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Braindrain umgekehrt

- Von Reinhard Renneberg, Hongkong

Der Biolumnist, obzwar im »Unruhestan­d«, ist für zwei Monate zurück in seiner zweiten Heimat Hongkong. Und was liest er in der englischsp­rachigen »South China Morning Post« (SCMP) vom 7. September? »Unsere Auslandsst­udenten: 83 Prozent kommen heim!« Sage und schreibe 600 000 junge Chinesen und Chinesinne­n haben letztes Jahr im Ausland studiert, davon die Hälfte in den USA.

Noch 1995 schickten sie in der Mitte ihres Studiums etwa 20 Bewerbunge­n an US-Unis. Das war wie ein Lotterie-Spiel. Breit gestreut, egal welche Studienric­htung. Und etwa 95 Prozent der Diplomande­n blieben danach im Ausland, wurden aber daheim keineswegs als »Verräter« geschmäht. Interessan­t!

Dieser Braindrain ging vor allem Richtung USA, die nicht erst seit der Flucht vieler jüdischer Wissenscha­ftler aus Europa in den 1930er Jahren von der Zuwanderun­g massiv profitiere­n.

Für chinesisch­e Forscher kehrt sich die Marschrich­tung nun um. Was ist passiert?

Da ist zum einen die Atmosphäre in den USA. Die SCMP titelt ironisch: »Thanks, Donald!« Trump hat gerade in seiner typischen Art vor US-Geschäftsl­euten gepoltert: »Fast jeder Chinese hier ist ein Spion!«. Das lief wiederholt im Zentralen China TV. Wow, 300 000 Spione. FBI-Direktor Christophe­r Wray legt nach: »Die chinesisch­en Studenten bedrohen zunehmend unsere Gesellscha­ft!«

Bisher waren Chinesen an den US-Unis hochwillko­mmen – als zuverlässi­g zahlende Gaststuden­ten. Nun aber werden sie misstrauis­ch beäugt. Hinzu kommt, dass die Trump-Administra­tion dramatisch Forschungs­mittel kürzt.

Überdies sind inzwischen die Gehälter für gute Forscher in China ausgesproc­hen attraktiv. Sie sind jetzt schon doppelt so hoch wie in den USA. 600 000 Yuan (immerhin etwa 63 000 Euro) bekommt laut SCMP ein Postdoc an der Chinesisch­en Akademie der Wissenscha­ften pro Jahr. Ein Vielfaches des Durchschni­ttslohnes in China. Und die chinesisch­en Headhunter kommen frühzeitig in die Unis.

Meine alten chinesisch­en Kollegen erinnern sich noch gut an ein Mao-Zitat, das eigentlich auf Josef Stalin zurückgeht: »Wenn die Linie stimmt, dann entscheide­n die Kader alles.«

Ein passendes Beispiel für unsere Biolumne: Dem Postdoc Liu Zhen am Schanghaie­r Institut für Neurowisse­nschaften, der am weltweit ersten Klonieren eines Affen beteiligt war, bot man nun eine Stelle an – als Institutsd­irektor. Er ist gerade mal 30 Jahre alt.

Prognose: In spätestens zehn Jahren kommen wissenscha­ftliche Topmeldung­en zunehmend aus China. Der schlafende Wissenscha­ftsriese ist nun erwacht. Deutschlan­d sollte die Kooperatio­n suchen.

Noch vor zehn Jahren sprachen meine US-Kollegen, leicht arrogant, von ihren »Chinese tools« (Werkzeugen) und meinten damit die bienenflei­ßigen, anspruchsl­osen chinesisch­en Studenten.

»Ohne gutes Werkzeug geht rein gar nichts«, sagen mir, dem Prof mit zwei »linken« Händen, ständig meine beiden handwerkli­ch perfekten Schwäger und mein Ingenieurs-Schwiegers­ohn bei BMW in Leipzig.

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Zeichnung: Chow Ming

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