Mauern wie die Mauren
Orientalische Architektur gibt es seit dem 18. Jahrhundert in Deutschland. Auch wenn es auf den ersten Blick so wirkt: Nicht alle dieser Bauten sind Moscheen.
Manche Herrscher fanden Bauwerke im maurischen Stil so faszinierend, dass sie auf ihren heimischen Anwesen Kuppelbauten mit Minarett errichten ließen. So kam die Architektur aus Ländern der aufgehenden Sonne auch nach Deutschland – und diente vereinzelt sogar als stilvolle Fassade von Fabrikanlagen. Rote Moschee im Schwetzinger Schlossgarten
In der Nähe von Mannheim, nur ein paar Dutzend Meter vom Schwetzinger Schloss entfernt, steht eine der schönsten Moscheen Deutschlands. Zwischen zwei Minaretten erhebt sich der Kuppelbau mit Halbmond auf dem Dach. Offene Wandelgänge erinnern an weltberühmte Vorbilder wie in Córdoba oder Damaskus. Im Inneren prangen Mamormosaike und sinnstiftende Koransuren von den Wänden. Doch wer genauer hinter die Fassade in Hellrosa schaut, stellt schnell fest: Hier stimmt doch etwas nicht! Eine Moschee ohne Gebetsnische? Warum sind die arabischen Inschriften an den Wänden voller Fehler? Wieso fehlt im Hof der für die Waschung der Gläubigen obligatorische Brunnen? Und apropos Gläubige: Warum sieht man hier weit und breit keinen einzigen betenden Muslim? Die ernüchternde Antwort: Die »Rote Moschee« im Schwetzinger Schlosspark ist gar keine.
Moscheen, die nie fürs Gebet gedacht waren
Mit diesem Schicksal ist sie nicht allein. Wer sich für Moscheebauten in Deutschland und Europa interessiert, stößt schnell auf ein seltsames Phänomen: Ausgerechnet die prächtigsten unter ihnen haben nie einen betenden Muslim erlebt. In Wien und Dresden entstanden Zigarettenfabriken im Orientlook. In Düsseldorf und Wiesbaden tranken Kaffeehausgänger ihren Mokka einmal stilecht unter Minarettimitationen. In Prag, Budapest und Berlin errichteten Juden ihre Synagogen im maurischen Stil. In Bayern, in der Pfalz und London verschönerten Herrscher mit »Gartenmoscheen« ihre Anwesen. Während heutzutage die wenigen repräsentativen Moscheen vielerorts aus allen Nähten platzen und jede Planung eines Neubaus mit Bürgerprotest begleitet wird, bauten zwischen Ende des 18. und Anfang des 20. Jahrhunderts Könige, Fürsten und Industrielle islamisch anmutende Gebäude, ohne dass irgendein Muslim danach gefragt hätte. Als der Orient zum Sehnsuchtsort wurde
Einer von ihnen hieß Karl Philipp Theodor. Sein Beruf: Kurfürst von Pfalz-Bayern. Eines seiner Hobbys: ungewöhnliche Schlossparkgestaltung. Im Jahr 1778 wies er seinen Hofarchitekten Nicolas de Pigage an, seinen Schwetzinger Schlosspark um einen »türkischen Garten« und eine »Moschee« zu erweitern. Von authentischer islamischer Architektur hatte der allerdings wenig Ahnung und holte sich seine Inspirationen deshalb nicht in Kairo oder Istanbul, sondern in London. In den königlichen Parkanlagen war dort wenige Jahre zuvor das erste pseudoislamische Bauwerk Westeuropas errichtet worden: die mittlerweile abgerissene »The Alhambra at Kew Gardens«.
Für echte Muslime war weder sie, noch die vielen anderen Gebäude, die damals in Europa im »türkischen« oder »maurischen« Stil entstanden, jemals vorgesehen. Wobei man es mit den Begriffen nicht so genau nehmen darf: Unter »türkisch« subsumierte man im Zweifel alles, was ein Minarett hatte. Selbst wenn das reale Vorbild in Indien oder Marokko stand. Wirklich authentisch islamische Baukunst spiegelte keines der Gebäude wieder. Die architektonischen Inspirationen waren so unterschiedlich wie die spätere Nutzung der Fake-Moscheen. Und dennoch hatten all die Gebäude eines gemeinsam: die Begeisterung ihrer Erbauer für den »Orient«.
Als 1795 Steinmetze die letzten arabischen Rechtschreibfehler in die Wände der Schwetzinger Moschee meißelten, wartete man an Europas Höfen gespannt auf Neuigkeiten von Napoleons Ägyptenexpedition. In Wien dröhnten türkische Militärtrommeln zu Mozarts »Entführung aus dem Serail« und in Berlin lieferte Lessings »Nathan der Weise« den Soundtrack zum Toleranzgedanken der Aufklärung. Es war eine Zeit, als die Erinnerung an die Bedrohungen des Osmanischen Reiches verblasste und ersetzt wurden durch Geschichten aus Tausendundeiner Nacht und Gedichten aus Goethes »West-östlicher Divan«. Kurz: Der »Orient« wur- de vom Symbol des Schreckens zum Sehnsuchtsort. Das eigene Bekenntnis zum »türkischen« Lifestyle: Ausdruck von Weltgewandtheit, Sinnlichkeit und Toleranz.
Steingewordene Ringparabel in Zartrosa
Zwar gibt es Gerüchte, wonach Karl Theodor bei der Planung auch an den möglichen Einzug einer echten muslimischen Prinzessin dachte; wahrscheinlicher ist aber, dass die Schwetzinger Moschee als Symbol von Aufklärung und religiöser Verständigung gedacht war. Eine steingewordene Ringparabel in Zartrosa. Was überall im Schlosspark wie ein heilloses Durcheinander verschiedener Architekturstile anmutet, lässt sich auch als bewusster Dialog der Kulturen lesen.
Da treffen deutsche Linden auf japanische Kirschbäume, barocker Kitsch auf freimaurerische Symbolik und »römische« Tempel auf eine »türkische« Moschee. Deren Minarette erinnern wiederum an römische Säulen. Die Wandelhallen im Moscheeinnenhof könnten auch als Kreuzgänge in einem mittelalterlichen Kloster durchgehen. Und viele der vermeintlichen Koransuren sind so allgemein gehalten, dass auch kein christlicher Katholik mit ihnen ein Problem haben dürfte: »Lobpreise Gott und bitte ihn um Vergebung. Er ist gnädig.«
Rückschlüsse auf reale politische Verhältnisse, wie es mancher Reiseführer auch heute noch tut, sollte man aus den Bauten allerdings nicht ziehen. Hinter der rosafarbenen Toleranzfassade verhielt sich Kurfürst Karl Theodor als entschiedener Verbreiter des Katholizismus. Nicht nur im Schwetzinger Schlosspark trügt der Schein. Dass der Trend zur »Türkenmode« so schnell verschwinden kann wie er kam, zeigte sich an dem Schicksal, das viele der »Moscheen« ereilte.
Als der Orienthype ging, kamen die Bagger
Als Anfang des 20. Jahrhunderts der Orienthype verblasste, gerieten viele der einstigen Prachtbauten in Vergessenheit. Unter mehreren Kuppeln und Minaretten servierten 1895 in Düsseldorf als Beduinen verkleidete Bedienungen Mokka zur Wasserpfeife. Wenige Jahre später musste das »Arabische Café« einem Kino Platz machen. Bis 1964 überlebte in Wiesbaden das »Café Orient«. Dann kamen die Bagger und zerstörten das einst beliebteste Kaffeehaus der Stadt zugunsten eines Achtgeschossers. Die eindrucksvollen »orientalischen« Kuppeln der Yenidze in Dresden und der »Neuen Synagoge« in Berlin litten erst unter Weltkriegsbomben und dann unter sozialistischem Renovierungsstau.
In Schwetzingen unterdessen halfen echte Muslime und andere Kulturfremde die Lebenszeit der »Moschee« etwas zu verlängern. Während des deutsch-französischen Krieges von 1870/71 sollen in ihr französische Kriegsgefangene muslimischen Glaubens untergebracht worden sein. Nach dem Zweiten Weltkrieg verwandelten amerikanische GIs die Moschee für kurze Zeit in einen Jazzclub. Als die abgezogen waren, ging es auch mit der »Roten Moschee« bergab. Eine Broschüre aus den 1980ern beschreibt den einstigen Prachtbau als »völlig verrottet«. Die Wandelgänge aus Sandstein verwittert, die Holzkonstruktion der Kuppel morsch.
Es dauerte bis ins aktuelle Jahrhundert, bis das Land Baden-Württemberg sich seines »orientalischen« Erbes erinnerte. Für rund zehn Millionen Euro wurde die Moschee in den 2000er Jahren von Grund auf restauriert. Einige Jahre später erlebte sie schließlich doch noch echte betende Muslime – wenn auch nur aus einigen Dutzend Metern Entfernung. Zum traditionellen Fastenbrechen lud der Nachfolger von Kurfürst Karl Theodor, Winfried Kretschmann, Muslime ins Schwetzinger Schloss.
Café Orient:
Das Starbucks Wiesbadens
Wer sich in Wiesbaden mit seinen Yuppie-Freunden Anfang des 20. Jahrhunderts möglichst stilvoll zum Kaffee treffen wollte, landete unweigerlich in einer Moschee. Zumindest konnte man das »Café Orient Unter den Eichen« leicht mit einer verwech- seln. Draußen: Maurische Fassade und Kuppeltürmchen. Drinnen: orientalische Verschwendung.
Alfred Georgi hatte das Kaffeehaus im Orientlook im Jahr 1899 bauen lassen und sich damit seinen Lebenstraum erfüllt. Die streifenartige Bemalung war der Alhambra im spanischen Córdoba entlehnt. Für die Innenausstattung besorgte er teure Teppiche. Für die Umsetzung der Bauerarbeiten engagierte er eigens marokkanische Arbeiter. Nur einen Haken hatte die Sache: Als Hofkoch von Kaiser Wilhelm II. hatte Georgi zwar viel Ahnung von Gastronomie aber wenig von Betriebswirtschaft. Bereits nach eineinhalb Jahren musste er seinen orientalischen Lebenstraum wieder verkaufen. Er konnte die 180 000 Mark Hypothekenschulden nicht aufbringen.
Hotelfachmann Georges Richefort übernahm und entwickelte »Café Orient« in den Goldenen Zwanzigern zum angesagtesten Treff der Stadt. Doch gegenüber höheren Mächten war auch eher hilflos: Im Zuge der Weltwirtschaftskrise musste Richefort 1929 Insolvenz anmelden und das Café schließen. Zeitweise übernahmen ein Kostümverleih, ein Schädlingsbekämpfer und eine Ballettschule einige der Räumlichkeiten. Den Zweiten Weltkrieg überlebte das Gebäude zwar, nicht aber den Bauboom der 60er. 1964 wurde das Café Orient abgerissen, um Platz für ein Hochhaus zu machen.
Dass das Café im Moscheelook dennoch nicht völlig vergessen ist, ist vor allem einem Mann zu verdanken: Bernd Richefort, einem Enkel des ehemaligen Pächters. Bestecke, Stühle, Tablette, Teegläser, Fotos – Richefort sammelt, was vom Café noch übrig ist und engagiert sich für einen Wiederaufbau. Einen ersten Erfolg hat er schon erzielt. Seit einigen Jahren steht »Café Orient« wieder: als Modell im Maßstab 1:25 im Wiesbadener Stadtmuseum.
Der »Orient« wurde vom Symbol des Schreckens zum Sehnsuchtsort. Das eigene Bekenntnis zum »türkischen« Lifestyle: Ausdruck von Weltgewandtheit, Sinnlichkeit und Toleranz.
Neue Synagoge:
Weder Moschee noch Synagoge Wer den islamischen Kuppelbau in Berlins Oranienburger Straße besich-
tigt, erlebt gleich zwei Enttäuschungen. Erstens steckt unter der orientalischen Kuppel nichts Islamisches, sondern eine Synagoge. Und zweites stimmt auch das nicht. Aber von vorn.
Es war eine Zeit der Hoffnung, als 1859 Berlins jüdische Gemeinde den Grundstein für ihre »Neue Synagoge« legte. Gerade waren Juden anderen Bürgern Preußens rechtlich gleichgestellt worden, mit fast 30 000 Menschen erlebte die jüdische Gemeinschaft Berlins neue Mitgliederrekorde. Selbstbewusst suchte man sich die Alhambra im spanischen Granada als Vorbild für einen Synagogenneubau: Schließlich hatten im Andalusien des 9. bis 12. Jahrhunderts auch Juden ein Goldenes Zeitalter erlebt. Ganz genau nahm man es mit dem »maurischen« Stil aber auch hier nicht. Als Inspiration für die Kuppel diente der »Royal Pavilion« aus dem südenglischen Brighton. Der wiederum war einem Herrscherpalast aus der indischen Mogulzeit nachempfunden.
Die Öffentlichkeit störte sich nicht am auffällig ungewöhnlichen Stil. Im Gegenteil: Preußens König Wilhelm I. besuchte die Baustelle, zur Eröffnung 1866 kam der spätere Reichskanzler Otto von Bismarck und die »Berliner Morgenzeitung« schrieb, was heute wohl wütende Leserkommentare provozieren würde: »Es ist ein Gebäude, welches mitten in die moderne prosaische Welt die Wunder des Orients uns vor das Auge zaubert.«
Die Begeisterung ging, die Nazis kamen. Erfolglos bemühten sich diese, die Synagoge im Islamlook niederzubrennen und beschlagnahmten im Juni 1943 das Gebäude. Was Bomben übrig gelassen hatten, diente den Berlinern der Nachkriegszeit als Steinbruch. Wegen Einsturzgefahr wurde der eindrucksvolle Innenraum 1958 gesprengt. Doch Teile der Fassade und der Kuppel überlebten die Jahre, bis 1988 der teilweise Wiederaufbau begann. Unter restaurierter Kuppel findet der Besucher heute zwar keine Synagoge, stattdessen viel Interessantes zur Geschichte des Gebäudes und Gegenwart von Berlins jüdischer Gemeinde. Und das ist wirklich keine Enttäuschung.
Yenidze: Ausgerechnet Dresden!
Touristen, die über Dresdens Elbbrücke fahren, können sich nur wundern: Ausgerechnet in der Stadt, die weltweit zum Synonym für deutsche Islamfeindlichkeit geworden ist, steht eine Moschee. Mitten in der Innenstadt! 62 Meter hoch! Mitsamt großer Kuppel und Minarett von überall sichtbar! In Dresden selbst hat man sich natürlich längst an das Gebäude gewöhnt. Wohl auch, weil sich in der Yenidze noch nie Muslime zum Gebet getroffen haben.
Ihre Entstehungsgeschichte liest sich wie eine Persiflage auf heutige Verhältnisse: Während heute kaum eine Minarettskizze eine Voranfrage beim zuständigen Bauamt übersteht, war es Anfang des 20. Jahrhunderts gerade der Moscheelook, der den Bau der Yenidze ermöglichte. Zigarettenfabrikant Hugo Zietz suchte 1907 einen Platz für einen Fabrikneubau. Die zuständigen Behörden sahen allerdings den Charakter des Dresdner Zentrum durch einen schnöden Industriebau bedroht. Die Lösung: Der Schornstein wurde zum Minarett. Auf das Dach kam eine gläserne Kuppel. Von der Fassade prangte in großen Lettern »Salem Aleikum«. Das Ergebnis nannte die Bevölkerung bald »Tabakmoschee«.
Aber nicht alles an der Yenidze ist Schein. Anders als bei vielen anderen pseudoislamischen Bauwerken hat sie ein reales Vorbild: Die Anfang des 16. Jahrhunderts in Kairo gebaute Grabesmoschee des osmanischen Gouverneurs Emir Khayr Bak lässt sich noch heute besichtigen. Und auch der Name hat etwas Authentisches: Yenice ist der Name des damals türkischen und heute griechischen Ortes, aus dem Hugo Zietz seine Tabaklieferungen erhielt.
Die Zigaretten der damaligen Marke »Mohamed« werden heute übrigens nicht mehr gerollt. Und auch Muslime treffen sich hier immer noch nicht zum Gebet. Stattdessen blickt man von der Elbbrücke heute auf ein Bürogebäude mit Restaurant unter der Kuppel. Ein klein bisschen hat die Yenidze in den letzten Jahren dennoch an authentisch-islamischem Flair gewonnen: Im Jahr 2014 übernahm ein türkischer Investor die »Tabakmoschee«. Die Geschichte von Potsdams »Moschee« am Havelufer begann mit einem feuchten Traum: Wie im französischen Versailles sollten auch in seinem Schlosspark Wasserfontänen in die Höhe schießen. Das hatte sich Mitte des 18. Jahrhunderts Preußenkönig Friedrich der Große in den Kopf gesetzt. Der Plan seines Hofarchitekten: Mittels Windmühlenpumpen und einem 1,8 Kilometer langen Rohrsystem aus ausgehöhlten Baumstämmen sollte Havelwasser erst in ein Wasserreservoir auf den Ruinenberg gepumpt werden, von dort aus in den Schlosspark schießen, um dort die Fontänen zum Sprudeln zu bringen. Das Ergebnis: platzende Rohre. Das einzige, was am Ende sprudelte, waren die Kosten.
60 Jahre später schaffte es zwar König Friedrich Wilhelms IV. dank neumodischer 81-PS-Mega-Dampfmaschine, die Träume seines Urgroßonkels in die Tat umzusetzen, stieß aber auf ein neues Problem. Von seiner Schlossterrasse drohte nun der Blick auf ein schnödes Dampfmaschinenhaus. Sein Wunsch: ein Gebäude »nach Art der türkischen Moscheen mit einem Minarett als Schornstein«. Da als »türkisch« im Zweifel alles durchging, was irgendwie islamisch aussah, vereinte Hofarchitekt Ludwig Persius Elemente der Moschee aus dem spanischen Córdoba und der Alhambra-Burg mit denen zweier Moscheen (Emir-Jacour- und IbrahimAga) aus Kairo und begann zu bauen.
Das Ergebnis – Moschee wie Pumpe – ist bis heute Touristenmagnet am Potsdamer Havelufer. Das Wasser für die Fontänen im Schlosspark kommt allerdings mittlerweile woanders her. Seit 1976 versorgen zwei elektrische Pumpen Wiesen und Brunnen mit Havelwasser. Unweit des Dampfmaschinenhauses im Moscheelook eröffnete dieses Jahr übrigens eine echte Moschee. An türkische oder maurische Architektur erinnert das Gebäude der Al-Farouk-Moschee allerdings nicht. Bei der echten Potsdamer Moschee handelt es sich um ein ehemaliges Heizhaus des lokalen Energieversorgers.
Maurischer Kiosk: Wasserpfeife mit Ludwig II.
Wie wahrscheinlich ist es wohl, dass man im politischen Berlin auf die Idee kommt, sich mit einer Moschee bei der nächsten Weltausstellung zu präsentieren? Und wie wahrscheinlich ist es, dass außerdem anschließend Bayerns Regierungschef sich die Moschee in den Garten stellt? Ähnliches ist 1867 passiert. Da präsentierte sich Preußen vor den zehn Millionen Besuchern der Weltausstellung in Paris mit einem »Maurischen Kiosk« – einer Minimoschee mitsamt Gebetsnische, goldener Kuppel und Minaretten, so wie es Architekt Carl Wilhelm von Diebitsch bei seinen Ägyptenreisen gesehen hatte. Ein Besucher schien besonders angetan gewesen zu sein: Bayerns »Märchenkönig« Ludwig II. Er kaufte die »Moschee«, erweiterte sie um weitere kitschige Details wie Marmorbrunnen und Pfauenthron und ließ sie in seinem Schlosspark Linderhof neu aufbauen.
Was sich dort abspielte, würde wohl für jeden heutigen bayerischen Ministerpräsidenten als Rücktrittsgrund reichen: Im fast psychedelisch anmutenden Licht der bunten Glasfenster rauchte der König Wasserpfeife und ließ sich von als Muslime verkleideten Dienern Datteltörtchen zur Ananasbowle reichen. Aber das reichte ihm noch nicht: Westlich des Linderhofs hatte Ludwig II. eine ganz Schlossanlage im Orientlook geplant – bevor ihm das Geld ausging. Noch exzessiver konnte Ludwig II. seinen Orientspleen stattdessen in der Nähe von Garmisch-Patenkirchen ausleben. Unweit von Schloss Elmau steht eine unscheinbare Berghütte, deren Obergeschoss den wohl pompösesten »Türkischen Saal« des Landes beherbergt: teure Teppiche, bestickte Diwane, bunte Glasfenster, vergoldete Wände. Hier soll der König schon mal selbst türkische Gewänder angelegt haben. Für heutige bayerische Politiker undenkbar.
Oder? Mit Pressebegleitung nahm der inoffizielle Nachfolger Ludwig II., Bayerns Ministerpräsident Markus Söder, vor zwei Jahren auch einmal Platz im »Maurischen Kiosk«. Gegenüber Journalisten outete er sich bei der Gelegenheit als »Fan« des Märchenkönigs. Vielleicht erleben wir ja doch noch Minarette an der Bayerischen Staatskanzlei.