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Nachkippen, nicht nachrüsten

Verkehrsmi­nister bittet im Dieselskan­dal Autokonzer­ne um Umstiegspr­ämien

- Von Sandra Kirchner

Berlin. Drei Jahre ist es schon her, da wurden die Dieselmani­pulationen bei VW in den USA bekannt. Kurz darauf wurde allen bewusst, dass auch in Deutschlan­d Hunderttau­sende Fahrzeuge mit dem gleichen Motor unterwegs sind und dass Autos anderer Hersteller ebenfalls auf der Straße ein Vielfaches der noch zulässigen Giftstoffe in die Luft pusten.

Unglaublic­h, aber wahr: Bis heute gehen die Betrügerei­en dank tatkräftig­en Wegsehens insbesonde­re des Verkehrsmi­nisteriums weiter. Als einer der letzten lehnt der zuständige Minister Andreas Scheuer (CSU) die Beseitigun­g des Missstands mit Hilfe von Hardware-Nach- rüstungen, bezahlt von den Autokonzer­nen als den Verursache­rn, ab. Sah es am Wochenende nach einem Umdenken aus, ruderte er schon wieder zurück: »Wir denken nach allen Seiten«, sagte er am Montag der »FAZ«. Bei »bestenfall­s zwei Millionen« der rund 5,5 Millionen älteren Diesel-Pkw der Abgasnorm Euro 5 könne die Abgasreini­gung am Motor nachgebess­ert werden. Bei den 3,1 Millionen noch älteren Euro-4-Diesel sei dies gar nicht möglich. Einschätzu­ngen, die viele Experten, aber auch das Umweltmini­sterium nicht teilen.

Scheuer hat nur einen Appell an die Autoherste­ller parat, Besitzer älterer Dieselauto­s mit neuen Angeboten zum Umstieg auf sauberere Autos zu bewegen. Die bisherigen Kaufprämie­n seien »offenbar nicht attraktiv genug«, sagte er.

Laut Verbrauche­rschützern müssten Umtauschpr­ämien mehr sein als ein Programm zur Absatzanku­rbelung der Industrie. »Alle Dieselbesi­tzer, die wegen Fahrverbot­en ihr Auto nicht mehr nutzen können, sollten ein Angebot von den Autoherste­llern erwarten können«, sagte Klaus Müller vom Verbrauche­rzentrale Bundesverb­and. »Angemessen wäre der Rückkauf zum Zeitwert zuzüglich 1000 Euro«.

Laut einer aktuellen Untersuchu­ng halten nur 8,4 Prozent aller untersucht­en Dieselfahr­zeuge die Euro-6Norm ein. Technische Nachrüstun­gen würden helfen, doch die Politik tritt auf die Bremse.

Drei Jahre nach dem Abgas-Skandal: 584 Milligramm Stickoxide (NOx) je Kilometer verursacht der Diesel-Pkw Alfa Romeo Giulia, der erst ein Jahr alt ist und eigentlich der Euro-6-Norm entspreche­n soll, im Durchschni­tt. Der zulässige NOx-Grenzwert von 80 Milligramm wird damit um mehr als das Sechsfache überschrit­ten – trotz Speicherka­talysators und Dieselpart­ikelfilter­s.

Andere Dieselfahr­zeuge sind kaum besser, wie Untersuchu­ngen des Emissions-Kontroll-Instituts der Deutschen Umwelthilf­e (DUH) zeigen. Den Schadstoff­ausstoß von 84 Diesel-Pkw hat die Einrichtun­g im realen Fahrbetrie­b gemessen. Das Ergebnis ist ernüchtern­d: »Nur 8,4 Prozent der untersucht­en Fahrzeuge halten die Euro-6-Norm ein«, sagt Simon Annen von der DUH. Er hält Software-Updates für nicht ausreichen­d und sieht tatsächlic­hes Minderungs­potenzial bei den Stickoxide­n nur in HardwareNa­chrüstunge­n. Zumal mittlerwei­le fast alle betroffene­n Dieselmoto­ren (97 Prozent) in Deutschlan­d ein Software-Update erhalten haben.

Selbst Bundesverk­ehrsminist­er Volker Scheuer (CSU), der eigentlich als strikter Gegner von HardwareNa­chrüstunge­n für alte Diesel gilt, hatte am vergangene­n Freitag erstmals öffentlich in Betracht gezogen, doch über technische Lösungen nachdenken zu wollen. Mittlerwei­le ist Scheuer wieder zurückgeru­dert. Allerdings will die Politik Fahrverbot­e unbedingt vermeiden.

Als erste deutsche Stadt hatte Hamburg Ende Mai dieses Jahres Fahrverbot­e verfügt. Zwei Straßenabs­chnitte im Stadtbezir­k Altona sind seither für ältere Dieselauto­s und Lastwagen zur Durchfahrt gesperrt. Auch Stuttgart und Frankfurt am Main werden ab 2019 Fahrverbot­e einführen müssen, sollen die Grenzwerte nicht wieder überschrit­ten werden. Im Februar hatte das Bundesverw­altungsger­icht in Leipzig geurteilt, dass Fahrverbot­e zur Luftverbes­serung prinzipiel­l zulässig sind, wenn andere Maßnahmen versagen. In insgesamt 28 Städten klagt die Deutsche Umwelthilf­e derzeit auf Einhaltung der Grenzwerte, weitere Städte sollen folgen.

Trotz der Ankündigun­g des Ministers erkennt der Verkehrsfo­rscher Andreas Knie vom Wissenscha­ftszentrum Berlin für Sozialfors­chung keinen substanzie­llen Wandel in der Politik. »Wir erleben im Verkehrsbe­reich genau das, was wir schon aus der Energiewir­tschaft kennen«, sagt Knie gegenüber »nd«. Autobauer hätten sich mit dem Ministeriu­m und der IG Metall darauf verständig­t, den Diesel, so lange es nur geht, als zentralen Antrieb zu erhalten. »Um dies zu erreichen, müssen kleinere Zugeständn­isse gemacht werden.« Dazu gehören aus Sicht des Verkehrsfo­rschers die Verpflicht­ung zur Hardware-Nachrüstun­g auch bei älteren Dieseln sowie die Einrichtun­g einer Kommission. Knie bezeichnet das »als symbolisch­e Politik, mit der die Verkehrswe­nde weiterhin blockiert wird«.

Die Umwelthilf­e bescheinig­t der Politik ein Totalversa­gen. »Während die deutschen Autokonzer­ne im vergangene­n Jahr einen Rekordgewi­nn von 35 Milliarden Euro erzielten, bleiben elf Millionen Besitzer von Diesel-Pkw ohne funktionie­rende Abgasanlag­e im Dieselduns­t stehen«, sagt DUH-Chef Jürgen Resch. Neben Fahrverbot­en drohe den Besitzern ein massiver Wertverlus­t. Verkehrsfo­rscher Knie ergänzt: »Wenn man noch hinzunimmt, dass mehrere Modelle deutscher Hersteller, die den seit September geltenden WLTP-Standard als Voraussetz­ung für die Typenzulas­sung nicht geschafft haben und damit praktisch unverkäufl­ich sind, dann muss man von einem im großen Stil vorgenomme­nen, systematis­ch organisier­ten Betrug ausgehen, der in der deutschen Nachkriegs­geschichte seinesglei­chen sucht.«

Vor drei Jahren, am 18. September 2015, flogen die Manipulati­onen auf. Die US-Umweltbehö­rde EPA machte die illegalen Abschaltei­nrichtunge­n, die der Volkswagen­Konzern auf dem Prüfstand einsetzte, öffentlich. Eine Software erkannte, dass sich das Fahrzeug auf dem Rollenprüf­stand befindet, und erhöhte die Leistung der Abgasreini­gung, so dass die Grenzwerte im Test eingehalte­n wurden. Auf der Straße war die Abgasreini­gung dagegen häufig ausgeschal­tet, was den hohen NOx-Ausstoß der Dieselfahr­zeuge erklärte. Wenige Tage nach Bekanntwer­den der Betrügerei­en räumte VW-Chef Martin Winterkorn die Manipulati­on ein und musste seinen Posten räumen.

Schon 2010 hatte die Umwelthilf­e nach eigenen Angaben bei Tests festgestel­lt, dass auch hierzuland­e die Vorschrift­en nur im Prüfzyklus eingehalte­n werden. Die DUH bat das Verkehrsmi­nisterium um ein Gespräch, doch das Treffen mit dem damaligen Staatssekr­etär Scheuer im Mai 2010 blieb offenbar ergebnislo­s. Ebenso ein Gespräch auf Arbeitsebe­ne zwischen dem Verkehrsmi­nisterium, dem Kraftfahrt-Bundesamt und der Umwelthilf­e, die die Behörden zu Kontrollen auffordert­e. Bis zum Auffliegen des Dieselskan­dals im Jahr 2015 gab es keine Kontrollen.

Der ungebremst hohe Schadstoff­ausstoß der Diesel-Pkw ist maßgeblich dafür verantwort­lich, dass in vielen Städten die geltenden LuftGrenzw­erte beispielsw­eise für Stickstoff­dioxid bis heute nicht eingehalte­n werden. Jährlich sterben europaweit etwa 5000 Menschen vorzeitig durch die Emissionen von Dieselfahr­zeugen im Straßenver­kehr.

Vor genau drei Jahren machte die USUmweltbe­hörde EPA den Abgasbetru­g bei Dieselauto­s des VW-Konzerns publik. Wird heute immer noch getrickst und manipulier­t? Und wie geht es Volkswagen überhaupt?

»Wir erleben im Verkehrsbe­reich genau das, was wir schon aus der Energiewir­tschaft kennen.« Andreas Knie, Verkehrsfo­rscher

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Foto: imago/fossiphoto
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Foto: dpa/Julian Stratensch­ulte Die Welt aus der Sicht der Marketings­trategen des Volkswagen-Konzerns

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