nd.DerTag

Keine Berührungs­ängste

Hunderte protestier­en gegen rechten Aufmarsch in sachsen-anhaltisch­er Kleinstadt

- Von Fabian Hillebrand. Köthen

In Köthen hat sich am Sonntag eine Mischung aus AfD-Abgeordnet­en, freier Neonazisze­ne und neurechten Wortführer­n eingefunde­n. 700 Antifaschi­sten kamen zum Protest. Mehr als 700 Gegendemon­stranten haben sich am Sonntag in Köthen eingefunde­n, um gegen einen »Trauermars­ch« zu demonstrie­ren, zu dem unter anderem mehrere AfD-Abgeordnet­e aufgerufen hatten. Sie versammelt­en sich vor dem kleinen Bahnhof in Köthen. Aus einem Lautsprech­erwagen wummert TechnoMusi­k. Vor allem junge Menschen kamen, um sich dem dritten rechten Aufmarsch entgegenzu­stellen, den die Stadt nach dem Tod eines jungen Mannes in der vergangene­n Woche erlebt. Auch einige Politiker folgen dem Aufruf von »Dessau Nazifrei« – die Bauhaussta­dt liegt nur einige Kilometer entfernt. Die Politiker machen Gruppenfot­os und bekunden die Wichtigkei­t, diesen Ort nicht der rechten Vereinnahm­ung zu überlassen.

»Wenn man Demokrat sein will, muss man heutzutage Antifaschi­st sein«, sagt die Landesvors­itzende der Grünen Sachsen-Anhalt, Susan Sziborra-Seidl, im Laufe der Demonstrat­ion. Ein älteres Ehepaar steht etwas abseits der überwiegen­d in Schwarz gekleidete­n Menschenme­nge. »Wir wollen nicht, dass unsere kleine Stadt zu einer Metapher für den Rechtsruck wird«, sagt der ältere Herr. »Ach, ihr kommt von hier?«, fragt eine Demonstran­tin und nickt verwundert, aber auch anerkennen­d.

Innenminis­ter Holger Stahlknech­t (CDU) hatte den Bürgern der Stadt empfohlen, am Abend daheim zu bleiben und die Rollläden zu schließen. Doch die wenigsten Fenster sind in der Stadt am Abend verdunkelt. Angst vor den rechten Demonstran­ten hat hier kaum jemand. Aus den anliegende­n Häusern wird der Aufzug, der weitgehend ohne viel Polizeibeg­leitung durch die Stadt zieht, freundlich gegrüßt, immer wieder gibt es Gespräche an den Straßeneck­en. Man kennt sich untereinan­der. Ähnliche Stimmung auf dem Marktplatz: Etwa 1300 Menschen hatten sich hier eingefunde­n.

Es ist nicht das erste Mal, dass hier rechte Reden geschwunge­n werden. Es ist auch nicht der erste Aufmarsch, den die Kleinstadt dieser Tage erlebt. Schon am Sonntag und Montag vor einer Woche fanden hier Veranstalt­ungen statt, die von Rechtradik­alen dominiert wurden. Es kam zu Reden, die inzwischen Objekt von Strafermit­tlungen wegen Volksverhe­tzung geworden sind. Die Stimmung gleicht trotzdem eher einem Volksfest – Ju- gendliche laufen zwischen der Menge umher, Arbeitskol­legen grüßen sich, die halbe Stadt scheint gekommen zu sein, um sich das Geschehen zumindest einmal anzuschaue­n. Berührungs­ängste hat man wenige. Zwar tragen einige Menschen Shirts mit klarer Symbolik – »Support 88« steht da oder »KKNKRZ«. Angst vor Neonazis hat aber keiner. »Die tun wenigstens was«, sagte eine ältere Frau, die dem Geschehen beiwohnt.

Seit einiger Zeit beobachtet Hassan den Protest. Er steht außerhalb der Absperrung­en, mit denen die Polizei den Marktplatz abgesicher­t hat. »Ist es gefährlich für mich, dort hineinzuge­hen?«, fragte er eine Polizistin. »Das weiß ich doch nicht«, antwortet sie und lässt ihn passieren. Der junge Mann ist Student an der Hochschule Anhalt. Diese hat drei Standorte in Bernburg, Dessau und Köthen. Laut Aussage ihres Direktors beherberge die Schule die meisten ausländisc­hen Studierend­en in Deutschlan­d. Am Marktplatz angekommen, wird Hassan angepöbelt: »Ausländer raus« war noch das Harmlosest­e, das der Mann aus Afghanista­n zu hören bekommt. Nach kurzer Zeit steht er wieder hinter der Absperrung. »Das ist Spaß für sie«, berichtet der Geflüchtet­e. »Sie lachten dabei, als würden sie etwas Lustiges oder Mutiges zu mir sagen.«

Auf dem Marktplatz redet ein Gemisch aus AfD-Abgeordnet­en, freier Neonazisze­ne und rechten Granden, wie etwa der Publizist Jürgen Elsässer. Der rote Faden, der sich durch alle Beiträge zieht: Die Forderung, Bewegung und Partei stärker zusammenzu­führen. Damit verbunden ist die Kritik an den AfD-Westverbän­den, die sich nicht klar zu Straßenpro­testen wie Pegida bekennen würden. Christoph Berndt vom Bündnis »Zukunft Heimat« droht Bundeskanz­lerin Angela Merkel einen »heißen Herbst« an. Nach dem Singen der Nationalhy­mne löst sich die Versammlun­g auf.

Auch die linken Demonstran­ten machen sich auf den Weg nach Leipzig, Jena, Halle und Magdeburg. Henriette Quade von der LINKEN in Sachsen-Anhalt dankt allen, die den Tag über da waren. »Wenn eine Stadt entscheide­t, die Rollläden zuzuziehen, stärkt das die Nazis. Das ist unverantwo­rtlich.« Hassan bleibt alleine in seinem Wohnheimzi­mmer zurück. Dass die Köthener alle rassistisc­h sind, glaubt er nicht. »Die Leute sind meistens nett zu mir. Aber an Abenden wie diesen, da habe ich Angst, auf die Straße zu gehen.«

 ?? Foto: imago/Christian Mang ?? Rund 1300 Hooligans, AfD-Anhänger und Fürspreche­r der Neuen Rechten laufen durch Köthen.
Foto: imago/Christian Mang Rund 1300 Hooligans, AfD-Anhänger und Fürspreche­r der Neuen Rechten laufen durch Köthen.

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