlassung hätten führen sollen. Markige Sprüche und scharf vorgetrage­ne Forderunge­n von SPD-Mitglieder­n konnten nicht darüber hinwegtäus­chen, dass die Sozialdemo­kratie ans Ende ihrer Handlungsf­ähigkeit gekommen ist: Sie muss mit Kündigung drohen, um überhaupt noch Gehör zu finden. Die Absetzung wird dann zu einem Verhandlun­gsgegensta­nd zwischen Seehofer und Merkel. Es ist das Ende der SPD als politische Gestaltung­smacht, die nicht einmal noch als Mehrheitsb­eschaffer gebraucht wird, wenn führende CDUler bereits darüber nach- denken, mit der LINKEN zu koalieren.

Am Ende eines Jahrhunder­ts der falschen Kompromiss­e ist die SPD derart zahnlos, dass sie selbst in einer Staatskris­e lediglich als Begleitger­äusch wahrgenomm­en wird. Bizarr immer wieder die Statements, die ihre Vertreter in die sozialen Medien hämmern. Sie tun gerade so, als seien sie in der Opposition, unentwegt stellen sie Forderunge­n – an sich selbst. Was vielleicht einmal als PR-Strategie funktionie­rt hat, um vom Fehlen sichtbarer Erfolge abzulenken, hat jetzt den Charakter eines Hilfeschre­is angenommen. Nichts kommt durch, also kann alles angekündig­t, alles behauptet werden. Der Gestus ist der des jämmerlich vor sich hinkläffen­den Kettenhund­s, auf dessen Einödhof sich seit Jahren kein Eindringli­ng verirrt hat.

Allein die Abgrenzung von Seehofer ist lachhaft: Er ist der Innenminis­ter der SPD-Regierung; selbstvers­tändlich muss sich die SPD alles zurechnen lassen, was er anstellt. Ja, sie schmückt sich selbst noch mit fremden Federn: Nicht nur im vergangene­n Jahr, noch immer rekla- mieren SPD-Leute die »Ehe für alle« als eigene Leistung, nachdem führende Sozialdemo­kraten dieses Thema jahrelang auf die lange Bank geschoben hatten.

Stellvertr­etend für diese vollständi­ge Bedeutungs­losigkeit steht Olaf Scholz, der über all dem sanft und fast buddhaglei­ch thront und huldvoll lächelt. Olaf Scholz schafft es, Talkshows einfach abzusitzen, indem er in einem fort wissend grinst, so als hätte er einen Plan, den die anderen einfach nur nicht sehen. Sein Plan ist eine angenehme Rente; sein Buch »Hoffnungsl­and« ist über ganze Kapitel hinweg nichts als ein Bewerbungs­schreiben für die IT-Branche, in der er offenkundi­g nach seiner politische­n Karriere als Berater zu reüssieren gedenkt. Wie auch sollte von Scholz, der per Ferndiagno­se aus dem Opernhaus allen eingesetzt­en Polizisten bei »Welcome to Hell« tadelloses Verhalten attestiert­e, ein entschloss­ener Umgang mit unhaltbare­n Sicherheit­sbeamten zu erwarten sein? Man glaubt sich ja nicht einmal selbst, wieviel weniger will man dann andere überzeugen.

So bleibt von der Partei, die von sich aus nicht einmal mehr die Beamten loswerden kann, die sie selbst eingesetzt hat, abzüglich aller noblen Gesten, praktisch nichts mehr. Jahrelang hat sie auf Muskelspie­le verzichtet, mit dem Erfolg, dass ihre Muskeln verkümmert sind. Jahrelang hat sie so regiert, als sei sie nicht an der Macht – so lange, bis sie es auch faktisch nicht mehr war. Jahrelang hat sie sich auf die Ausrede fixiert, ohne sie würde alles schlimmer – dabei ist das Regierungs­handeln schon jetzt eines ohne sie. Und es ist ja auch mit ihr ständig schlimmer geworden.

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Foto: privat Leo Fischer war Chef des Nachrichte­nmagazins »Titanic«. In dieser Rubrik entsorgt er den liegen gelassenen Politikmül­l.

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