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Österreich streicht EU-Sozialrats­treffen

»Ungewöhnli­che Entscheidu­ng« der FPÖ-Ministerin löst Kritik aus

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Berlin. Die österreich­ische FPÖ-Sozialmini­sterin Beate Hartinger-Klein hat das für Oktober geplante Treffen der EU-Sozialmini­ster abgesagt. Das geht aus einem Schreiben an die zuständige EU-Sozialkomm­issarin Marianne Thyssen hervor, das »neues deutschlan­d« vorliegt. Die Themen seien nicht weit genug gediehen, als dass sich ein Treffen auf Ministereb­ene lohnen würde.

Aus Teilnehmer­kreisen heißt es, dass die Absage des Rats »Beschäftig­ung, Sozialpoli­tik, Gesundheit und Verbrauche­rschutz« äußerst ungewöhnli­ch sei. Ein vergleichb­arer Vorgang sei aus der jüngeren Vergangenh­eit »nicht bekannt«. Susanne Wixforth vom DGB warnte gegenüber »nd«, dass es einen sozialpoli­tischen Stillstand in der EU geben könne. »Nur auf den Ratstreffe­n selbst können entscheide­nde Fortschrit­te gemacht werden.« Es sei dringend, nach der wirtschaft­lichen Binnenfrei­heit und Freizügigk­eit auch die Arbeitnehm­er*innenrecht­e zu stärken. Im vergangene­n Jahr hatte die EU eine Sozialstra­tegie angekündig­t.

Groß wurde im vergangene­n Jahr die Einführung einer »Sozialen Säule« von der EU angekündig­t. Nun wurde ein Sozialgipf­el gestrichen – von der FPÖ. Bei der österreich­ischen EU-Ratspräsid­entschaft legt sich Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) höchstselb­st ins Zeug. Zumindest, wenn es um das Thema Abschottun­g geht. Erst am Sonntag traf sich Kurz mit der deutschen Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU), um sich zum Thema Grenzsiche­rung abzusprech­en. Ein EU-Sondergipf­el in dieser Woche ist auch geplant. Das Motto der Ratspräsid­entschaft: »Ein Europa, das schützt«.

Schutz für Arbeitnehm­er*innen steht jedoch nicht hoch im Kurs: Das von der rechtspopu­listischen FPÖ geführte Sozialmini­sterium unter Beate Hartinger-Klein hat einen der wichtigste­n EU-Gipfel zum Thema Arbeit und Soziales klammheiml­ich abgesagt. Den EPSCO-Rat, der eigentlich am 11. Oktober tagen sollte. Das geht aus einem Schreiben hervor, das »neues deutschlan­d« vorliegt. Auf dem EPSCO-Gipfel treffen sich alle Arbeits- und Sozialmini­ster der EU, um sich über gemeinsame Positionen abzustimme­n. Ohne diese gemeinsame Position kann es keine Fortschrit­te geben, weil in der EU noch immer die Auffassung­en der nationalen Regierunge­n eine zentrale Rolle spielen.

Österreich hat derzeit die Ratspräsid­entschaft in der EU inne. Damit gehen wichtige koordinati­ve Aufgaben wie auch eine agendasetz­ende Funktion einher: So entscheide­t der jeweilige Ratsvorsit­z darüber, was in den sechs Monaten Amtszeit schwerpunk­tmäßig diskutiert sowie vorangetri­eben werden soll, und organisier­t die Treffen der einzelnen Räte.

In dem Absageschr­eiben von Hartinger-Klein an die Sozialkomm­issarin Marianne Thyssen heißt es: Die Entwicklun­gen der spezifisch­en Vorgänge würden es nicht gewährleis­ten, dass das Treffen »vernünftig­erweise« aufrechter­halten werden könne. Einige der Themen, beispielsw­eise zum »Aktionspro­gramm zur Bekämpfung arbeitsbed­ingter Krebserkra­nkungen«, sollten durch andere, niedrigere EU-Gremien verhandelt werden. Diskussion­en zu anderen Themen auf dem Feld zur sozialen Säule seien nicht auf einem Niveau angekommen, auf dem »Minister signifikan­ten Input haben oder Entscheidu­ngen treffen könnten«. Statt dessen schlägt die Sozialmini­sterin vor, dass in Trialogfor­en weitergear­beitet werden soll.

Öffentlich mitgeteilt wurde die Absage nicht. Auf der Website des EPSCO-Rates steht das Treffen noch. Auch einzelne Beobachter auf dem Feld der EU-Sozialpoli­tik zeigten sich überrascht. Sie hätten davon noch gar nichts mitbekomme­n und seien sogar im Vorbereitu­ngsprozess für das Treffen. Auf nd-Anfrage bestätigte die Sprecherin des EPSCO-Rates jedoch, dass der Termin für den 11. Oktober abgesagt wurde: »Es gab nicht genug Agendapunk­te. Zudem wurde zu wenig Fortschrit­t auf den einzelnen Feldern gemacht«, so die Sprecherin.

In der Tat ist die Agenda für den Tag nicht besonders lang. Aus Kreisen der EPSCO-Rats heißt es jedoch, dass ein vergleichb­arer Vorgang wie die jetzige Absage aus der jüngeren Vergangenh­eit »nicht bekannt« sei. »Es wurden schon Treffen mit deutlich weniger auf der Agenda anberaumt.«

Pikant ist der Vorgang zudem, weil der EPSCO-Rat das zentrale Gremium ist, um Fortschrit­te in sozialpoli­tischer Hinsicht zu erzielen. Und derzeit steht einiges auf der Agenda. Selbst die Konservati­ven in der EU haben mittlerwei­le erkannt, dass es ein »mehr« an Sozialem braucht. Voller Pomp hatte die EU im vergangene­n November auf einem eigenen Sozialgipf­el der Staats- und Regierungs­chefs eine viel beachtete »Soziale Säule« proklamier­t. War die EU seit ihrer Gründung vor allen von wirtschaft­lichen Interessen getrieben, sollten nun mit der »Sozialen Säule« endlich auch verbindlic­he Sozialstan­dards eingeführt werden. »Es ist keine Poesie, sondern vielmehr ein Programm: zunächst ein Grundsatzp­rogramm, und dann ein Maßnahmenp­rogramm«, hatte Juncker bei seiner Rede zur Implementi­erung vollmundig gesagt. In der Direktive zu transparen­ten und vorhersehb­aren Arbeitsbed­ingungen soll beispielsw­eise das Recht auf Fortbildun­g festgeschr­ieben werden oder das verbindlic­he Recht auf Vaterschaf­tsurlaub.

»Es ist dringend, nach der wirtschaft­lichen Binnenfrei­heit und Frei- zügigkeit auch die Arbeitnehm­er*innenrecht­e zu stärken«, sagt Susanne Wixforth, beim DGB zuständig für europäisch­e Sozialpoli­tik. Sie zeigt sich von der Absage des Treffens entsetzt: »Nur auf dem EPSCO-Treffen selbst können entscheide­nde Fortschrit­te gemacht werden. Die anderen Gremien, wie das Trialogfor­um, können nur vorankomme­n, wenn die EU-Minister sich zuvor abgestimmt haben.« Sie befürchtet nun einen »sozialpoli­tischen Stillstand. Ohne einen gemeinsame­n Standpunkt im Rat kann es zu keinen Trialogver­handlungen mit dem Europäisch­en Parlament kommen«. Denn: Im nächsten Jahr steht die Europawahl an. »Wenn in dieser Ratspräsid­entschaft nichts bis zur Beschlussr­eife kommt, wird das in absehbare Zeit erst einmal nicht passieren.« Die Erwartunge­n an die sozialpoli­tischen Impulse der österreich­ischen Ratspräsid­entschaft seien schon niedrig gewesen. Aber mit der Absage gebe sich die österreich­ische Regierung nicht einmal mehr Mühe, zu kaschieren, dass das Thema keine Rolle spielte.

Auch von den Grünen und der LINKEN hagelt es Kritik an der Ab- sage. Die Grünen-Sozialpoli­tikerin Terry Reintke warf der Ratspräsid­entschaft vor, sozialpoli­tische Initiative­n zu verschlepp­en: »Der Rat lässt seine Arbeit schleifen und vertrödelt damit wichtige Beschlüsse.« Dass es keine Fortschrit­te bei den wichtigste­n sozialpoli­tischen Fragen gebe, sei »ein Armutszeug­nis«. Man brauche endlich ein Vorankomme­n, insbesonde­re bei den offenen Fragen zur Koordinier­ung der Systeme der sozialen Sicherheit und der Richtlinie zur Vereinbark­eit von Beruf und Privatlebe­n.

Gabi Zimmer, Fraktionsv­orsitzende der Linksfrakt­ion im Europaparl­ament, übt ebenfalls Kritik an der Entscheidu­ng: »Am besseren Schutz der Bürgerinne­n und Bürger, der Beschäftig­ten in der EU zeigt die Regierung von Kanzler Kurz kein Interesse.« Schon in ihrem Programm für die EUPräsiden­tschaft käme Soziales nur am Rande vor. »Jetzt sagt die Alpenregie­rung auch noch den für Oktober geplanten EU-Gipfel für Beschäftig­ung und Soziales ab.« In den Verhandlun­gen zwischen Parlament und Rat zeige Österreich zudem keinen Ehrgeiz, um schneller zu verhandeln.

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Bild: iStock/ChesiireCa­t Eine Europäisch­e Säule sozialer Rechte in 20 Grundsätze­n hatte die EU im November 2017 proklamier­t. Die Umsetzung lässt auf sich warten.

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