Keine Erholung
Das Auslaufen des dritten Kreditprogramms lässt Griechenland aufatmen, zumindest ein wenig
Griechenlands Regierung kämpft um symbolische Erfolge.
Noch immer ist die wirtschaftliche Situation für viele Menschen in der griechischen Hauptstadt angespannt. Die Regierung bemüht sich zwar um Erleichterungen, doch sind die vor allem symbolisch.
Die Farbe ist abgeblättert, Risse ziehen sich durch die Fassade, die Jalousie hängt in Fetzen. Auf der anderen Straßenseite steht ein Tourist und hält sein Handy in Fotopose darauf. Das langsam verfallende Haus am Rande des Stadtviertels Psirri der griechischen Hauptstadt Athen ist nicht nur pittoresk – es lässt sich gemeinsam mit dem hübsch renovierten Nachbarhaus auch als Symbol für den Zustand der griechischen Wirtschaft und des Wohlstands der griechischen Bevölkerung deuten. Die weltweite Finanzkrise von 2008 ließ die griechische Wirtschaft besonders stark taumeln. 2010 erhielt Griechenland das erste Kreditprogramm vom Internationalen Währungsfonds und der Europäischen Union. Seitdem war das Land weitgehend von den Kapitalmärkten abgekoppelt. Im Rahmen von insgesamt drei Kreditprogrammen flossen 288,7 Milliarden Euro an Darlehen an Griechenland. Das dritte Kreditprogramm lief am 20. August dieses Jahres aus.
Zwar hat sich die Wirtschaft tatsächlich erholt, der Primärüberschuss (Haushalt vor Zins- und Tilgungszahlungen) ist besser ausgefallen als vom IWF gefordert, und Griechenland konnte einen Puffer anlegen, den es jetzt in Sozialaus- gaben und Wirtschaftsförderung stecken will. Doch für viele Griechen sieht die Bilanz weniger rosig aus. Die Arbeitslosenrate liegt noch immer bei 19,1 Prozent, die Einkommen derer, die noch Arbeit haben, sind stark gesunken. Einige verdienen nur noch die Hälfte dessen, was sie vor der Krise ausgezahlt bekommen hatten. Viele Menschen haben kein Obdach mehr. Sie schlafen auf den Bürgersteigen der Stadt, einige haben den Arm ausgestreckt, in der Hand ein Kaffeebecher, auf ein paar Münzen hoffend. Andere sammeln Pappe, stapeln sie und tauschen sie gegen etwas Geld ein. Noch mehr gehen mittlerweile in die Armenküchen, um etwas zu Essen zu bekommen.
Getroffen hat es auch kleine Unternehmen – Familienbetriebe und solche, die nur eine Handvoll Mitarbeiter hatten. 350 000 solcher Unternehmen sind allein in Attika – der bevölkerungsreichsten Region des Landes, deren Hauptstadt Athen ist – Pleite gegangen, erzählte am 10. September die Gouverneurin der Region Rena Douru einer Delegation von Linkspolitikern aus den Ländern Berlin, Brandenburg und Thüringen, die sich drei Tage lang mit hochrangigen Politikern der Regierungspartei SYRIZA über die jeweiligen Erfahrungen linker Regierungspolitik austauschten.
Zu sehen ist auch in Athen, wie die Austeritätspolitik der vergangenen Jahre nicht wenige Inhaber von Geschäften zwang, diese zu schließen. Viele Rollläden sind heruntergelassen, einige hängen schief oder wurden verbogen und sehen nicht aus, als seien sie in letzter Zeit einmal hochgezogen worden. Gitter wurden vor Eingängen und Fenstern angebracht, die keine Glasscheiben mehr haben, Schutt und Müll haben sich in den Innenräumen angehäuft.
Wirtschaftsminister Giannis Dragasakis erklärte vor der Delegation, die bisherige Strategie der »schöpferischen Zerstörung« habe nicht funktioniert. »Viele kleine Unternehmen sind kaputt gegangen, aber nichts ist daraus entstanden.« Jetzt wolle die Regierung stärker Koope-
rationen zwischen Kleinunternehmen fördern, damit diese gemeinsam eine bessere Marktposition erstreiten können. Deshalb sei vor kurzem auch das neue Genossenschaftsgesetz verabschiedet worden.
Auch den sogenannten Braindrain will die Regierung bekämpfen. Etwa eine halbe Million junger, gut ausgebildeter Menschen soll in den Krisenjahren abgewandert sein, weil sie in Griechenland keine Arbeit fanden oder lediglich zu einem so geringen Lohn, mit dem keine Miete bezahlt werden kann. Selbst für qualifizierte Tätigkeiten erhalten viele Hochschulabsolventen nicht mehr als 500 Euro Lohn pro Monat.
Auch vor der Krise gab es nur wenig staatliche Unterstützung für Arbeitslose oder Geringverdiener. Die Familie unterstützte sich gegenseitig. Eltern kauften Wohnungen für die Kinder, die dadurch keine Miete zahlen mussten und weniger Ausgaben hatten. Doch mit Einführung höherer Immobiliensteuern ist auch das System ins Wanken geraten. Zweitwohnungen werden verkauft oder können nicht abbezahlt und müssen vermietet werden. Die vergangenen Jahre haben immer mehr Menschen zu Mietern gemacht. Junge Familien sollen nun Mietbeihilfen bekommen, das ist eines der Versprechen, die Premierminister Alexis Tsipras am 8. September auf der Handelsmesse in Thessaloniki machte, die traditionell von Regierungschefs genutzt wird, um Regierungserklärungen abzugeben. Auch die Immobiliensteuer für Kleinbesitzer will man senken; Senioren sollen mehr staatliche Leistungen erhalten.
Auch die Rente war eines der Themen, die Tsipras auf der Handelsmesse ansprach. Bereits mehrfach wurden die Renten in den vergangenen Jahren gekürzt. Wer vor der Krise 1300 Euro pro Monat bekam, erhält jetzt nur noch 950 Euro. 2019 und 2020 sollten weitere Rentenkürzungen folgen – das wurde vor gerade einmal einem Jahr gesetzlich festgelegt. Doch die Kürzungen soll es nun nicht mehr geben. Für viele hätte die Kürzung monatlich nur ein paar Euro bedeutet. Doch für die Regierung ist der Umschwung vor allem symbolisch wichtig: Um zu zeigen, dass mit dem Ende der Austeritätspolitik auch die Schlinge um die Hälse der Menschen gelockert wird. Finanzieren will die Regierung das mit Rücklagen, die sie in den vergangenen Jahren gebildet hat. Dass es kein leichter Weg wird, wissen deren Vertreter. Doch zu linker Politik gehöre eine Stärkung des Sozialstaats dazu – ebenso wie Investitionen in Bildung und Gesundheit. Arbeitsministerin Efi Achtsioglou betont vor der Delegation: »Wir haben in den vergangenen drei Jahren nicht einfach nur gewartet, dass die Hilfsprogramme auslaufen.« Viele Programme seien auf den Weg gebracht worden, die sowohl die Unternehmen als auch die Beschäftigten unterstützen sollen. So gibt es jetzt mehr Steuerprüfer, und Inspektionen in Betrieben sollen die Unterwanderung von Arbeitsschutzmaßnahmen aufdecken.
»Athens is the new Berlin«, steht auf einer Häuserwand. Graffiti gibt es hier viel zu sehen, mit und ohne politische Botschaften. Es ist ungewöhnlich heiß für diese Jahreszeit, die Restaurants sind voll – nicht nur mit Touristen. Nicht alle hat die Krise erwischt, einige stehen heute sogar besser da. Obwohl Selbständige insgesamt mehr Steuern zahlen müssen, haben einige von ihnen heute mehr Geld in der Tasche: Vor der Krise wurden die Steuern nach dem Alter der Selbständigen berechnet. Heute richten sie sich nach den Einkommen. Das kommt vor allem älteren Menschen zugute, die wenig verdienen.
Nach dem Ende der Austeritätsprogramme sehnt sich Griechenland nach Erholung. Doch in der Hauptsstadt Athen sind die Auswirkungen des von den Gläubigern aufgezwungenen Spardiktats noch überall sichtbar.
»Wir haben in den vergangenen drei Jahren nicht einfach nur gewartet, dass die Hilfsprogramme auslaufen.« Efi Achtsioglou, Arbeitsministerin