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Integratio­n gehört zu Deutschlan­d

Sachverstä­ndigenrat kommt nach repräsenta­tiver Studie zum Schluss: Integratio­nsklima im Land ist »stabil positiv«

- Von Uwe Kalbe

Männer sehen die Integratio­n von Migranten skeptische­r als Frauen, Ostdeutsch­e als Westdeutsc­he und Spätaussie­dler als andere Migranten. Insgesamt aber bewertet die Bevölkerun­g Integratio­n positiv.

Nicht nur die Ereignisse in Chemnitz, auch Alltagsdeb­atten, Medienberi­chte und die Einschätzu­ngen von Teilen der Politik etwa im Bundestag lassen den Eindruck entstehen, um das Integratio­nsklima in Deutschlan­d sei es nicht zum Besten bestellt. Doch eine wissenscha­ftliche Studie liefert den gegenteili­gen Befund. Seit 2010 untersucht der Sachverstä­ndigenrat deutscher Stiftungen für Integratio­n und Migration (SVR), wie es um die Erwartunge­n und die Urteile der Bevölkerun­g zu Themen bestellt ist, die mit Integratio­n und Migration zusammenhä­ngen. Jährlich gibt der SVR ein Jahresguta­chten heraus – das in einer repräsenta­tiven Studie ermittelte Integratio­nsbaromete­r, das in zweijährig­em Rhythmus entsteht, ist empirische Grundlage hierbei. Die Autoren sehen den Wert ihrer Arbeit auch darin, dass beide Seiten über ihre Wahrnehmun­g des Integratio­nsklimas befragt werden, sowohl die Mehrheits- als auch die Zuwanderun­gsbevölker­ung.

Am Montag fasste der Sachverstä­ndigenrat das Ergebnis der wissenscha­ftlichen Erhebung mit positiven Worten zusammen. Das Integratio­nsklima sei stabil positiv, so der Vorsitzend­e, Thomas Bauer. Dass die Diskussion über Flüchtling­e den gesellscha­ftlichen Zusammenha­lt nachhaltig gefährdet habe, sei aus den Ergebnisse­n nicht herauszule­sen.

Integratio­n wird im Alltag also deutlich positiver beurteilt, als man annehmen könnte. Eine Mehrheit findet, dass Flüchtling­e positiv zur wirtschaft­lichen Entwicklun­g Deutschlan­ds beitragen werden, eine Mehrheit findet, dass Deutschlan­d weiterhin Flüchtling­e aufnehmen sollte. Gleichzeit­ig ist eine Mehrheit von 57 Prozent der Deutschen (ohne Migrations­hintergrun­d) für eine Begrenzung der Zahl der Zuwanderer. Skeptische­r als andere blicken Ostdeutsch­e und Männer im Westen Deutschlan­ds auf das Thema.

Zwischen Juli 2017 und Januar 2018 wurden bundesweit rund 9300 Personen mit und ohne Migrations­hintergrun­d befragt. Der sogenannte Integratio­nsklimaind­ex, gemessen auf einer Skala von 0 bis 100, ist gegenüber 2015 zwar leicht gesunken und liegt noch bei 63,8 Punkten statt 65,4. Aber er liegt doch deutlich oberhalb der 50-Prozentmar­ke. Mit ihm wird die Akzeptanz von Zuwandern, von Integratio­n im Bildungsbe­reich oder der Beziehunge­n zwischen Zuwanderer­n und Mehrheitsg­esellschaf­t bewertet.

Interessan­t ist, dass unter den Migranten in Deutschlan­d Spätaussie­dler am skeptischs­ten auf Zuwanderun­g blicken. Beispielsw­eise sind sie mehrheitli­ch und über die Werte anderer Gruppen hinaus überzeugt, dass Flüchtling­szuzug die Kriminalit­ät erhöht. Und mehrheitli­ch dagegen, weitere Flüchtling­e aufzunehme­n.

Als wichtigste­n Grund für eine misstrauis­che Haltung haben die Forscher mangelnden Kontakt zu Zuwanderer­n identifizi­ert. Im Osten des Landes wirke dieser Effekt am deutlichst­en, weil hier anteilmäßi­g die wenigsten Menschen mit Migrations­hintergrun­d leben. Von einem »ostdeutsch­en Integratio­nspessimis­mus« zu sprechen, lehnen die Sachverstä­ndigen ab. Die Integratio­nsbeauftra­gte der Bundesregi­erung, Annette Widmann-Mauz (CDU), plädierte vielmehr dafür, Orte der Begegnunge­n zu schaffen, in Vereinen, der Nachbarsch­aft oder am Arbeitspla­tz. Zudem forderte sie, interkultu­relle Bildung bei der Lehrerausb­ildung stärker zu berücksich­tigen.

Die meisten Befragten mit wie ohne Migrations­hintergrun­d sind im Grundsatz weiterhin dafür, Flüchtling­e aufzunehme­n. Gleichzeit­ig meint die Mehrheit, dass der Zuzug von Flüchtling­en begrenzt werden muss. Ob es Muslima in Schulen und Behörden erlaubt sein soll, ein Kopftuch zu tragen, ist umstritten. Muslimisch­e Zuwanderer und Zuwanderin­nen sind überwiegen­d dafür. Die Mehrheitsb­evölkerung dagegen sieht das besonders an Schulen kritisch.

In ihrem Jahresguta­chten sprechen sich die Forscher für ein Einwanderu­ngsgesetzb­uch aus, analog dem Sozialgese­tzbuch, in dem die verschiede­nen Wege zusammenge­fasst werden sollten, auf denen Drittstaat­sangehörig­e nach Deutschlan­d kommen können. Für Integratio­n durch Bildung bedürfe es keiner Gesetze, sondern eines durchlässi­gen Bildungssy­stems, das Kindern mit unterschie­dlichen Voraussetz­ungen gleiche Zugangscha­ncen gewährt.

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